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Beitrag vom 16.07.2008
Interview mit Hito Steyerl
Christiane Krämer
Die Documenta-Künstlerin präsentierte auf der "Waking Life" ihre Filme "November" und "Lovely Andrea" und sprach mit AVIVA-Berlin darüber, wie Bilder die Welt verändern können
Die Filmemacherin und Autorin setzt sich mit Fragen feministischer Repräsentationskritik und postkolonialer Kritik auseinander. Seit 2007 ist sie Gastprofessorin für experimentelle Film- und Videogestaltung an der Berliner Universität der Künste. Zuletzt wurde ihr Film "Lovely Andrea" auf der Documenta 12 in Kassel gezeigt, der als Fortsetzung von "November" verstanden werden kann.
Eine zentrale Figur für beide Kurzfilme ist Andrea Wolf, eine frühere Weggefährtin Steyerls und feministische Widerstandskämpferin. 1996 ging sie nach Kurdistan, schloss sich der Frauenarmee der PKK an, und wurde 1998 vom türkischen Militär getötet. Während ihr Tod offiziell niemals bestätigt wurde und ihr Körper niemals zurückkam, gingen ihre Bilder auf Reisen...
AVIVA-Berlin: Frau Steyerl, so haben Sie den Film gestern einführend kommentiert, wie ist das zu verstehen?
Hito Steyerl: Andrea Wolf selbst ist nach wie vor verschwunden. Sie wurde höchstwahrscheinlich nach ihrer Gefangennahme umgebracht, das haben Zeugen behauptet. Bilder von ihr sind jedoch im Internet und auf allen möglichen Wegen erhältlich. Das sind Bilder von ihr als Ikone des kurdischen Widerstands, als Märtyrerin auf Plakaten, die auf Demonstrationen herum getragen werden. In "November" zitiere ich Bildszenen aus einem feministischen Kungfu-Film, den wir zusammen in unserer Jugendzeit auf Super 8 gedreht haben. Dabei haben wir auf Vorlagen aus Trash-Filmen zurückgegriffen und ich versuche diese widersprüchlichen Bildwelten gegenüber zu stellen, um zu verstehen, was sie miteinander zu tun haben.
AVIVA-Berlin: In dem Super-8-Film geht es um unbewaffnete Frauen die Männertrupps angreifen und zu Fall bringen. Symbolisch wird männliche Überrepräsentation durch radikale Rollenverschiebungen in Martial-Arts-Ästhetik gestört. Wie entwickeln Sie diese Perspektive des Widerstands im Film weiter?
Hito Steyerl: Widerstand zersplittert in sehr viele verschiedene Formen: der Weg, den Andrea Wolf gewählt hat, ist ein möglicher Weg. Bei ihr sind die Linien sehr deutlich sichtbar. Dieselben Kampfsporttechniken des Films hat sie später den kurdischen Kämpferinnen beigebracht. Aber auch meine Praxis ist eine mögliche Weiterentwicklung, die Arbeit mit Bildern, die Intervention in Bildern und allgemeiner: eine Politik der Bilder. Das sind zwei auseinanderstrebende Linien die von diesem Film ausgehen.
AVIVA-Berlin: Diese Linien vermischen sich insofern, als dass Sie am Ende des Films an einer kurdischen Demonstration teilnehmen und gleichzeitig wird hier ihre Solidarität Teil einer anderen medialen Inszenierung. Auch die Bilder und Gesten von Eisensteins Revolution im "Oktober" sind in "November" nur noch als Zitate zu verstehen. Können mediale Praxen diese produktiv machen um die bestehende Ordnung in Frage zu stellen?
Hito Steyerl: Jede Art von Handeln, auch das Politische ist von einer bestimmten Dramaturgie durchdrungen und von bestimmten Fiktionen, die wir versuchen zu imitieren, an die wir uns anpassen und mit denen wir uns identifizieren. Die linken Dramaturgien gingen sehr stark von männlichen Heldenfiguren aus. Einige kommen dramatisch ums Leben, andere siegen. Es waren stählerne Helden, die meistens militant waren. Ich glaube, dass diese Erzählungen an ein Ende gekommen sind und es jetzt Schritte darüber hinaus geben muss. Und diese Schritte müssen die Verstricktheit des Lebens in die Fiktion anerkennen und versuchen zu agieren.
Dies ist eines der zentralen Motive in "Lovely Andrea", die Verstricktheit in die Welt der Bilder und die Unfähigkeit, sich aus dieser zu befreien. Jetzt ist die Frage, wie lassen sich inmitten dieser Verstrickung Strategien entwickeln, damit umzugehen. Deswegen ist die Seilbondage das Motiv welches in "Lovely Andrea" ganz stark durchgehalten wird.
AVIVA-Berlin: Können Sie erklären wie es zu diesem Motiv kam?
Hito Steyerl: Es geht in "Lovely Andrea" darum, dass ich ein Foto suche, was von mir selber vor ungefähr 20 Jahren in Tokio als Modell angefertigt wurde. Ich war damals Filmstudentin und wollte einen investigativen Film über die Szene machen, bis mir bewusst wurde, wie kriminell und gefährlich das Ganze war.
Das ist die Ausgangsgeschichte. Als ich zurückgekommen bin um dieses Foto zu finden, habe ich eine junge Frau kennen gelernt, die heute Bondage praktiziert, aber in einer ganz anderen, nicht mehr traditionellen Form, die sie "self-suspension" nennt. In dieser Form der Bondage geht es um die Autonomie in der Bewegung, die die Frauen selbst bestimmen, und das macht eher einen artistischen und schwerelosen Eindruck von Trapezkunst.
Ich war davon fasziniert, wie aus der Unterwerfung etwas anderes entwickelt wird, was möglicherweise etwas mit Ermächtigung und Freiheit des Schwebens zu tun hat.
In der Allegorie des Netzes gesprochen, wie kann es uns gelingen die Bilder selbst neu zu organisieren und ihre Montage einzugreifen, ihre Zirkulation zu bestimmen, und einen Moment der Freiheit und Autonomie zu entwickeln?
Im Film habe ich konkret alle Bestandteile aus dem Internet aus Tauschbörsen gezogen, das sind alles Bilder, die sich in Kreisläufen befinden, die zwar sehr ambivalent sind: einerseits sind die Eigentumsverhältnisse aufgehoben, sie zirkulieren frei. Auf der anderen Seite zirkuliert natürlich hauptsächlich Schrott und unglaublich viel Hasspropaganda, Pornografie, also Trash jeder Art.
Gleichzeitig lässt das Internet ein gewisses Maß an Autonomie zu, in dem die User selbst Umgang finden und diese aus ihren Kontexten lösen, für kurze Zeit können sie über die Bilder verfügen, sie neu anordnen, sie bearbeiten.
AVIVA-Berlin: Filme über die Fesselungstechniken werden in den USA mit dem Hinweis versehen, diese Praktiken nicht an Menschen auszuführen. Nach dieser Aussage sind Bilder von auf den Boden knienden Guantanamo-Häftlingen zu sehen...
Hito Steyerl: In dem Film wird versucht, die gesamte Ambivalenz des Begriffes Bondage auszuloten und dieser Begriff ist in sich selbst uneindeutig. Auf der einen Seite bezeichnet er das Moment der totalen Unterwerfung und des Zwangs wo keine Handlung und Autonomie mehr möglich ist, das wäre das Moment, was in den Bildern aus Guantanamo angedeutet ist. Das ist ein klassisches Dominanzverhältnis.
Diese Bilder sind äußerst aktiv, sie sind Teil der Folter. Sie bilden Folter nicht nur ab, sie sind die Folter, in dem sie die Betroffenen demütigen, ausstellen, Scham erwecken sollen. In dem Sinne sind es handelnde Bilder und in diesem Sinne sind wir als Betrachter auch eingebunden in dieses Netzwerk der Macht. Auf der anderen Seite des Begriffes sind aber auch ganz andere Momente angesiedelt, die mit Freiwilligkeit und Selbstbestimmung zu tun haben. Der Film will eben nicht behaupten, dass das alles eins ist, sondern die gesamte Spannweite des Begriffes auszuloten.
AVIVA-Berlin: Sehen Sie sich als Dokumentarfilmerin als jemand der sich Zugriff auf die Wahrheit verschaffen kann oder neue Wahrheiten produziert? Verstehen Sie ihre Arbeit als politische Arbeit?
Hito Steyerl: Die Frage hat zwei Antworten. Die erste ist: Nein, es ist nicht möglich, wahre dokumentarische Bilder zu erzeugen. Und die zweite Antwort ist: ja, es ist unbedingt nötig, dokumentarische wahre Bilder zu erzeugen. Zwischen beiden versuche ich meine Arbeit anzusiedeln. Das erste Nein ist offensichtlich, denn alle Bilder stellen immer nur Ausschnitte dar, Perspektiven, die ganze Wahrheit ist ihnen nie zugänglich. Auf der anderen Seite können wir uns nicht damit zufrieden geben, weil wir dann behaupten, dass alle dokumentarischen Bilder gleich konstruiert, gleich beliebig oder verlogen sind- das ist nicht der Fall. Eine solche Auffassung würde historischen Revisionismen Tür und Tor öffnen.
Und an dieser Grenze oder dieser Hoffnung müssen wir arbeiten, und gleichzeitig den Bildern genug zu misstrauen, um Einschüchterungsversuche oder Propaganda als solche zu erkennen!
Ganz generell würde ich sagen, ein Sehen ist immer schon ein politischer Akt, was zu sehen gegeben wird, was dem Sehen entzogen wird - all das ist immer schon von Politik durchdrungen. Insofern kann ich da überhaupt nicht heraus aus diesem Rahmen.
AVIVA-Berlin: Beide Kurzfilme sind sehr ermutigend, obwohl sich in "November" ein Moment der Melancholie einstellt, wenn alle revolutionären Versuche als solche erscheinen müssen. Trotzdem bleibt die Hoffnung, mit den Unmöglichkeiten und nicht endgültigen Wahrheiten umzugehen. Und dann die mutige Fortsetzung in "Lovely Andrea": das könnte eine Möglichkeit sein, damit zu arbeiten.
Hito Steyerl: Man kann sehen, dass im zwanzigsten Jahrhundert alle Emanzipationsversuche gescheitert sind oder verloren haben, oder zurückgedrängt worden sind. Das muss man einfach als große Niederlage anerkennen. Aber das Interessante ist für mich nicht, warum es Macht gibt, oder warum die Macht sich durchsetzt. Das scheint mir gar kein Problem darzustellen. Was vielmehr die Frage ist und was ich verwunderlich finde ist, warum es eigentlich immer noch Widerstand gibt. Und den gibt es. Es scheint einen Impuls zum Widerstand zu geben, der sich trotz aller Niederlagen nicht ausrotten lässt. Und das ist eine sehr ermutigende Perspektive. Und das ist es auch, was Foucault meinte: Die Macht ist nicht das Primäre, der Widerstand ist das Primäre. Das bedeutet nicht, dass man sich darauf verlassen kann. Aber es bedeutet auch, dass diese Niederlage nicht unbedingt eine Ewige sein muss.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!
Die Filme von Hito Steyerl im Netz:
"Sixpack"
Weiterlesen:
"Die Artikulation des Protestes"
"Die Farbe der Wahrheit"