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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 04.03.2011


Interview mit Martina Voss-Tecklenburg
Sylvia Rochow

Mitte Februar 2011 wurde die Trainerin der Frauenfußball-Spitzenmannschaft FCR 2001 Duisburg völlig überraschend beurlaubt. AVIVA-Berlin hat ihr per E-Mail einige Fragen zu den Ursachen, den...




... Folgen für den Frauenfußball in Deutschland im WM-Jahr 2011 sowie zu den hohen Belastungen der Nationalspielerinnen gestellt.

AVIVA-Berlin: Ausgerechnet im WM-Jahr gibt es in der Frauenfußball-Bundesliga nach Ihrer Beurlaubung nur noch bei Aufsteigerin Bayer 04 Leverkusen einen weiblichen Coach. Welches Zeichen wird so an die Öffentlichkeit gesendet?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich werte es als schlechtes Zeichen, denn in den Frauenfußball gehören weibliche Führungskräfte – auf allen Ebenen! Mädchen und Frauen sind nun mal anders als Männer und Jungen, und ich finde, dass es wichtig ist, Frauen in den Führungsgremien zu haben. Außerdem wird so ein fatales Signal an andere Frauen gesendet, die sich sagen: "In dieser Männerwelt haben wir keine Chance!"

AVIVA-Berlin: Sie sind bekannt dafür, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen. Wenn Sie etwas als ungerecht empfinden sagen Sie Ihre Meinung. So ging es Ihnen z.B. im Jahr 2000 als Spielerin nach dem Rausschmiss aus der Nationalmannschaft und in den vergangenen Jahren als Vereinstrainerin, wenn Sie unter anderem die Terminplanung des DFB anprangerten. Nun scheinen Sie Ihrem eigenen Verein zu unbequem geworden zu sein, oder wie erklären Sie sich die Beurlaubung durch den FCR 2001 Duisburg?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich kann diese Beurlaubung nicht erklären, da ich selbst keine akzeptable Erklärung bekommen habe, außer, dass man mit dieser Entscheidung Druck von der Mannschaft nehmen möchte! Wenn ich unbequeme Sachen gesagt oder getan haben soll, dann sollte man darüber sprechen. Es geht mir auf jeden Fall immer nur um die Sache, und nie um Persönliches.

AVIVA-Berlin: Sehen Sie bei Ihrem Fall Parallelen zu Ihrer Kollegin Heidi Vater, die sich nach der erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte beim USV Jena gegen eine Vertragsverlängerung entschied, weil sie ihre Arbeit als Kampf gegen Windmühlen im eigenen Verein empfand?
Martina Voss-Tecklenburg: Um diese Frage beantworten zu können, kenne ich die Vorgänge in Jena zu wenig.

AVIVA-Berlin: Sie haben für den Verein Ihre Tätigkeit als Verbandstrainerin beim Fußballverband Niederrhein aufgegeben und den FCR in einer schwierigen Situation übernommen. Seit Ihrem Amtsantritt vor fast genau drei Jahren führten Sie das Team zu den größten Erfolgen seit Gründung des FCR 2001: DFB-Pokalsiegerin 2009 und 2010, Triumph im UEFA Women´ s Cup 2009. Hätten Sie erwartet, dass Ihnen mehr Kredit entgegengebracht wird?
Martina Voss-Tecklenburg: Es geht hier nicht um Kredit, sondern um einen respektvollen Umgang mit Menschen! Ich bin seit 1994 im Verein, alle Erfolge sind mit mir als Spielerin oder Trainerin erreicht worden. Ich habe nicht nur das Training geleitet, sondern mich auch sehr individuell um die Spielerinnen – auch im Jugendbereich – gekümmert. Ich habe den FCR Duisburg unterstützt, wo ich nur konnte, war sogar bereit, einen neuen Vertrag mit weniger Gehalt zu unterschreiben und habe auch privat viele Dinge für den Verein bezahlt. Da erwarte ich einfach, dass die Menschen, die mich seit über 15 Jahren kennen, mit mir reden und mir nicht am Abend beim Spiel gegen den Herforder SV ins Gesicht lachen – Küsschen rechts, Küsschen links – obwohl sie schon längst wissen, dass sie mich beurlaubt haben und nur ich keine Ahnung davon habe. So geht man nicht miteinander um!

AVIVA-Berlin: Gibt es Ihrer Beobachtung nach Unterschiede im Umgang mit weiblichen und männlichen Coaches in der Frauen-Bundesliga?
Martina Voss-Tecklenburg: Nein, es liegt immer an den handelnden Personen, wie sie miteinander umgehen!

AVIVA-Berlin: Sie sollen "erfolgsbesessen" sein, ein "Siegertyp". Der Vorstand vermutet, Sie hätten zu viel Druck an die Mannschaft weitergegeben, den man dieser jetzt nehmen müsse. Wie haben Sie die Belastung eingeschätzt, mit der die Spielerinnen konfrontiert sind?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich kenne die Belastungen der Spielerinnen doch am besten, denn als ehemalige Nationalspielerin habe ich sie ja selbst erlebt. Ich kenne die Schwierigkeiten, Leistungssport, Schule, Beruf und Nationalmannschaft unter einen Hut zu bringen. Wann immer es notwendig war habe ich die Belastungen daher erhöht oder reduziert. Natürlich auch individuell, z.B. bei einer Alexandra Popp, die einfach mal zwei bis drei Trainingseinheiten Pause brauchte und diese bekam. Solche Maßnahmen sind immer in Absprache mit meinen Spielerinnen erfolgt, denen ich da vertrauen konnte.

AVIVA-Berlin: Wurde das Ziel, auch in dieser Saison einen Titel aus drei Wettbewerben zu gewinnen, gemeinsam mit dem Vorstand festgelegt?
Martina Voss-Tecklenburg: Das Ziel haben alle gemeinsam vor der Saison formuliert: Trainerstab, Spielerinnen und Vorstand. Wir haben davor in zwei Jahren drei Titel gewonnen, hatten einen guten Kader. Da ist es normal, dass die Zielsetzung so lauten muss.

AVIVA-Berlin: Ist vorher darüber gesprochen worden, was zu tun wäre, wenn eine oder alle Titelchancen zerplatzen?
Martina Voss-Tecklenburg: Nein, aber wir haben ja kein Abonnement auf Titel, sondern müssen hart dafür arbeiten und vielleicht auch mal Glück haben, dass der Ball anstatt an den Pfosten ins Tor geht. Eine Titelchance besteht ja außerdem immer noch (Anm. d. Red.: in der Champions League).

AVIVA-Berlin: Gleich zu Beginn der Saison verletzte sich die etatmäßige Innenverteidigung mit den Nationalspielerinnen Annike Krahn und Mirte Roelvink schwer, dazu kamen immer wieder weitere kurz- oder langfristige Ausfälle von Stammspielerinnen. Hätten Sie dem Vorstand gegenüber im Rückblick vielleicht die Saisonziele revidieren müssen?
Martina Voss-Tecklenburg: Nein, denn wir waren bis zum Beginn des Jahres 2011 noch in allen Wettbewerben dabei. Wenn wir dann aber in zehn Tagen die drei wichtigsten Spiele der Saison haben, alle auswärts, reduziert sich vieles. Wir haben beim Tabellen-Zweiten in Frankfurt gewonnen, beim Deutschen Meister in Potsdam eine gute Leistung gebracht und wirklich unglücklich verloren. Im Pokalspiel gegen Bayern München (Anm. d. Red.: 0:3) lief einiges gegen uns, wir waren dann allerdings in den letzten 20 Minuten auch nicht mehr gut genug, um das Ergebnis zu verändern. Ich finde, diese Dinge muss man sachlich analysieren, mit Fußballverstand, und die anderen negativen Faktoren – wie Anreisestress, Werbetermine der Nationalspielerinnen, hohe Belastungsumfänge – sowie die guten Leistungen der Gegnerinnen berücksichtigen. Nur wenn das alles einbezogen wird, kann man eine objektive Leistungsbewertung abgeben.

AVIVA-Berlin: Die Kapitänin Inka Grings hat einen sehr emotionalen offenen Brief des Teams vorgetragen, der nicht darauf schließen lässt, dass es Probleme zwischen Ihnen und der Mannschaft gab. Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Spielerinnen und was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Worte des Teams gehört haben?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich habe bis heute jeden Tag Kontakt mit vielen Spielerinnen. In diesem Moment ging mir vieles durch den Kopf und in mein Herz.

AVIVA-Berlin: Wie gehen Sie mit der Situation um, nun nur zuschauen können, wenn Ihre bisherige Mannschaft die verbleibenden Saisonspielen bestreitet? Beim Heimspiel gegen Wolfsburg waren Sie im Stadion. Werden Sie auch die anderen Spiele vor Ort verfolgen?
Martina Voss-Tecklenburg: Gegen Wolfsburg war ich im Stadion, weil ich gedacht hatte, ich bekäme bei der Pressekonferenz eine Antwort auf meine Beurlaubung. Ob ich mir noch mal ein Spiel anschaue, weiß ich noch nicht!

AVIVA-Berlin: Es wird spekuliert, dass der Verein finanzielle Schwierigkeiten hat und durch Ihren Rauswurf möglicherweise sogar Spielerinnen bestärkt werden sollen, Duisburg zu verlassen. Wissen Sie etwas darüber?
Martina Voss-Tecklenburg: Ja, ich weiß eine Menge über die Situation im Verein!

AVIVA-Berlin: Können Sie das hier weiter ausführen?
Martina Voss-Tecklenburg: Nein, das sind vereinsinterne Informationen, die ich nicht weitergeben möchte.

AVIVA-Berlin: Was glauben Sie, wie die Duisburger Mannschaft in der nächsten Saison 2011/2012 aussehen wird?
Martina Voss-Tecklenburg: Was ich glaube, ist nicht relevant, sondern was die Gremien in Duisburg entscheiden.

AVIVA-Berlin: Haben Sie bisher mit Ihrem Co-Trainer Marco Ketelaer, der Sie nun bis zum Saisonende ersetzen soll, bei der Ausrichtung des Teams in den wesentlichen Punkten übereingestimmt?
Martina Voss-Tecklenburg: Ja, immer. Allerdings hat Herr Ketelaer nach meiner Beurlaubung nicht mehr mit mir gesprochen.

AVIVA-Berlin: Worauf führen Sie das zurück? Haben Sie das Gespräch mit ihm gesucht?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich weiß nicht, warum er nicht mehr mit mir gesprochen hat. Ich habe ihn direkt nach meiner Beurlaubung einmal kurz gesprochen und hätte mir eine Erklärung seinerseits gewünscht. Das hat auch etwas mit Loyalität zu tun.

AVIVA-Berlin: Sie sind Ehrenmitglied des FCR 2001 Duisburg. Haben Sie überhaupt noch Lust, sich in diesem Umfeld zu engagieren?
Martina Voss-Tecklenburg: Es gibt ganz viele Menschen im Verein, die mir wichtig sind. Alle anderen interessieren mich nicht mehr!

AVIVA-Berlin: Wie und wo sehen Sie Ihre (sportliche) Zukunft?
Martina Voss-Tecklenburg: Mal sehen…. Es gibt viele Optionen.

AVIVA-Berlin: Was erwarten Sie von der deutschen Nationalmannschaft bei der Heim-WM und wie werden Sie persönlich die Spiele verfolgen?
Martina Voss-Tecklenburg: Ich erwarte gar nichts, sondern freue mich auf eine tolle WM und denke, dass wir sehr gute Spiele sehen werden, auch und insbesondere von der deutschen Mannschaft! Ich hoffe, dass ich so viele Spiele wie möglich live sehen kann.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und Ihnen persönlich sowie beruflich alles Gute!


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Beitrag vom 04.03.2011

Sylvia Rochow