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Beitrag vom 15.03.2017
Sookee im Interview zu ihrem neuen Album Mortem & Makeup
Ahima Beerlage
"Ich bin nicht nur eine Meinung, ich bin auch eine Musik" sagt Sookee über sich. Nach ihrem letzten Album "Bitches Butches Dykes & Divas" und drei Jahren Pause meldet sich die Quing des queeren HipHop mit "Mortem & Makeup" zurück. Mit Geschichten zwischen ...
...Queerfeminismus und Kindheit, Psychiatrie und Politik ist die Rapperin thematisch und musikalisch breit aufgestellt.
AVIVA-Berlin: Hallo, Sookee. Gerade erscheint dein neues Album, du sitzt in Podiumsdiskussionen zum Feminismus, gibst Workshops für Jugendliche, bist in der Jury beim Hatun Sürücü Preis 2017 und du bist Mutter. Wie geht das alles zusammen?
Sookee: Für mich ist Musik und politisches Engagement sehr eng verknüpft. Kultur hat das Potential zur politischen Diagnose und Analyse. Deshalb finde ich es gerade wichtig, meine Beobachtungen nicht nur auf die Musik zu beschränken. Bei der Jury zum Hatun Sürücü Preis 2017 ehrt es mich natürlich, wenn ich in solchen Kontexten als kompetent empfunden werde.
AVIVA-Berlin: Ist die Musik inzwischen dein Brotberuf?
Sookee: Ja, aber es gibt für mich keine Arbeit außerhalb dieser Thematik. Alles ist Bühne, Podium, Schreibtisch. Gerade habe ich jetzt beim Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie eine Kolumne unter dem Titel "Feministische Zwischenrufe" für die Popkultur übernommen. Für mich ist daran toll, dass ich Gegenwartspolitik beobachten und kommentieren darf.
AVIVA-Berlin: Arbeitest du auch weiterhin in Jugendeinrichtungen?
Sookee: Das mache ich nicht mehr so viel, weil mir Zweifel an den kurzzeitpädagogischen Ansätzen gekommen sind. Die gesellschaftspolitischen Themen sind wirklich wichtig, erfordern aber sehr viel Sensibilität. Das sollte nicht an einem Projekttag, sondern in sechs Wochen passieren. Dazu fehlen mir aber die Ressourcen. Dafür sind die Themen von Kinder und Jugendliche auf meinem neuen Album sehr präsent.
AVIVA-Berlin: 2014 ist Dein Album "Lila Samt" erschienen. 2017 nun das neue Album. Eine lange Zeit.
Sookee: Natürlich gibt es auch eine Marktlogik, nach der ich den Anschluss nicht verpassen darf. Aber davon wollte ich mich nicht treiben lassen. Ich muss immer gucken, wann die Themen reif sind. Außerdem habe ich in der Zwischenzeit ein Kind gekriegt. Das braucht auch Zeit.
AVIVA-Berlin: Und die konntest du dir nehmen?
Sookee: Ich bin ja selbständig. Außerdem gab es noch private Probleme. Da musste ich Dinge absagen, weil es nicht mehr ging. Ich finde es ohnehin schwierig, bei Jobs, die von der Öffentlichkeit leben, Tasten zu drücken, um zu funktionieren. Ich kann das häufig besser, als mir lieb ist, weil das alles eher verinnerlichtes Effizienzdenken ist. Es kostet Überwindung zu sagen, ich kann einfach nicht mehr. Sicher ist dabei auch ein Blick aufs Konto, der andere auf meiner gesellschaftlichen Verantwortung. Das ist ein schmaler Grat,…
AVIVA-Berlin: … der auch gefährlich ist.
Sookee: Andererseits habe ich aber auch immer Sorge, das ´Selfcare´ nur so eine neoliberale Strategie ist, um funktionstüchtig zu sein. Das finde ich eher gruselig. Zehn Minuten Poweryoga, damit ich danach wieder besser funktioniere? Das kann es doch nicht sein.
AVIVA-Berlin: Die Musik auf diesem Album unterscheidet sich deutlich gegenüber den Tönen der anderen Alben. Mit wem hast du musikalisch zusammengearbeitet?
Sookee: Drei Leute waren maßgeblich daran beteiligt. Zum einen LeijiONE vom Produzententeam Beat2.0, mit dem ich seit Jahren arbeite. Mit ihm habe ich viel aufgenommen. Und dann habe ich noch Riffsn von der Elektro-Pop-Band Grossstadtgeflüster. Er kann Popmusik und hat ein gutes Gespür für Arrangements. Der dritte ist Danger Dan von der Antilopen Gang, weil ich seine Kompositionen so gern mag. Alle drei haben sich ganz toll aufeinander eingelassen. Wir haben wie eine Band über die Musik kommuniziert. Alle drei sind glücklich mit dem Ergebnis.
AVIVA-Berlin: In der Ankündigung zu Deinem neuen Album schreibst du, dass du mit deinem neuen Album ´jetzt bewusst auch Leute außerhalb der linken Filterbubble ansprechen´ willst.
Sookee: Es gibt ja auch Spaces jenseits davon - nicht nur die, die im linken Diskurs stecken. Ich finde auch diesen "Bubble"-Begriff total schräg, weil er eine Abgeschlossenheit suggeriert. Man denkt, man sei in Kontakt, aber eigentlich schwebt man hinter einem leichten Schimmer durch die Gesellschaft. Es hat sowas Weltfremdes, etwas von einem Schutzraum. Aber es muss nur jemand reinpieken und dann zerplatzt es. So viel Schutz kann das auch nicht sein. Ich habe auch noch Kontakte außerhalb der Bubble und ich beobachte, wie die sich mit Freude in Themen reinfuchsen und entdecken, da ist ja noch ein ganzer Planet dahinter. Wir sind auf diese Leute angewiesen, um nicht in diesen eingefahrenen politischen Bahnen irgendetwas zu verschlimmbessern.
AVIVA-Berlin: Es wird nur immer schwieriger, weil sich die Leute immer schlechter zuhören.
Sookee: Das stimmt. Aber ich will es weiter versuchen – ohne Theorieballast. "Hüpfburg", ein Song über einen Jungen, der zwischen seiner Nazi-Familie und seinem türkischen Freund mit seiner Loyalität kämpft, erzählt einfach eine Geschichte und entweder funktioniert es emotional oder nicht. Ich weiß, das ist eine Gratwanderung, an welcher Stelle man auch so ein bisschen weichspült. Aber die Leute empfinden auf unterschiedlichen Kanälen. Ich finde es auch nicht verkehrt, erstmal mit einem Katzenvideo voranzugehen.
AVIVA-Berlin: "Hüpfburg" und "Hurensohn", der Geschichte eines Jungen der seine Mutter liebt, während die Gesellschaft sie ablehnt, weil sie als Hure arbeitet, sind alles andere als Katzenvideos. Es sind Geschichten, die kompromisslos aus Kindersicht erzählt sind. Hat das auch etwas damit zu tun, dass du Mutter geworden bist?
Sookee: Sicher. Ich habe gemerkt, dass Kinder total ökonomisiert sind. Erst kommt die Kita, dann die Einschulung, dann der Abschluss. Lern jetzt, damit du später einen guten Beruf hast und dir ein Auto kaufen kannst. Die wenigsten Leute, die ich kenne, hatten eine tolle Kindheit. Gebt großen Leuten und Eltern Raum für die kleinen Leute, entlastet sie finanziell, damit die sich einander widmen können, um Anerkennung und Liebe zu säen, damit daraus starke Persönlichkeiten hervorgehen, die nicht auf Profit gebürstet sind, sondern die wirklich große Herzen haben. Helikopter-Eltern, die ihre Kinder vor allem abschirmen, sind aber nicht die Lösung.
AVIVA-Berlin: Dabei ist das Interesse der Eltern rein zukunftsorientiert.
Sookee: Kinder funktionieren aber nicht so. Sie sind kleine Leute, die im Moment leben. Bei denen ist ´jetzt´ angesagt. Jetzt lachen, jetzt tanzen, jetzt wütend sein, jetzt Hunger haben, jetzt müde sein. Wo ist denn Raum dafür? Kinder bekommen auch so fürchterlich kaputte Familien mit. Meine Kindheit war schon nicht so der Hit. Ich kenne wenig Familien, wo es sicher und einigermaßen gesund zugeht und die Kinder aushandeln, Anerkennung geben und empfangen lernen. Und wir wissen ja, wie schwer es ist, sich später da wieder herauszuwühlen. Andere wiederholen einfach den ganzen Mist.
AVIVA-Berlin: Deshalb sind auch diese beiden Titel "Hurensohn" und Hüpfburg" so berührend, weil die Kinder dort auch eine Membran zwischen ihrer Familie und der Außenwelt aufbauen müssen.
Sookee: "Hurensohn" ist natürlich auch ein schwieriges Thema, das feministisch umkämpft ist. Die alte Sookee hätte einen theoretischen Text darüber geschrieben, wie der Umgang mit Sexarbeit funktioniert. Heute gehe ich über die gesunde Unbedarftheit eines Kindes: Ich bin da, das ist meine Mama, die habe ich lieb, so ist mein kleines Leben. Darauf will ich es herunterbrechen. Auch bei dem Titel "Der Schrank", einer Outing-Geschichte, geht es nicht darum, das eigene Schwulsein zu entdecken und Happy End. Es gibt einfach Menschen, die sind ängstlich und schüchtern. Für die ist es eine verdammt große Aufgabe, ein Coming-Out zu stemmen. Ich finde es wichtig, dass Hilfe von außen da ist, dass wenn du rauskommst und auf dem Schulklo zusammenbrichst und heulst, jemand da ist, der dir ein Taschentuch bringt oder dich in dem Arm nimmt. Der Song sagt ja, ´doch niemand will sich mit ihm verschwistern´. In Berlin ist das nicht so ein Problem. Aber es gibt so viel Räume, in denen die Themen noch tabu sind.
AVIVA-Berlin: Du hast Musik für "One Billion rising" und den "Slutwalk" geschrieben. Politische Positionierung ist für dich wichtig. Wo siehst du deinen Job als HipHopperin in einer Zeit zwischen Queerfeminismus und der Machtergreifung von "Angry White Men"?
Sookee: (lacht) Das ist schon eine abgefahrene Klammer. Ich versuche klar, aber auch verbindend zu sein. Es gibt vereinzelte Rapper, die auf bestimmte Begriffe irgendwann dann auch verzichten. Das ist der Lohn für meine Ausdauer. Jetzt ist klar, ich bin nicht nur eine Meinung, ich bin auch eine Musik. Ansonsten sehe ich, wieviel HipHop Eingang in die musikalischen Vorlieben von QueerfeministInnen gefunden hat und mir geht das Herz auf, wenn Leute aus meinen Workshops oder dem Publikum mittlerweile ihre eigenen Shows spielen. Was will ich denn mehr? Mich macht froh, dass richtig was nachwächst.
AVIVA-Berlin: Im Song "Die Freundin von" beschreibst du eine Frau, die nicht nur selbstzerstörerisch, sondern auch gewalttätig gegen Andere war. Sind das eigene Erfahrungen?
Sookee: Das ist 100 Prozent der eine große autobiographische Text. Mein eigener Weg durch den HipHop, meine Annäherung an feministische Ideen, auch mein Weg, mich mit Frauen zu solidarisieren und sie zu lieben, das war nicht ohne. Ich stehe zwar auf der Bühne, aber ich bin auch randvoll mit Fehlern und Erfahrungen. Ich tue mein Bestes. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich höre, dass sich Leute wie Lady Gaga aus Sucht oder Depression herausgekämpft haben. Durch solche Geschichten ist die Identifikation einfach viel stärker. Ich weiß, dass ich Sexismus heftig verinnerlicht hatte und tatsächlich Frauen mies behandelt habe, weil ich total hörig war gegenüber männlichen Maßstäben.
AVIVA-Berlin: Du hast gesagt "Sobald sich alles normalisiert hat und sobald diese Gerechtigkeit eingetreten ist, von der ich träume, dann halte ich meine Klappe". Was müsste passieren, damit dein Traum wahr wird?
Sookee: Fokussieren wir uns auf sozialpolitische Aspekte oder auf Wirtschaftspolitik, um aus den Erträgen eine Sozialpolitik finanzieren zu können? Das ist die Frage, die neu diskutiert werden muss. Es geht wirklich darum, Menschen, die gern kollektiv denken, dazu aufzurufen, gelebte Fairness, gelebte Solidarität zu ermöglichen. Diese neoliberale Logik, erst ein Vermögen anzuhäufen, um es danach zu verteilen, funktioniert meist nicht. Da braucht es neue Ideen.
AVIVA-Berlin: Deine Stimme wird gebraucht! Danke, Sookee, und viel Spaß auf der Tour.
Sookee
Mortem & Makeup
Buback Tonträger, 17.03.2017
Mehr zu Sookee unter:
www.sookee.de und www.facebook.com/sookeeberlin
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Interview mit Sookee über ihr Album "Bitches Butches Dykes & Divas"
"Bitches Butches Dykes & Divas", so der Titel ihres neuen Albums. Den gleichnamigen Track hat sie eigens für den Slutwalk komponiert. Über die Bambi-Verleihung an Bushido, Sprache als Werkzeug ie Überwindung von Geschlechterstereotypen oder die Unterschiede zwischen der Generation Emma und der Generation Butler sprachen wir im Dezember 2011 mit Quing Sookee. (2011)
Sookee - Bitches, Butches, Dykes and Divas
Dass es intelligenten Hip-Hop gibt, wissen wir schon lange. Dass es ihn auch auf eine Weise gibt, die sich kritisch mit gegenderten Machtstrukturen, Heterosexismen und Geschlechterstereotypen auseinander setzt, dafür sorgt seit einigen Jahren Sookee. Ihr mittlerweile drittes Soloalbum nimmt sich fünfzehn Tracks lang Zeit für aufhorchwillige Individuen jeden Geschlechts. (2011)
Fiona Sara Schmidt, Torsten Nagel und Jonas Engelmann (Hg.) – Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit
Wo finden feministische Kämpfe statt? In dieser Anthologie werden die Schnittstellen gegenwärtiger Debatten, feministischer Kulturarbeit und linker Praxis mit vielfältigen Beiträgen ergründet. Dabei beleuchten die Herausgeber_innen und Autor_innen auch die Kämpfe und aktivistischen Ansätze der letzten 30 Jahre. Ein großartiger Abriss feministischer Themen! (2016)
Tine Plesch - Rebel Girl. Popkultur und Feminismus
"Rebel girl - when she talks, I hear the revolution", singt die Riot-Grrrl-Band Bikini Kill Anfang der 90er Jahre. Auch heute gilt diese Liedzeile der viel zu früh verstorbenen Journalistin und Poptheoretikerin Tine Plesch und ihrer gerade erschienen Textsammlung zu Popkultur und Feminismus. (2013)
Female HipHop - Anjela Schischmanjan und Michaela Wünsch
HipHop und Gender Studies? Die beiden Herausgeberinnen "presenten" intelligente Beiträge von Leuten aus der Szene, die sich mit Geschlechterkonstruktionen im HipHop auseinander setzen. (2007)