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Beitrag vom 10.11.2022
Ein Interview mit Alice Brauner über ihre Arbeit, ihre Familienbiographie und über ihr Buch "Also dann in Berlin ..."
Sharon Adler
"Du musst risikobereit sein, wenn du Filme machst". Sie ist Historikerin, Politologin, Journalistin, Buchautorin, Moderatorin, Film- und Fernsehproduzentin. Die Berlinerin, Geschäftsführerin der CCC Filmkunst GmbH, der CCC Cinema und Television GmbH und der CCC Filmstudios, wurde vielfach für ihre Filme ausgezeichnet und erhielt 2017 den Veuve Clicquot Business Woman Award als mutigste und innovativste Unternehmerin Deutschlands.
Sharon Adler: Wie würdest du deine Kindheit und Jugend in Westberlin beschreiben?
Alice Brauner: Meine Kindheit und Jugend waren wirklich schön, schöner kann man sie sich nicht vorstellen. Ich bin mit drei älteren Geschwistern in einem Haus mit Garten und Schaukeln und Anbindung zum See im Grunewald aufgewachsen. Meine Eltern waren immer für uns da. Selbst mein Vater, von dem ja alle meinen, er sei ständig so hyperbeschäftigt gewesen. Wenn er nicht in den Filmstudios war, dann war er in seinem Büro bei uns zu Hause. Wir waren an Feiertagen immer zusammen, auch an Kindergeburtstagen. Das Tollste daran war für uns das Kino im ausgebauten Keller mit dem 35-Millimeter-Projektor und einer Leinwand. Herr Grohe, der Filmvorführer, hat uns die Karl May-Klassiker, "Winnetou und Old Shatterhand im Tal der Toten", "Der Schatz der Azteken", "Der Tiger von Eschnapur", vorgeführt. Das war für alle immer ein ganz großes Highlight. Ein Freund, Daniel Cukierman, hat gerade in Erinnerung an die alte Zeit aus seinem Keller ein "Artur und Maria Brauner Kino" gemacht. Auch als Jugendliche habe ich Westberlin geliebt. Der "Dschungel" und das "Cha Cha" waren legendäre Läden, in die wir damals alle gegangen sind.
Kindergarten und Schule
Sharon Adler: Welche Erinnerungen hast du an die Jüdische Gemeinde und die jüdische Gemeinschaft?
Alice Brauner: Ich fühlte mich sehr aufgehoben. Rabbiner Weiß war für mich viel mehr eine Art Onkel, als dass ich ihn als große rabbinische Persönlichkeit wahrgenommen hätte. Wir waren mehr in der Joachimsthaler Straße, in der orthodoxen Synagoge, verortet, meine Bat Mitzwa musste ich als Mädchen allerdings in der liberalen Synagoge in der Pestalozzistraße machen, mit meinen auch heute noch engsten Freundinnen Alisa und Rita Goldmann.
Ich weiß nicht, ob das nur in Westberlin so war, aber durch die Freundeskreise der Eltern wurden die Strukturen schon in der Kindheit geschaffen. Die Clique meiner Freunde aus der Zeit im jüdischen Kindergarten besteht bis heute und verreist heute noch manchmal miteinander. Solche Strukturen haben meine Kinder nur teilweise kennengelernt, weil heute alles ein bisschen zerfaserter und zerfranster ist, da es mehr jüdische Schulen, jüdische Kindergärten, jüdische Möglichkeiten gibt.
Aber damals gab es eben nur den Kindergarten in der Delbrückstraße und die Grunewald-Grundschule, wohin die meisten jüdischen Kinder gegangen sind. Es gab kein jüdisches Gymnasium, aber die meisten waren auf der Hildegard-Wegscheider-Schule, die einen sehr großen jüdischen Anteil hatte. Die, die vielleicht ein bisschen ehrgeiziger waren, dazu gehörte ich auch, waren auf dem französischen Gymnasium. Das war eine Zeit, die sehr zusammengeschweißt hat. Ich hatte aber auch viele nichtjüdische Freunde. Darauf habe ich Wert gelegt. Mir ist das Judentum sehr wichtig, ich bin damit großgeworden. Aber eine "Gettoisierung" habe ich immer abgelehnt.
Sharon Adler: Wie habt ihr Judentum bei euch zuhause gelebt?
Alice Brauner: Meinen Eltern waren die Feiertage sehr, sehr wichtig. Meine Mutter hat Freitagabends immer die Schabbat-Kerzen angezündet und zu den Hohen Feiertagen sind wir regelmäßig in die Synagoge gegangen, nicht aber jeden Schabbat, denn oft waren meine Eltern auf Premieren oder sonst irgendwo bei irgendetwas, was mit Film zu tun hatte. Sie waren sehr angesehene Bürger der westdeutschen Gesellschaft, nicht nur in Berlin, und wurden auch von vielen nichtjüdischen Leuten eingeladen.
Aber wir sind traditionell erzogen worden, darauf hat mein Vater großen Wert gelegt. Wir haben alle Feiertage gefeiert, und meine Mutter hat dann traditionell gekocht. Auf die Speisegesetze wurde geachtet, aber eine koschere Küche haben wir nicht geführt. Das war damals in Berlin auch echt schwer möglich. Wir waren kosmopolitisch, überreligiös oder orthodox waren wir überhaupt nicht.
Sharon Adler: Die Jüdische Gemeinde in Westberlin zu der Zeit bestand fast nur aus Überlebenden. Wie hat sich das Leben nach dem Überleben innerhalb der jüdischen Gemeinschaft entwickelt? Wie würdest du diese Grundstimmung beschreiben?
Alice Brauner: Ich habe es als sehr liebevoll erlebt. Damals war man viel enger an Aktivitäten der Jüdischen Gemeinde angebunden, als es heute - auch bei meinen Kindern - der Fall ist. Man hat sehr viele Mitglieder immer wieder gesehen, auch auf allen großen Festlichkeiten, wie auf Bar- und Bat Mitzwen. Die fanden nicht in irgendwelchen Hotels statt, sondern im Großen Gemeindesaal in der Fasanenstraße, der dann entsprechend immer anders dekoriert wurde. Bestimmte Aktivitäten wie Religionsunterricht wurden einfach in der Gemeinde gemacht und dadurch waren wir immer auch räumlich mit der Gemeinde verbunden. Ob es über die zionistische Jugend Deutschlands war, über den Religionsunterricht, einen Kiddusch oder über Festivitäten. Es war wie eine Großfamilie. So habe ich das jedenfalls empfunden.
Das jüdische Westberlin der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre. Maria und Artur Brauner
Sharon Adler: Deine Eltern haben im November 1946 in einem Displaced Persons-Lager im schwäbischen Heidenheim geheiratet. Wie haben sie ihre Existenz im zerstörten Berlin aufgebaut, wie waren die ersten Jahre?
Alice Brauner: Kennengelernt haben sie sich in Stettin am Bahnhof. Beide waren auf der Suche nach überlebenden Familienmitgliedern. Polen kam nicht in Frage, denn dort gab es vor dem Krieg Antisemitismus, während des Krieges und nach dem Krieg. Das hat sie nachhaltig erschüttert und war ein Grund dafür, dass sie Polen für noch antisemitischer hielten als Deutschland.
Mein Opa hat in seinem Tagebuch über die Deutschen vorangestellt, er könne nicht eine ganze Nation für die Verbrechen Einzelner verantwortlich machen und dass es in jeder Nation gute und schlechte Menschen gibt. Und dass sie mit den Deutschen auch die ein oder andere gute Erfahrungen gemacht haben. Sonst hätten meine Mutter und andere nicht überlebt. Also Deutschland. Sie hatten in Stettin noch einen Laden, wo sie Kaffee und alles, was sie bekommen konnten, angeboten haben. Dort hat mein Vater sich schon eine Grundersparnis aufgebaut. Aber er hatte immer die ganz große Vision vom Film. 1946 hat er in Berlin die CCC (Central Cinema Company) gegründet. Josef Einstein, der später mein Onkel wurde, fuhr den ersten Mercedes in Berlin und hatte sich in der Stadt schon einen großen Namen gemacht. Er half meinem Vater bei der Finanzierung und stellte ihm die ganzen Filmleute vor. Für ihn stand sehr früh fest, dass er mit seinen Filmen den Deutschen aufzeigen wollte, was alles passiert ist. Nicht mit moralisch erhobenem Zeigefinger, sondern nach dem Motto: "Ist Euch eigentlich bewusst, welche unfassbaren Grausamkeiten uns angetan wurden?" Das hat er klipp und klar gesagt und das hat er mit "Morituri", seinem ersten Film, der den Opfern der Shoah gewidmet war, dokumentiert.
Meine Mutter hat anfangs bei einigen Filmen als Kostümbildnerin mitgearbeitet. Sie liebte Mode schon immer und hat das daher auch sehr gut bei den Filmen umsetzen könne, bis wir Kinder kamen.
Maria Brauner sel. A.
Sharon Adler: Welche Erinnerungen hast du an das Engagement deiner Mutter in der Jüdischen Gemeinde, an die Menschen, mit denen sie zusammenarbeitete und um die sie sich kümmerte?
Alice Brauner: Meine Mutter ist menschlich so weit oben anzusiedeln, wie man es überhaupt nur sein kann. Sie ist ein Synonym für Werte und Menschlichkeit. Sie war Sozialdezernentin, Gemeinderepräsentantin und Patientenfürsprecherin im Jüdischen Krankenhaus. Mittwochs hatte sie eine Sprechstunde im jüdischen Pflegeheim und dienstags im jüdischen Seniorenheim. Ich war oft dabei, vor allem, als ich noch studiert habe. Sie hat den Menschen nicht nur die Hand gehalten, sondern hat auch kontrolliert, ob es genug Nachthemden und genug Unterwäsche gibt und ob Löcher drin sind. Regelmäßig hat sie alles aus eigener Tasche neu besorgt und in die Schränke einsortiert, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Diesen Menschen zur Seite zu stehen, war für sie neben der Familie die wichtigste Verpflichtung, eine essenzielle Aufgabe und ihr absoluter Lebensinhalt. Sie hat gesehen, dass sie, obwohl sie den Krieg miterlebt hat, auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurde. Also musste sie anderen Menschen helfen, die nicht das Glück hatten. Meinen Vater hat sie bekniet, er solle Geld anlegen, damit sie Dekubitus-Matratzen für die bettlägerigen Patient/innen, damit diese sich nicht wundliegen, kaufen kann. Und so ist es dann auch gelaufen. Sie hat sehr viel privates Geld in die Hand genommen, um zu helfen. Aber Geld war gar nicht das Entscheidende, es war ihre Anwesenheit. Sie hat sich für jeden einzelnen stundenlang Zeit genommen. Jeder hat sich auf Maria Brauner gefreut, auch die Schwestern: "Ah, Maria Brauner kommt" hieß es dann immer, und dann gab es erst mal Frühstück in deren Küche im Seniorenheim oder im Pflegeheim. Meine Mutter wurde abgöttisch geliebt und zu Recht bewundert.
Sharon Adler: Du hast als Referentin bei der Stiftung "Survivors of the Shoah Visual History Foundation" gearbeitet und Interviews mit Überlebenden geführt, darunter auch mit deiner Mutter. Was hat dich besonders berührt?
Alice Brauner: Eigentlich durfte man wegen der emotionalen Nähe keine Interviews mit Angehörigen führen. Die Interviews waren ja sehr standardisiert: 20 Prozent Vorkriegszeit, 60 Prozent Kriegszeit, 20 Prozent Nachkriegszeit. Und wir wurden sehr gut darauf vorbereitet und ausgebildet. Das Interview mit meiner Mutter ist mir nicht schwergefallen, weil sie mir vorher schon viel erzählt hat. Interessant war es, dass meine Mutter, die sonst immer extrem ausufernd, sehr blumig und ausschmückend erzählt hat, und im positivsten Sinne zu Übertreibungen neigte, sachlich und punktuell immer gleich war, wenn es um ihre Lebensgeschichte ging. Die Erinnerungen hatten sich in ihrem Gehirn eingebrannt.
Als Historikerin habe ich gemeint, vieles zu wissen und glaubte, nichts könne mich mehr schockieren. Aber ich konnte längst nicht so viele Interviews führen wie ich wollte, denn obwohl ich ein sehr starker Mensch bin, musste ich damit aufhören, als ich schwanger wurde. So sehr hat mich das mitgenommen. Später habe ich die Foundation auf Veranstaltungen als Referentin vorgestellt.
Sharon Adler: Deine Eltern haben fast ihre gesamten Familien in der Shoah verloren. Schon bald wird es keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr geben, die von den Verbrechen der Shoah berichten können. Wie sollte deiner Meinung nach Erinnerungskultur mit Blick auf die Jugend und die nachfolgenden Generationen gestaltet sein?Alice Brauner: Ich kann allen nur dringend empfehlen, aufzuschreiben, was ihnen ihre Eltern, berühmt oder nicht, erzählt haben. Dass das extrem wichtig ist, sehe ich auch an meinen eigenen Kindern. In meinem Freundeskreis wurden einige durch mein Buch "Also dann in Berlin ..." dazu motiviert, in ihrer Familiengeschichte nachzuforschen und sie aufzuschreiben. Auch über das Medium Film lassen sich viele Menschen erreichen. Das habe ich selbst erfahren.
Als ich unseren Film "Wunderkinder" in den neuen Bundesländern vorgestellt habe, "begrüßten" mich in einem Kino zwei der eingeladenen Jugendlichen zwischen 12 und 14 Jahren mit dem Hitlergruß. Wohl so eine Art Mutprobe, um besonders cool zu sein. Die Lehrer wollten die sofort aus dem Kino befördern, aber ich ging zu ihnen rüber und habe sie dazu aufgefordert, den Film zu gucken. Nur so werden sie mit der Realität, in dem Fall mit der filmischen Realität, konfrontiert. Sie waren danach so klein mit Hut und haben sich nicht mehr getraut, was zu sagen. Weil es etwas bei ihnen ausgelöst hat. Wenn es nach meiner politischen Auffassung ginge, würde ich auf die Antisemitismusbeauftragten verzichten und eine therapiebasierte Sozialisation mithilfe von regelmäßigen Filmvorführungen mit anschließender Diskussion mit dem oder der Geschichtslehrer/in vorschlagen.
(Fehlende) Auseinandersetzung mit NS in den 1950er-Jahren
Sharon Adler: Viele der von deinem Vater produzierten Filme befassen sich neben Unterhaltung und Komödie mit NS-Themen. Wie wurden diese Filme von der Öffentlichkeit aufgenommen?
Alice Brauner: In der bundesdeutschen Geschichte der 1950er-Jahre wurde "Morituri" schwerstkritisiert und nach zwei Tagen aus dem Kino rausgenommen. Die Vitrinen, in denen die Fotos und Plakate hingen, wurden eingeschlagen. Mit "Zeugin aus der Hölle" hat mein Vater dann noch einen weiteren Versuch gemacht. Für mich einer der besten Filme mit Irene Papas, und ein extrem guter Film über den Holocaust. Er ist angelehnt an eine Zeugin aus den Auschwitz-Prozessen, die, als sie aussagen wollte, von Neonazis schwerstbedroht wurde. Ein Schwarz-Weiß-Film, den wir digitalisiert und als DVD neu herausgebracht haben. Erst später, als mein Vater gesehen hat, wieviel Verlust er damit macht und dass er seine Familie so nicht ernähren kann, hat er diese ganzen spektakulären Karl May-, Dr. Mabuse- und Edgar Wallace-Filme und die Komödien sehr erfolgreich produziert. Bis heute verkaufe ich die Filme sehr gut ans deutsche Fernsehen, aber auch ins Ausland. Und erst, als er sich finanziell ein so großes Polster geschaffen hat, dass es ihm letztendlich komplett egal war, ob diese Filme kommerzielle Erfolge werden oder wirtschaftliche Maximalflops, hat er all das verfilmt, was ihm am Herzen, was ihm auf der Seele lag, was ihm wichtig war. Er hat immer gesagt, dass er "diese Geschichten bis an mein Lebensende erzählen muss" - und das hat er dann auch getan.
"Filme gegen das Vergessen"
Sharon Adler: Was ist dir an der Reihe "Filme gegen das Vergessen" besonders wichtig?
Alice Brauner: Dass hier nicht mit einem anklagenden Zeigefinger auf die Schuldigen gezeigt wird, sondern dass man versteht, wie es überhaupt zu all dem Hass, der Diskriminierung, der Entrechtung, der Demütigung und schlussendlich der Ermordung kommen konnte. Und dass es damals die Juden waren, aber es durch Intoleranz und Herrenmenschendenken irgendwann jeden treffen kann!
"Marina, Mabuse und Morituri. 70 Jahre Deutscher Nachkriegsfilm im Spiegel der CCC"
Sharon Adler: Mit deiner Doku setzt du deinem Vater ein filmisches Denkmal. Was würdest du aus deiner Sicht als Tochter, aber auch als Historikerin, sagen, sind seine wichtigsten Verdienste (für den deutschen Film, für das Medium Film als Mittel gegen das Vergessen, für die Erinnerung an jüdische Regisseure, die aus Deutschland vertrieben wurden)?
Alice Brauner: Zunächst einmal war es grundsätzlich für die bundesdeutsche Filmgeschichte unfassbar wichtig, dass mein Vater sich mit den Studios in Berlin angesiedelt hat. Die CCC Filmkunst gehörten zu den meistfrequentierten Studios - er hat ja nicht nur seine eigenen Filme gedreht - in den Ateliers entstanden vor allem auch viele nationale und internationale Fremdproduktionen. Und er hat Berlin das Gesicht und die Wichtigkeit als Filmstadt und als Filmstandort zurückgegeben. Dass er 25 Filme den Opfern des Holocaust und der jüdischen Sache gewidmet hat, verleiht ihm meiner Meinung nach bis heute weltweit eine herausragende Stellung in der Filmlandschaft. Das war sehr mutig, denn er hat sich dadurch auch angreifbar gemacht. Ich habe das Gefühl, dass mit jedem Jahr, das vergeht, diese Filme wie "Babij Jar", "Hitlerjunge Salomon" oder "Die Spaziergängerin von Sans-Souci", die teilweise beim Publikum nicht den Erfolg generieren konnten, den sich mein Vater gewünscht hätte und den sie verdient hätten, sich heute einer zunehmenderen Wertschätzung erfreuen.
Sharon Adler: 2009 bist du offiziell in die CCC Filmkunst eingestiegen. Heute bist du als Geschäftsführerin der CCC Filmkunst GmbH, der CCC Cinema und Television GmbH und der CCC Filmstudios als Film-, Fernseh- und Web-Produzentin tätig. Was waren (und sind) die größten Herausforderungen?
Alice Brauner: Ich bin mit Film großgeworden. Mein Vater hat mich Drehbücher lesen lassen, ich durfte Kalkulationen einsehen, er hat mir erklärt, was man beim Rohschnitt beachten muss. Aber ich habe nie die Herstellung eines Films gemacht. Ich wäre auch nie angetreten, wenn er mich nicht mit dem Satz gefragt hätte: "Du kannst nicht alles das untergehen lassen, was ich aufgebaut habe." Mein Fokus heute liegt ganz klar darauf, als eines der ganz wenigen noch unabhängigen Film-Produktionsunternehmen, als das älteste in Deutschland seit dem Krieg und noch aktiv produzierende, unabhängig zu bleiben.
Wichtig ist mir auch, sich als Frau in dieser Branche behaupten zu können, denn das Filmbusiness ist schon eine männerdominierte Gesellschaft, vor allem im Produktionsbereich. Ich rede jetzt nicht von Regisseurinnen oder von angestellten Producerinnen. Du musst risikobereit sein, wenn du Filme machst, und du musst sehr gut kalkulieren können.
Durch die drei Säulen des CCC Unternehmens kann ich letztendlich immer auch querfinanzieren, was sehr wichtig ist. Aus den Gewinnen aus der Library - das sind über 260 Kinofilme - und eben auch den Studios. Ich habe außerdem erkannt, dass die Studios saniert werden müssen, damit sie eine Zukunft haben. Der gesamte Studioanteil der ersten deutschen Netflix-Serie "DARK" wurde dann 2017 komplett in den CCC Filmstudios gedreht. Zudem wurde der gesamte Studioanteil von "Ku‘Damm 59" in allen drei Ateliers gedreht. Jetzt sind sie schon fast zu klein für all das, was angefragt wird. Ich muss viele Serien ablehnen, weil die Serien-Produktionen in der Regel ein Dreivierteljahr drin sind. Das ist sehr schwer für mich, ehrlich gesagt. Ganz wichtig in jedem der drei Bereiche ist die Akquise. Da musst du schon ein Alphatier sein.
Darstellung von Judentum, Juden und Jüdinnen im Film
Sharon Adler: Du schreibst in deinem Buch "Also dann in Berlin ... ", dass du planst, das Erbe deines Vaters, "Filme gegen das Vergessen", fortzuführen, und dafür neue Erzählformen entwickeln willst. Wie kann Film Klischeebildern von Jüdinnen und Juden entgegenwirken? Welche Bilder willst du vermitteln?
Alice Brauner: Da gibt es die verschiedensten Erzählformen, und das darf nicht nur in Form von historisch-traurigen Filmen passieren, sondern es muss eben auch manchmal einfach die Culture-Clash-Komödie oder eine romantische Komödie sein, die auch aufzeigen: Es gibt Unterschiede, aber es gibt auch Unterschiede, die man überwinden kann. Und es gibt Gemeinsamkeiten. Ich finde, dass man das unbedingt zeigen sollte.
Das gelingt vor allem in den Komödien wie "So ein Schlamassel", die ein bisschen verspielt jüdische Klischees aufzeigen und so brechen können. Juden müssen nicht immer Ärzte oder Rechtsanwälte sein, sie können auch mal eine Autowerkstatt haben, wie bei "Matze, Kebab und Sauerkraut". Wichtig ist auch, dass man Jüdisches auch mal so erzählt wie bei "Crescendo #makemusicnotwar", und dass man eben nicht nur den Holocaust beleuchtet, sondern auch das, was aus dem Holocaust entstanden ist. Nämlich die Generationen der Nachkommen von Überlebenden, die in Israel groß geworden sind und dort aufgrund einer Situation, für die sie gar nichts können, im arabisch-israelischen Konflikt leben.
Sharon Adler: Welche Erfahrungen hast du in Bezug auf Einordnungen und Zuschreibungen im Kontext Filmvorhaben gemacht wirst du auf ein Genre festgelegt: das Jüdische? Falls ja: Gibt es Herausforderungen hinsichtlich der Realisierung von Filmprojekten anderer Genres?
Alice Brauner: Unbedingt. Leider komme ich nicht mit allen Filmprojekten durch, die ich gerne machen würde. Ich habe den Redaktionen auch viele andere Stoffe angeboten und habe damit nicht überzeugen können. Nicht mit einem einzigen. Und ich glaube tatsächlich, es waren gute Sachen dabei, Bücher, die ich optimiert hatte, Teaser, die ich gedreht habe. Ich kann mich seit Jahren des Eindrucks nicht erwehren, dass unser Unternehmen imaginär etikettiert beziehungsweise in die Schublade mit der Aufschrift "Die Holocaust-Experten" gesteckt wird. Und das finde ich in meinem Produzentinnenleben schon recht traurig und bin sehr glücklich, dass ich jetzt ein Projekt mache, was damit nichts zu tun hat.
Sharon Adler: Woran arbeitest du aktuell, was sind deine zukünftigen Themen, Pläne und Visionen als Producerin und Geschäftsführerin?
Alice Brauner: Ich wollte gemeinsam mit meinen Partnern, mit denen ich auch "Jüdisch in Europa" produziert habe die Geschichte von Jens Söring fiktional verfilmen, habe mich intensiv damit beschäftigt und viel recherchiert. Ich bin ja ausgebildete Journalistin. Weil wir die Filmrechte nicht bekommen haben, sind wir dabei, eine Doku zu entwickeln. Ab dem 22. Februar 2022 läuft zunächst "Das System Söring" als True-Crime-Podcast in acht Teilen. Die Doku folgt.
Außerdem: Es ist der Drehbeginn für einen Stoff avisiert, der mir als Frau sehr wichtig ist - obwohl ich mich selbst nicht unbedingt als Feministin bezeichne, eher als eine sehr starke Frau wie meine Mutter und als jemand, die Frauen in jedweder Hinsicht unterstützen will. Während der Coronazeit habe ich die Künstlerin Gabriele Münter entdeckt, denn ich war oft in den Ammergauer Alpen, im sogenannten "blauen Land". Die Familie meines Mannes hat ein Haus in Unterammergau.
Bei einem Spaziergang kam ich nach Murnau, wo Gabriele Münter gelebt hat. Ihr Wohnhaus und Atelier ist heute ein Museum. Ich habe mich immer mehr in ihre Geschichte und die Thematik des "Blauen Reiters" vertieft und mich durch 65 Bücher gelesen. Und durch die Original-Briefwechsel zwischen ihr und Wassily Kandinsky, zwischen Kandinsky und Franz Marc, zwischen August Macke und Franz Marc. Das hat mich so fasziniert, dass ich beschloss, zum ersten Mal selber ein Drehbuch zu schreiben. Und das ist gut angekommen.
Mein Regisseur, Marcus O. Rosenmüller, mit dem ich schon "Wunderkinder" gemacht habe, fand es sensationell. Er ist auch am Tegernsee aufgewachsen, er kennt also die bayerische Geschichte dieser großen Künstler und Künstlerinnen der Moderne. Er hat das Drehbuch ein bisschen filmischer bearbeitet, weil ich noch keine so tolle Drehbuchautorin bin, dass man gleich die erste Fassung hätte verfilmen können. Zeigen werden wir die toxische Liebe zwischen Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, aber es wird definitiv eine Geschichte aus ihrer Perspektive. Das ist mir deshalb so wichtig, weil sie den Blauen Reiter maßgeblich mitgestaltet hat, aber immer nur in seinem Schatten wahrgenommen wurde. 2021 wurde zum ersten Mal ein Bild von ihr in siebenstelliger Höhe verkauft. Ich finde sie extrem faszinierend. Diese Geschichte muss erzählt und viel mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden - und wenn ich mein ganzes Eigenkapital dafür in die Hand nehmen muss! Mein Vater hat mir mal gesagt: "Alle zehn Jahre kannst du einen Film machen, in den du viel eigenes Geld reinsteckst." Und das ist dieser Film für mich. Für die Hauptrolle konnten wir bereits Anna Maria Mühe gewinnen. Der Arbeitstitel lautet "Im Schatten Kandinskys. Gabriele Münter, die blaue Reiterin." Ich bin sehr glücklich über dieses neue Projekt!
Das Buch: "Also dann in Berlin ..." Artur und Maria Brauner - Eine Geschichte vom Überleben, von großem Kino und der Macht der Liebe, Frankfurt/M. 2021.
Zum Buch www.fischerverlage.de
Mehr Infos zu Alice Brauner und zum CCC Unternehmen:
www.ccc-film.de
www.ccc-film.im-netz.de/filme-gegen-das-vergessen
Dieses Interview ist in der von Sharon Adler (AVIVA-Berlin, Stiftung Zurückgeben) mitherausgegebenen Reihe "Jüdinnen nach 1945. Erinnerungen, Brüche, Perspektiven" am 15.2.2022 im Deutschland Archiv online der bpb erschienen.
Link: www.bpb.de
Zitierweise: "Alice Brauner: "Du musst risikobereit sein, wenn du Filme machst", Interview mit Alice Brauner, in: Deutschland Archiv, 15.2.2022, Link: www.bpb.de
Copyright Text + Fotos von Alice Brauner: Sharon Adler
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autorinnen: Alice Brauner, Sharon Adler für bpb.de
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