Tareto Maa - Hilfe für Mädchen in Kenia - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 04.10.2010


Tareto Maa - Hilfe für Mädchen in Kenia
Clarissa Lempp

Gladys Kiranto gründete "Tareto Maa", ein Wohnprojekt für Mädchen, die vor Genitalbeschneidung und Zwangsheirat flüchten. Wie wichtig diese Hilfe ist, weiß sie aus eigener Erfahrung...




"Tareto Maa" bedeutet "Hilfe für die Massai" und wurde im April 2009 in einer kleinen Siedlung namens Kilgoris, etwa 50 Kilometer entfernt vom bekanntesten Nationalpark Kenias, der Masai Mara, gegründet. Die Massai praktizieren heute noch vielerorts Beschneidung und Zwangsverheiratung. Diese Praktiken sind zwar auch in Kenia verboten, aber Polizei und Staat haben in den ländlichen Regionen nur wenig Autorität. Tareto Maa wurde von Gladys Naing´olai Kiranto initiiert und ist ein Projekt der protestantischen Kirchengemeinde.

Ende August 2010 kam Gladys Naing´olai Kiranto nach Berlin und traf sich hier mit UnterstützerInnen aus Deutschland, England und Schweden. Im Interview mit AVIVA-Berlin sprach sie über das NGO-Projekt, die Arbeit mit den Menschen vor Ort und das eigene Erleben dieser traumatischen und oft lebensgefährlichen Tradition. Für sie war es das erste Interview, das sie in ihrem Leben gegeben hat, verständlich, dass sie nervös war. Nach einem stärkenden Frühstück war die Aufregung aber bald vergessen.

AVIVA-Berlin: Vielleicht beginnen wir so, dass du dich kurz vorstellst, wer du bist und was du von dir erzählen willst?
Gladys Naing´olai Kiranto: Mein Name ist Gladys Naing´olai Kiranto. Gladys ist der christliche Name. Naing´olai und Kiranto sind meine Massai-Namen. Kiranto ist der Name meines Vaters. Naing´olai der Name, den meine Mutter mir bei der Geburt gab. Er bedeutet in etwa "unruhige Zeiten", weil es zum Beispiel Kämpfe in dieser Zeit gab oder auch einfach weil die Geburt schwierig war und dadurch alle etwas aufgebracht sind.

Ich wurde in der Transmara geboren, nahe des Masai Mara, und habe nur die Grundschule besucht, bis zur sechsten Klasse. Bei den Massai sieht die Tradition eine Beschneidung der Jungen und Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren vor. Damit endet für die Mädchen auch die Kinderzeit und sie sind heiratsfähig. Als ich mit 15 Jahren beschnitten werden sollte, rannte ich von zuhause weg. Ich ging zu meiner Schwester nach Nairobi. Dort kamen immer wieder Nachrichten von meinen Geschwistern an, dass mein Vater meine Mutter schlug. Mein Vater ist ein traditioneller Mann, er hat sieben Ehefrauen. In Massai-Familien ist die Mutter für die Töchter verantwortlich. Die Mütter müssen auch selbst für die Kinder sorgen und für das Essen und die Bildung aufkommen. Läuft ein Mädchen weg, geht der Vater davon aus, dass die Mutter sie angestiftet hat. Dafür bestraft er die Mutter.

Nach einem Monat, in dem sich der Zustand meiner Mutter verschlechterte, kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Als ich meine Mutter sah, übersät mit blauen Flecken, entschied ich mich dazu, an der Beschneidungszeremonie teilzunehmen. Als mein Vater mich nach der Zeremonie mit einem älteren Mann, der schon um die 50 Jahre alt war und bereits fünf Ehefrauen hatte, verheiraten wollte, lief ich wieder weg.

AVIVA-Berlin: Woher hattest du schon so jung den Mut, dich gegen die Beschneidung und Zwangsheirat zu wehren und dich auf dich alleine zu verlassen?
Gladys Naing´olai Kiranto: Ich bin Christin und in der Kirche wurden wir bereits früh aufgeklärt über die Beschneidung. Das gab mir die Kraft "Nein" zu sagen. Ich wollte in der Schule bleiben und nicht heiraten. Als ich das zweite Mal davon lief, floh ich in die Massai-Mara. Zu meiner Schwester konnte ich nicht mehr, da mich meine Familie da gleich vermutet hätte. Ich bin nur mit einer Papiertüte und einem Paar Schuhe los. Ein Autofahrer nahm mich mit und setzte mich am Eingang des Parks ab. Ich sprach mit einem Parkwächter und erzählte ihm mein Problem. Er lud mich ein, bei ihm und seiner Familie zu leben, wo ich zunächst zwei Wochen blieb und einen Job suchte. Das war leider nicht so einfach, da ich gar keine Papiere besaß, weder einen Pass, noch Schulzeugnisse. Also ging ich nochmal in mein Dorf, aber dieses Mal nicht nach Hause, sondern direkt zum "Local-Chief", der das Dorf verwaltete. Ich erklärte dem Chief mein Problem und sagte ihm, dass ich meine ID-Karte brauchte. Ich war damals 17 Jahre, laut Gesetz musste ich aber 20 sein, um meine Papiere zu erhalten und damit als volljährig zu gelten. Also machte ich mich 3 Jahre älter, unterschrieb die Papiere und ging zurück nach Massai-Mara, wo bereits ein Job in einem Hotel auf mich wartete. Der Hotel-Manager hatte mir angeboten mich auszubilden, auch ohne Schulabschluss. Ich machte ein Training in verschiedenen Hotelbereichen.

Nach einem Jahr Ausbildung bekam ich einen guten Job. Mein Leben begann und damit auch der Gedanke, den Massai-Mädchen zu helfen. Zehn Jahre hatte ich diesen Traum, aber ich wusste, dass ich selbst erst auf sicheren Beinen stehen musste, bevor ich ihnen helfen konnte. Ich arbeitete lange in Mombasa an der Küste und konnte dabei ein bisschen Geld sparen. 2009 ging ich zurück in die Transmara und startete Tareto Maa. Meine ganze Familie unterstützt mich heute. Seit ich von zuhause weggelaufen bin, hat keiner meiner Brüder seine Töchter beschneiden lassen. Auch der Chief unterstützt mich.

In meinem Dorf gibt es keine Beschneidungen und Zwangsehen mehr, aber es gibt diese Tradition immer noch in der Umgebung. Diesen Mädchen will ich helfen.

AVIVA-Berlin: Wie genau unterstützt ihr die Mädchen?
Gladys Naing´olai Kiranto: Mit dem Projekt gehen wir in die Schulen und klären die Mädchen auf. Wir arbeiten mit einem Pastor und einem ehemaligen Verwaltungsbeamten und gehen auch in die Familien und führen Gespräche mit den Eltern. Aber das wichtigste ist, den Mädchen einen Ort zu geben, an dem sie bleiben können, wenn sie sich gegen eine Beschneidung entscheiden. Bisher haben wir 23 Mädchen bei unseren Mitgliedern unterbringen können.

AVIVA-Berlin: Im Projekt sind viele Männer engagiert, u.a. einer deiner Brüder.
Gladys Naing´olai Kiranto: Ja, es ist sehr wichtig, dass Männer dabei sind. Die Massai sind eine männerdominierte Kultur. Frauen werden nicht gehört. Wenn ich etwas sage, muss zuerst ein Mann bestätigen, dass es wichtig ist was ich sagen werde, sonst hört keiner zu.

AVIVA-Berlin: Arbeitet ihr auch mit den Müttern der Mädchen, die zu euch kommen?
Gladys Naing´olai Kiranto: Um die Mütter nicht in Gefahr zu bringen, versuchen wir mit den Eltern zu sprechen, sobald wir die Mädchen ins Projekt holen. Die Töchter müssen den Vätern sagen, warum sie die Familie verlassen, damit der Vater die Mutter nicht dafür verantwortlich machen kann. Für die Männer zählt oft auch der finanzielle Aspekt des Brautgeldes. Also machen wir ihnen klar, dass ein ausgebildetes Mädchen später mehr Geld verdienen und die Familie besser unterstützten kann als eine verheiratete Frau, die selbst viele Kinder zu versorgen hat. Deshalb ist es auch wichtig, dass Tareto Maa die Schulgelder übernimmt, um die Väter zu überzeugen.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Zeremonie. Für die Massai ist der Tag der Beschneidung ein wichtiger Tag für die Mädchen. Wir feiern daher alternative Feste, an denen es Geschenke gibt oder wir machen kleine Reisen mit den Mädchen, zum Beispiel in die nächste Stadt die ca. acht Stunden Schotterweg entfernt liegt. Wir wollen ihnen zeigen, was auf sie wartet. Wir versuchen den Mädchen Träume zu geben. Ich hatte als junges Mädchen den Traum als Kugelstoßerin oder Speerwerferin an der Olympiade teilzunehmen, denn ich war sehr gut darin. Als ich die Schule abbrechen musste, endete der Traum. Wir unterstützen die Mädchen in ihren Talenten und Träumen. Ich erzähle den Mädchen und Müttern immer meine eigene Geschichte, das inspiriert sie und zeigt ihnen, dass sie es schaffen können. Sie sehen auch, dass es meiner Familie jetzt besser geht, schließlich sind in der Massai-Kultur die Töchter für die Eltern verantwortlich, wenn diese älter werden. Sie sehen, dass es glücklich macht frei zu sein und gehört zu werden, jemand zu sein. Das hat auch mich stark gemacht und macht mich immer noch stark.

AVIVA-Berlin: Das Projekt ist noch sehr jung und braucht noch Unterstützung. Was wird besonders benötigt?
Gladys Naing´olai Kiranto: Im letzen Jahr in der Beschneidungssaison, die immer im Dezember startet, konnten wir viele Mädchen aus Platzmangel nicht mehr aufnehmen und wir mussten die Mädchen zurückschicken. Es hat mir das Herz gebrochen, die Mädchen weinen zu sehen und nicht helfen zu können. Deshalb wollen wir ein "Rescue-Center" aufbauen, das zusätzliche Plätze zu den privaten Unterbringungen bietet. Wir wollen das "Rescue-Center" außerdem gerne mit Solarzellen ausstatten, damit es ein wenig Strom gibt, um das Mobil-Telefon, das die einzige Kommunikationsmöglichkeit ist, aufladen zu können und für elektrisches Licht, damit die Kinder nicht den gesundheitsgefährdeten Öllampen ausgesetzt sind.

Auch wenn wir die meisten Eltern überzeugen können, gibt es immer wieder Drohungen gegen das Projekt. Deshalb müssen wir auch einen Sicherheitszaun für das "Rescue-Center" einkalkulieren. Insgesamt werden die Kosten bei ca. 5.000 Euro liegen. Außerdem freuen wir uns auch immer über Spenden, die uns helfen die Schulgebühren für die Mädchen zu bezahlen.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und dafür, dass du deine Geschichte mit uns und unseren LeserInnen geteilt hast. Wir wünschen dir, Tareto Maa und den Mädchen alles Gute und hoffen, dass sich viele weitere UnterstützerInnen finden!


Sie können Tareto Maa direkt und einfach über das Spendenportal "betterplace" unterstützen: Tareto Maa bei betterplace.org



Mehr Informationen gibt es auch auf der Homepage des Projekts: www.tareto-maa.org


Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

STOP FGM NOW - Waris Dirie startet internationale Kampagne

Wüstenblume – Der Film

Terre des Femmes - Null Toleranz gegen Genitalverstümmelung

Terre Des Femmes - Kampf gegen Genitalverstümmelung

Ellen Ismail - Sudaniya. Frauen aus Sudan

Sand und Tränen. Eine Dokumentation von Paul Freedman





Interviews

Beitrag vom 04.10.2010

Clarissa Lempp