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Beitrag vom 04.02.2011
Mariangela Giaimo, Journalistin aus Uruguay, zu Besuch bei AVIVA-Berlin
AVIVA-Redaktion
Auf Einladung des Goethe-Instituts verbrachte die Journalistin und Wissenschaftlerin aus Montevideo einige Wochen im winterlichen Berlin. In der AVIVA-Redaktion kam es zu einem anregenden Gespräch...
... über Frauenbilder in europäischen und lateinamerikanischen Medien, den schwierigen Einstieg in den Journalismus und die allmähliche Aufarbeitung der Militärdiktatur in ihrem Heimatland.
Mariangela Giaimo, geboren 1975 in Montevideo, studierte an der Universidad Católica del Uruguay Soziale Kommunikation. Seit 2005 hat sie dort eine Professur inne und ist daneben Dozentin für Kommunikation im Fachbereich Architektur an der Universidad de la República.
Im Jahr 2003 bekam Giaimo mit einer Arbeit zum Thema "Das Phänomen Konsum – betrachtet aus einem sozio-semantischen Blickwinkel" ein Forschungsstipendium in Italien und arbeitete an der Universität Bologna am Institut für Kommunikationswissenschaften.
Zurzeit lehrt und forscht sie im Fachbereich Sozialarbeit an der Universidad de Buenos Aires. Parallel ist Giaimo seit vielen Jahren journalistisch tätig, unter anderem für die uruguayische Wochenzeitung Brecha.
In ihren journalistischen und wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt sie sich mit Körper- und Schönheitskultur, Sexualitäts-Phänomenen und Medienkommunikation. Auch politische Themen wie die Aufarbeitung der Militärdiktatur im Uruguay der siebziger und achtziger Jahre waren wiederholt Thema ihrer Artikel und Reportagen.
Im Rahmen ihrer Einladung besuchte sie die Redaktionen verschiedener Zeitungen und Radiostationen, Uni-Institute und Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg. AVIVA-Berlin traf die 35-Jährige zum Dialog.
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v.l.n.r. Andrea Ruf, Sharon Adler, Mariangela Giaimo |
AVIVA-Berlin: Du arbeitest selbst als Journalistin, wie bewertest du die Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten in den Journalismus für Frauen in Uruguay?
Mariangela Giaimo: Bei uns sind die meisten Absolventinnen dieses Studiengangs Frauen. Leider sind ihre Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt, im Berufsalltag sind es vor allem Männer die stark vertreten sind. Auch die Repräsentation nach außen wird vorwiegend von der männlichen Seite dominiert, sie sind meist im Vordergrund aktiv, während die Frauen hinter den Kulissen zuarbeiten. Die Ursache dafür sind die begrenzten Möglichkeiten, die den Frauen zur Verfügung stehen. Es gibt keine Organisationen oder Zusammenschlüsse, die sich für sie einsetzen, keine Hilfsmittel, die Frauen bei der Aufteilung von Berufs- und Privatleben unterstützen. Folglich ist es für Frauen, die eine Familie gründen wollen sehr schwer auch beruflich Erfolg zu haben. In der Medienbranche ist die soziale Ungerechtigkeit vorherrschend und wird noch nicht ausreichend bekämpft.
AVIVA-Berlin: Du hast ja auch einige Zeit in Italien gelebt. Dort ist die Repräsentation von Frauen in den Medien und insbesondere im Fernsehen ja sehr problematisch. Wie sieht es denn mit den Darstellungen von Frauen im uruguayischen Fernsehen aus?
Mariangela Giaimo: Da gibt es eine sehr enge Verbindung zwischen den lateinamerikanischen und südeuropäischen Ländern. Unsere Kultur ist sehr stark an die äußerliche Erscheinung gebunden.
Die Mehrheit der Fernsehsendungen im uruguayischen Fernsehen wird in Argentinien, genauer gesagt, in Buenos Aires produziert. Die Frauen werden darin als totale Objekte, als reine Körper dargestellt. Das, was für eine Frau zählt, ist ein möglichst großer Hintern und riesige Brüste. Viele Frauen und Mädchen unterziehen sich daher Schönheitsoperationen, um dem propagierten Bild von weiblicher Schönheit entsprechen zu können. Es ist in Uruguay nichts Ungewöhnliches, wenn ein Mädchen zum 18. Geburtstag nicht den Führerschein, sondern eine Brustvergrößerung geschenkt bekommt.
Die Konsequenz dieser medialen Darstellung von Frauen ist eine absolut massifizierte und uniforme Erscheinung von Weiblichkeit. Da alle Frauen im Fernsehen und in den Medien absolut gleich aussehen, gibt es keine Vielfalt von Weiblichkeitsbildern mehr.
Das Frauenbild beschränkt sich aber nicht ausschließlich auf die Körper, sie beeinflusst auch die weibliche Rolle. Die Frau im uruguayischen Fernsehen begleitet immer einen Mann. Sie hat also sozusagen den Zweck, das Fernsehbild zu verschönern und hat dabei kaum etwas zu sagen. Der Körper des Mannes steht dagegen nie im Vordergrund. Bei ihm zählt allein, was er zu sagen hat.
AVIVA-Berlin: Im Zuge deines Berlin-Besuchs konntest du deutsche Gedenkstätten wie das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen und die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen besichtigen. In deinem Heimatland hast du dich journalistisch intensiv mit der Aufarbeitung der Militärdiktatur in den siebziger und achtziger Jahren beschäftigt. Wie würdest du den dortigen Stand der Aufarbeitung beschreiben? Hat sich seit 1985 eine Art Erinnerungskultur entwickelt?
Mariangela Giaimo: Diese Frage nach einer übergreifenden Erinnerungskultur in Uruguay ist schwer zu beantworten. Es geht dort ja um eine Episode der neueren Geschichte, einer vergleichbar jungen Vergangenheit, die im kollektiven Bewusstsein noch sehr präsent ist.
Viele Menschen in Uruguay trauen sich auch heute noch nicht, öffentlich über die Jahre der Diktatur zu sprechen – auch viele der Opfer, die sehr unter dem Regime gelitten haben. Und wenn sie sich entschließen, darüber zu sprechen, unterscheidet sich die Art und Weise,
wie sie sich erinnern, sehr stark. Es gibt eben nicht nur eine Erinnerung.
Mit dem Beginn der neunziger Jahre hat ein allmählicher Prozess der Aufarbeitung eingesetzt, es erschienen viele Publikationen und Filme zu den Jahren unter der Diktatur.
Seit mit den Wahlen 2004 erstmals ein Mittelinksbündnis an der Regierung ist, wurde ein gesellschaftlicher Diskurs zum Thema Menschenrechte und zur Aufarbeitung angestoßen, was in den Jahren zuvor unter den national und rechts ausgerichteten Regierungen nicht möglich war.
Seitdem existiert in den Schulen ein Pflichtfach zur Aufarbeitung der Militärdiktatur und es wurde der Begriff des
"nunca más" (
"nie wieder") geprägt. In Montevideo wurde das
Centro Cultural y Museo de la Memoria geschaffen – ein staatliches Museum, das von ehemaligen politischen Gefangenen verwaltet wird.
Ein trauriges Kapitel kollektiver Erinnerungskultur ist der Umgang mit den ehemaligen politischen Haftanstalten: Das Frauengefängnis
Punta de Rieles wird derzeit wieder als Strafanstalt genutzt. Das Gebäude des ehemaligen Gefängnisses
Punta Carretas in Montevideo beherbergt heute ein Shopping-Center! Dies sagt viel über moderne uruguayische Gesellschaft aus, die heutzutage wesentlich von ökonomischen Interessen geprägt ist.
AVIVA-Berlin: Uruguay ist ja ein Immigrationsland. Auch viele Juden und Jüdinnen sind nach Uruguay immigriert. Was macht die jüdische Community von Heute aus?
Mariangela Giaimo: Uruguay hat eine sehr große jüdische Community, deren Präsenz bereits seit dem Beginn der Konsolidierung des uruguayischen Staates sehr stark ist. Es existieren Schulen, Bildungsinstitutionen und ein großes Netzwerk, das die jüdische Kultur im Land stärkt und pflegt. Der Forscher Rafael Porzecansky hat erläutert, dass die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft im typischen Falle der städtischen Mittelschicht angehören und eine Tendenz dazu zeigen, in Krisenzeiten zu emigrieren. Das geschah beispielsweise auch während der großen Krise in Argentinien und Uruguay im Jahr 2002, als tausende UrugayerInnen und ArgentinierInnen gezwungen waren, nach Europa und in andere Länder der Welt auszuwandern. Die JüdInnen sind oft Personen mit unternehmerischer Beschäftigung, die den Glauben nicht ausüben, aber viele Riten und Traditionen aufrechterhalten.
AVIVA-Berlin:Wie viele JüdInnen Leben heute in Uruguay?
Mariangela Giaimo Heute haben in Uruguay etwa 30.000 Personen von einer Gesamtbevölkerung von etwas über drei Millionen Einwohnern einen jüdischen Ursprung. Es handelt sich also um eine sehr starke und besonders gut organisierte Community, die außerdem in sehr enger Verbindung mit der argentinischen Gemeinschaft steht.
AVIVA-Berlin: Ist Antisemitismus ein Thema in der Gesellschaft Uruguays?
Mariangela Giaimo: Wir haben keine großen Probleme mit Antisemitismus erlebt. Sicherlich kommen auch in Uruguay Beleidigungen und Vorurteile gegen jüdische Menschen vor, aber bisher ist dies nicht auf öffentlicher Ebene geschehen. Vor ein paar Jahren wurde eine Staatsbeamter aufgrund seiner jüdischen Abstammung beleidigt, aber der Aggressor wurde von der Justiz schnell wegen Aufhetzung zum Hass verurteilt. Dieser Erfolg wurde von der Gesellschaft nicht aufgegriffen, sicherlich deswegen, weil diese sich absolut nicht als antisemitisch betrachtet - ob sie es ist oder nicht, sei dahingestellt.
Abgesehen davon schließen sich alle politischen Parteien den Aktivitäten an, die die verschiedenen jüdischen Vereinigungen wie beispielsweise das "Israelische Zentralkomitee Uruguays" zum Zweck des aktiven Gedenkens organisieren. Das alles bewirkt eine diskursive Hegemonie über den multikulturellen und multireligiösen Charakter der uruguayischen Gesellschaft. Hinzu kommt, dass die Medien den Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft viel Platz einräumen.
Weitere Infos zu Mariangela Giaimo unter:
www.mariangelagiaimo.netWeiterlesen auf AVIVA-Berlin:Sandra Boccia, brasilianische Marie Claire-Redakteurin, zu Besuch bei AVIVA-Berlin