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Beitrag vom 15.01.2011
Interview mit Jeanne Balibar
Yasmine Georges
Die französische Schauspielerin und Sängerin kam im Dezember 2010 im Rahmen des 5. Weltkinofestivals "Around The World In 14 Films" zur Berlin-Premiere ihres neuen Films "Im Alter von Ellen".
Mit AVIVA-Berlin sprach sie über ihre Rolle, die deutsche Sprache und unerwartete Wendungen im Leben.
Jeanne Balibar ist eine der bekanntesten französischen Schauspierinnen. Nach ihrem Tanz-, Theater- und Geschichtsstudium in Cambridge und Oxford besuchte sie die Europäische Schauspielschule (Cours Florent) und drei Jahre lang das Conservatoire in Paris.
Bereits viermal war sie für den César nominiert, unter anderem für ihre Rolle in "Bonjour Sagan", außerdem wurde sie mit dem "Best Actress Award" auf dem "San Sebastian Festival" und dem "Thessaloniki Festival" ausgezeichnet. Neben den Filmen tritt sie auch weiterhin am Theater auf, zuletzt 2010 in Anton Tschechows Stück "Der Kirschgarten" in Paris. Auch musikalisch ist Jeanne Balibar aktiv: Zwei Alben hat sie bisher veröffentlicht. "Paramour" kam 2003 auf den Markt, "Slalom Dame" folgte 2006.
AVIVA-Berlin: Für "Im Alter von Ellen" haben Sie das erste Mal eine Rolle in einem deutschen Film angenommen. Wie haben Sie den Sprachwechsel empfunden, war es schwer sich umzugewöhnen?
Jeanne Balibar: Am Anfang war es schwer. Man muss sich daran gewöhnen in einer anderen Sprache zu sprechen. Heute fühle ich mich sicherer, ich bin vorgestern in Berlin angekommen und hatte Zeit mich anzupassen. Aber als wir den Film drehten, war ich zwei Jahre lang nicht mehr in Deutschland gewesen und habe fast zwei Wochen gebraucht bis ich mich wieder in die deutsche Sprache eingefunden hatte und flüssiger sprechen konnte.
AVIVA-Berlin: Wie war denn die Arbeit mit der deutschen Crew?
Jeanne Balibar: Schön! Ich mag die Deutschen sehr. Ich finde, sie sind zugleich ernster und lustiger als die Franzosen. Und das gefällt mir.
AVIVA-Berlin:Der Film beschäftigt sich vor allem mit Fragen des Tierschutzes, ist das ein Thema mit dem Sie sich selbst auch identifizieren können?
Jeanne Balibar: Nein, überhaupt nicht. Ich muss sagen, dass ich Tierschutz im Allgemeinen sehr wichtig finde, aber wie Ellen bin ich mir nicht sicher, ob diese Form von Aktion und politischem Aktivismus das Beste ist. Ich finde diese Art von Radikalismus nicht effektiv. Ich denke, dass Lobbys, die sehr mächtig sind, in dieser Frage entscheiden und meiner Meinung nach kann man diese Lobbys nicht mit derartigen Waffen bekämpfen.
AVIVA-Berlin: Die Figur, die Sie in "Im Alter von Ellen" darstellen, verändert sich nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten sehr schnell und auch sehr radikal. Haben Sie selbst schon Erfahrung mit solchen Brüchen im Leben?
Jeanne Balibar: Ja, die habe ich durchaus. Ich denke, das Leben ist mit Brüchen gepflastert, daher konnte ich mich auch sehr stark mit der Figur identifizieren. Dank dieses Verständnisses habe ich auch eigene Impulse einbringen können, was letztendlich auch in der Verantwortung einer Schauspielerin liegt.
AVIVA-Berlin: Neben der Schauspielerei sind Sie auch im musikalischen Bereich tätig und haben bisher zwei Alben veröffentlicht. Wie halten Sie die Balance zwischen filmischen und musikalischen Projekten?
Jeanne Balibar: Ich sehe mich nicht als Sängerin, sondern als eine Schauspielerin, die singt. Ich glaube, diese Tradition ist wunderschön und sie hat meiner Meinung nach auch sehr viel mit Deutschland zu tun und mit dem, was die Deutschen nach Hollywood gebracht haben. Ich mag diese Tradition und das macht alles ganz selbstverständlich für mich. Ich bin Theater- und Filmschauspielerin und aus dieser Arbeit schöpfe ich die Ideen für meine musikalischen Projekte. Man könnte es so formulieren: Drei Viertel der Zeit bin ich Schauspielerin und ein Viertel der Zeit bin ich Sängerin.
AVIVA-Berlin: Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen?
Jeanne Balibar: Ich habe immer sehr viel gesungen und wurde oft gefragt, ob ich auch auf der Bühne oder im Film singen könnte. Das habe ich sehr gerne gemacht. Außerdem sind die Welt der Musik und der Schauspielerei nicht sehr verschieden, es gibt viele Parallelen. Ein guter Musiker-Freund aus Frankreich hat mir angeboten eine Platte für mich zu machen und, da ich auch zuvor immer viel gesungen hatte, zum Beispiel in Filmen, aber auch privat, habe ich zugestimmt.
AVIVA-Berlin: Haben Sie vor, in nächster Zeit ein neues Album auf den Markt zu bringen?
Jeanne Balibar: Da bin ich noch nicht ganz sicher. Wir überlegen, ob es eine neue CD wird oder eher eine Musik-DVD. Da es um die Musikindustrie momentan nicht so gut steht und ich gerne auf der Bühne singe, würde sich das anbieten, auch weil das Set ziemlich gelungen ist. Wir sind aber noch dabei zu entscheiden, was das Beste ist.
AVIVA-Berlin: Wenn Sie wählen müssten, welchem schauspielerischen Zweig - dem Film oder dem Theater - würden Sie den Vorzug geben?
Jeanne Balibar: Ich sehe nichts als Priorität, es kommt wie es kommt. Ich richte mich nach den Angeboten. Als Zuschauerin würde ich mich wohl eher als Filmzuschauerin sehen, weil das Theater im Moment nicht so aufregend ist wie früher. Aber das ist einfach mein Leben. Ich bin eine Zuschauerin, die schon immer für Filme und das Theater gelebt hat. Ja, generell sehe ich mich mehr als Zuschauerin, die mitmacht, denn als Schauspielerin.
AVIVA-Berlin: Nach ihrem Geschichtsstudium haben Sie sich der Schauspielerei zugewandt, war das eine spontane Entscheidung oder die Erfüllung eines lang gehegten Traumes?
Jeanne Balibar: Ich glaube, diesen Wunsch hatte ich schon länger. Aber in meiner Familie von Akademikern war das unvorstellbar. Weil der Umgang mit der Kunst dort sehr zaghaft vonstatten ging. In meiner Familie wird die Kunst sehr sakralisiert und die Begabungen werden anderen zugeschrieben. Allmählich kam mir aber das Bewusstsein, dass auch ich eine künstlerische Fähigkeit besitze und dass ich in diesem Bereich auch Erfolg haben könnte.
AVIVA-Berlin: Noch eine Frage zum Film: Nach ihrer Panikattacke wendet sich die Hauptfigur von ihrem bisherigen Leben ab, wie würden Sie Ellens Reaktion auf die Trennung von ihrem Lebensgefährten Florian bewerten? Finden Sie sie übertrieben?
Jeanne Balibar: Nein, überhaupt nicht. Ich finde sie sehr lebendig und auch vernünftig. Ich denke, das ist das Vernünftigste, was man in einer solchen Situation machen kann, das, was wir im realen Leben nie machen. Oder vielleicht tun wir es doch, aber langsam. Nach einer wichtigen Trennung ändert sich alles und man wird zu einer anderen Person. Diese Veränderung kann über zwei Jahre gehen, in dem Film ist sie sehr komprimiert dargestellt, wie es der Kunst zu Eigen ist. So kann man den Prozess beobachten und dabei zuschauen wie sich die Person verändert. Was im echten Leben nur allmählich geschieht, ist im Film einfach zusammengefasst.
AVIVA-Berlin: Sie sehen Ellens Reaktion auf die Trennung durchaus positiv, denken Sie Ellen könnte ein Vorbild sein?
Jeanne Balibar: Ja, ich denke schon. Ellens Offenheit ist vorbildlich.
AVIVA-Berlin: Sehen Sie Ellen als Opfer der Umstände?
Jeanne Balibar: Nein, Ellen ist kein Opfer. Sie entscheidet alles, das ist ihre Freiheit und ihre Stärke. Sie ist eine selbstbestimmte Frau.
AVIVA-Berlin: Wie steht es mit zukünftigen Projekten, haben Sie schon etwas in Aussicht?
Jeanne Balibar: Ach, da gibt es ganz viel. Mein nächstes Projekt ist eine leichte Komödie von Charlotte de Turckheim, eine legendäre Regisseurin und Stand-Up Comedian. Dann mache ich einen Film in Belgien und dann noch ein Engagement am französischen Theater. Ich werde in "Die Kameliendame" mit Frank Astor zu sehen sein.
AVIVA-Berlin: Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und vielen Dank für das Interview!
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