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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 13.05.2009


Nizza Thobi - Ein Koffer spricht
Claire Horst

Dieses Werk ist keine gewöhnliche CD. Eigentlich ist es ein Gesamtkunstwerk. Denn das Booklet enthält auch zahlreiche Zeichnungen der Künstlerin Malva Schalek, Fotos und umfangreiches ...




... Textmaterial zu den vertretenen KünstlerInnen.

Insofern trifft der Titel genau zu: Wie ein Koffer, der auf die Flucht mitgenommen wird, ist das Album vollgepackt mit Erinnerungen an die jüdischen KünstlerInnen, die einst großen Anteil am kulturellen Leben Europas hatten. Ihre Texte singt Nizza Thobi teilweise nach eigenen Vertonungen.

Nizza Thobi wurde in Israel geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Zunächst sang und vertonte sie insbesondere Lieder osteuropäischer JüdInnen, auf dem neuen Album sind vor allem Texte deutschsprachiger JüdInnen vertreten. Der "Koffer" ist dabei so etwas wie das Leitmotiv, das die Texte zusammenhält. Das titelgebende Gedicht von Ilse Weber erzählt von dem Koffer "aus Frankfurt am Main", der seinen Besitzer vermisst: "Er trug einen Stern und war alt und blind / und er hielt mich gut, als wär ich sein Kind." Ilse Weber, so erfährt man aus dem Begleittext, war Dichterin und Kinderbuchautorin, die für das tschechische Radio arbeitete. Sie betreute eine Kindergruppe in Theresienstadt und wurde zusammen mit den Kindern und ihrem jüngeren Sohn in Auschwitz ermordet. Bebildert ist dieser Text mit zwei Zeichnungen von Malva Schalek.

Die Österreicherin Schalek, deren Zeichnungen das gesamte Beiheft illustrieren, wurde 1942 in Theresienstadt interniert. Ihre über 140 Werke aus dieser Zeit sind ein präzises Zeugnis des Lebens im Lager. Als sie sich weigerte, einen Mithäftling zu portraitieren, der mit den Nazis kollaborierte, wurde sie nach Auschwitz deportiert, wo sie 1944 starb.

Ein weiterer Künstler, der beinahe ins Vergessen geraten ist, ist der tschechische Maler und Tagebuchschreiber Petr Ginz. Sein Name geriet wieder ans Licht der Öffentlichkeit, als seine Zeichnung "Mondlandschaft" in den Trümmern der abgestürzten Raumfähre "Columbia" gefunden wurde. Der israelische Astronaut Ilan Ramon hatte es mitgenommen - als Andenken an seine Mutter, die Auschwitz überlebt hatte. Dort war Ginz vergast worden.

All diesen Menschen setzt Thobi ein Denkmal und entreißt sie so dem Vergessen. Petr Ginz dichtet: "Heute weiß gar unsre Trude, wer ein Arier und wer ein Jude. Ein Jude – um es gleich zu sagen – muss ein´ Stern auf seinem Mantel tragen." In dem Lied zählt er alle Verbote auf, die die jüdische Bevölkerung treffen und endet zynisch mit den Zeilen: "Einst durfte auch ein Menschenwrack besitzen Koffer, Korb und Tragesack. Davon gibt´s heute keinen blassen Schimmer, aber ein Jude schimpft doch nie und nimmer. Nach Vorschrift lebt er so es geht, seine Zufriedenheit ist sehr stet." Kongenial vertont Nizza Thobi derartige Texte, die Trauer hinter den Zeilen, die Sehnsucht nach Normalität ist ihr in jedem Ton anzuhören. Manchmal ist diese Traurigkeit kaum auszuhalten – die tiefe Verzweiflung und Melancholie drückt Thobis raue Stimme berührend aus.

Alle Texte sind in deutscher und englischer Sprache abgedruckt – gesungen werden einige auch auf Hebräisch und Jiddisch. Als "Gastkünstler" ist Thobis Vater Shlomo Tobi vertreten, der den Psalm Davids auf Hebräisch singt - den Psalm, der an Schabbat gesungen wird.

AVIVA-Tipp: Die vielseitige Mischung der Lieder verdeutlicht noch einmal den einstmals bedeutenden Anteil jüdischer KünstlerInnen am europäischen und insbesondere am deutschen kulturellen Leben. Thobis variationsreicher Gesang hört man ihre Auseinandersetzung mit den Geschichten hinter den Texten an - sehr gefühlvoll interpretiert sie die Texte. Die Klavierbegleitung von Peter Wegele und die Geige Dina Leinis sind stimmig und einfühlsam. Das Booklet ist etwas unübersichtlich, macht aber Lust darauf, sich näher mit den dargestellten Personen zu beschäftigen.

Nizza Thobi im Netz: www.nizza-thobi.com

Nizza Thobi - Ein Koffer spricht
David Records
PO Box 44 04 18- D- 80753 Munich
www.davidrecords.de



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Beitrag vom 13.05.2009

Claire Horst