Die AVIVA-Interviews. Gemeinsam. Zusammen. Leben. Das war das Thema des 6. Barcamp Frauen am 12. März 2016 in der Kalkscheune in Berlin - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 21.03.2016


Die AVIVA-Interviews. Gemeinsam. Zusammen. Leben. Das war das Thema des 6. Barcamp Frauen am 12. März 2016 in der Kalkscheune in Berlin
Sharon Adler, Yvonne de Andrés

Feminismus. Vernetzung und thematisch ganz unterschiedliche Debatten, darunter auch zu Antisemitismus und Feminismus wurden angeschoben. Reges Interesse an Verortung und Austausch hatten circa 500 Frauen, an diesem kalten windigen Samstag am 6. Barcamp Frauen teilzunehmen. Mit einigen...




... der Frauen, die im Rahmen einer Session zur Diskussion einluden, haben sich Sharon Adler und Yvonne de Andrés mit AVIVA-Berlin als Medienpartnerin zum Interview verabredet.


Dazu im Vorfeld die Initiatorinnen: "Unter dem Motto ´Gemeinsam. Zusammen. Leben.´ wollen wir uns der Frage nähern, wie wir unser Zusammenleben gemeinsam gestalten wollen und wie feministische Antworten auf aktuelle Fragestellungen aussehen können: Flucht, Integration, europäische Krise – wie wollen wir weitermachen und welche sind unsere politischen Visionen? Wie gestaltet sich unsere Lebensrealität und wie sehen unsere Ansprüche an Lebensqualität aus, wenn wir über Gesundheit, Partnerschaft, Kinder und Karriere nachdenken? Und darüber hinaus: Was ist eigentlich gutes Leben für uns?"



Das Barcamp Frauen wurde 2010 von einer Gruppe junger Frauen ins Leben gerufen, die vor allem ein Ziel verfolgt haben: Aktuellen feministischen Diskussionen für (Partei)-Politik zu bündeln und einen Diskurs über die Lebenswelten junger Frauen starten. 2013 wurde das Barcamp Frauen für seine Verdienste um die Stärkung von Frauen in Politik und Gesellschaft mit dem Wilhelm-Dröscher-Preis ausgezeichnet.

Das Barcamp Frauen - mittlerweile fester Bestandteil des feministischen Jahres -versteht sich als Ideen- und Debattenplattform. Neue politische Ansätze werden entwickelt und fließen über die Netzwerke in Institutionen und Medien ein. Es gibt keine großen Podien, sondern unterschiedliche Workshops (Sessions), die eine kreative Atmosphäre bieten. Die Initiatorinnen und TeilnehmerInnen wollen Sprachrohr sein für junge Frauen, Männer und Familien. Sie wollen zu einem Ort werden, wo sich junge Frauen politisch engagieren. 2014 hatte das Barcamp Frauen ca. 200 TeilnehmerInnen, 2016 waren es 500 Anmeldungen und 350 Teilnehmerinnen, 26 Sessions.

Das Barcamp Frauen findet seit mittlerweile fünf Jahren ein Mal im Jahr statt - das Besondere daran ist ein vielfältiges Publikum von Mitgliedern unterschiedlicher Parteien, Mitgliedern der KooperationspartnerInnen, aber vor allem parteilose und interessierte BürgerInnen und eine äußerst angenehme Diskussionskultur, die es schafft, viele verschiedene kluge und engagierte Frauen zusammenzubringen, um über Geschlechterpolitik zu diskutieren.



Die AVIVA-Interviews:

Elisa Gutsche und Jennifer Mansey
, die Organisatorinnen des Barcamp Frauen, das in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung seit 2010 in Berlin stattfindet.



Elisa Gutsche hat Jura und Politik in Heidelberg, Köln und Berlin studiert. Sie hat beim SPD-Parteivorstand, als Referentin für die SPD-Bundestagsfraktion und für die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland gearbeitet. Seit 2014 ist sie politische Strategieberaterin in Berlin.
Gemeinsam mit Jennifer Mansey ist sie eine der Organisatorinnen des Barcamp Frauen. Ihre Interessen gelten: Feminismus, politischer Kommunikation und der Einbindung von jungen Menschen in den politischen Prozess
Mehr Infos unter: twitter.com/engtanzparty
Jennifer Mansey ist Referentin der Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Zuvor war sie bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und dem SPD Parteivorstand tätig. Jennifer Mansey studierte Sozialwissenschaften in Bonn, Duisburg und an der Birzeit Universität in Ramallah. Ihre Interessen gelten: Feminismus, Arbeits- und Sozialpolitik und politische Partizipation.

AVIVA: Was hattet Ihr für Erwartungen an das 6. Barcamp Frauen? Welche Frauen waren Euch wichtig, zu den Sessions einzuladen? Welche Vorstellungen hattet ihr bei der Vorbereitung des Konzeptes des 6. Barcamps? Was war Euch noch wichtig?
Jennifer: In diesem Jahr waren wir im Vorfeld des Barcamps mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert: Innerhalb kürzester Zeit hatten wir 500 Anmeldungen und mussten erstmals in der Geschichte des Barcamp Frauen die Anmeldung schließen. So viele politisch engagierte Frauen wie nie zuvor waren interessiert!
Auf der einen Seite haben wir uns riesig über die Resonanz gefreut, auf der anderen Seite ist der Druck natürlich auch größer, dass es gut werden muss (lacht). Doch wir haben uns dann einfach von den Erfahrungen der letzten fünf Barcamps leiten lassen – da hat auch alles immer irgendwie geklappt und wir hatten eine gute Zeit.
Elisa: Thematisch war es uns in diesem Jahr natürlich auch wichtig das ganze Thema um Frauen, Flucht und Asyl aufzugreifen wie auch die Auswirkungen der europäischen Krise auf die Frauen in Griechenland. Daher haben wir Christiane Beckmann und Diana Henniges von Moabit hilft angefragt, die – gemeinsam mit geflüchteten Frauen – mehrere Workshops gestaltet haben. Zudem haben wir auch Ozeni Athanasiadou angefragt, die eine wichtige Session zur Situation der Frauen in Griechenland geleitet hat.
Diese Themen waren auch die Inspiration zu unserem diesjährigen Motto Gemeinsam. Zusammen. Leben. Wir wollten auf dem Barcamp diskutieren wie wir eigentlich zusammen leben wollen – im Kleinen wie auch im Großen.
AVIVA: Wie war der Austausch auf dem Barcamp Frauen?
Jennifer: Sehr gut! Wir haben es wieder geschafft eine gute und offene Gesprächs- und Diskussionsatmosphäre zu schaffen, in der sich alle Teilnehmenden wohlfühlen und sich mit gegenseitigem Respekt begegnen. Wir hatten auf alle Fälle den Eindruck, dass sich alle gefreut haben da zu sein, der Tag hat ja auch immer etwas von einem feministischen Klassentreffen.
AVIVA: Was hat Euch überrascht?
Jennifer: Dass das Konzept Barcamp auch bei der doppelten Zahl an Teilnehmer_innen reibungslos funktioniert (lacht). Nein, im Ernst: Die grosse Unbekannte im Vorfeld des Barcamps bleibt die Frage, wer bietet eine Session an und haben wir genügend Sessions an dem Tag. Dieses Jahr haben wir ca. die Hälfte der Sessions vorab angefragt, der Rest hat sich spontan ergeben – und in jedem Jahr bin ich überrascht, wie gross die Bandbreite der Themen ist.
Elisa: Ich bin immer wieder überrascht davon, wie viele spannende Frauen und Themen es da draußen gibt und gehe jedes Jahr aufs neue mega inspiriert und voller Hoffnung nach Hause.
AVIVA: Welche wichtigen Diskussionen wurden angestoßen?
Elisa: Eine der wichtigsten Diskussionen, die wir in diesem Jahr angestoßen haben und die auch schon von verschiedenen Medien aufgegriffen wurde, ist die Frage nach Antisemitismus in feministischen Politiken und Bündnissen. Hier hat sich dankenswerterweise Merle Stöver dazu bereit erklärt, das Thema näher zu beleuchten und einige ungemütliche Fragen zu stellen mit wem Feministinnen eigentlich politische Bündnisse eingehen und wie sich Antisemitismus in Teilen des Feminismus fortschreibt.
Jennifer: Außerdem haben wir in diesem Jahr "Moabit hilft" viel Raum gegeben, damit sie von ihrer Arbeit mit geflüchteten Frauen berichten bzw. die Frauen auch selbst von ihrer Situation erzählen konnten. Gemeinsam. Zusammen. Leben funktioniert dann vor allem, wenn wir einander zuhören und uns gegenseitig unterstützen.
AVIVA: Welches ist für Euch der wichtigste Impuls des Barcamp Frauens den Ihr mitnehmt? Welche Pläne habt Ihr für das 7. Barcamp Frauen?
Elisa: Die große Nachfrage – die sich auch noch ohne Probleme weiter steigern liesse – war für mich der wichtigste Impuls. Wir stellen uns im Orgateam und im Austausch mit unserer Kooperationspartnerin, der Friedrich-Ebert-Stiftung, natürlich die Frage wie wir das Barcamp Frauen weiterentwickeln und ausbauen können. Darüber werden wir in den nächsten Monaten intensiv nachdenken. Machen wir das nächste Mal vielleicht ein zweitägiges Barcamp Frauen oder wechseln wir die Location, um mehr Interessierten Raum zu geben?


Merle Stöver, Sozialistin, Feministin, Antifaschistin, feministische Bloggerin
"Feminismus und Antisemitismus"




Merle Stöver ist als streitbare Feministin und Mitglied der Jusos mit klarem linken und radikalen Standpunkt nicht nur im Netz bekannt. Bis vor wenigen Wochen hat sie in Israel als Sozialarbeiterin mit Überlebenden der Shoa gearbeitet und darüber auch einige Texte in ihrer Kolumne "Tikvah heißt Hoffnung" veröffentlicht. In Berlin studiert sie an der Alice-Salomon-Hochschule Soziale Arbeit.
Mehr Infos unter: merlestoever.blogspot.de und diekolumnisten.de

AVIVA: Dein Thema/Input ist "Antisemitismus unter Feministinnen". Warum ist dieses Thema Dein Thema?
Merle Stöver: In jeder Stellungnahme linker Gruppen findet man eine gewisse Aufzählung von Diskriminierungsformen, in der meist an letzter oder vorletzter Stelle ´Antisemitismus´ geschrieben steht – meist, ohne dass die Verfasser*innen wissen, was Antisemitismus tatsächlich ist, wie er funktioniert und dass er sich nicht ohne Weiteres in eine Aufzählung von Unterdrückungsmechanismen setzen lässt. Es wirkt, als würde man bloß niemanden weglassen wollen – schon gar nicht Jüd*innen – aber nicht, als wäre es tatsächlich ein Anliegen.
Genau dieses Phänomen tritt auch bei großen Bündnissen wie dem Frauen*kampftagsbündnis auf. Die Frage, die mich wohl am meisten bewegt, ist, wie man mit antisemitischen/antizionistischen Gruppen in Bündnissen umgeht: Ob man zusammenarbeitet, weil man zumindest in dem Bündnis das gleiche Ziel hat, oder ob man sich dem verweigert.
AVIVA: Was waren Deine Erwartungen an das Barcamp Frauen und welche Impulse wolltest Du – vor allem nach den Anfeindungen in der letzen Zeit - einbringen?
Merle Stöver: Zunächst wurde ich von den Organisatorinnen angefragt, ob ich bereit wäre, dazu eine Session anzubieten. Ich wusste vorher schon, dass es ein emotionales Thema ist, in das viele Faktoren hereinspielen. Man spricht über Antisemitismus anders als über beispielsweise Rassismus. Das Eis der Zivilisation, auf dem man sich in diesen Diskussionen bewegt, ist verdammt dünn.
Meine Erwartungen waren eine Woche vor dem Barcamp definitiv noch positiv und ich war sehr gespannt.
Als sich dann aber Laurie Penny am Abend vor der Veranstaltung öffentlich auf Twitter mit der Anschuldigung, ich hätte sie als Antisemitin bezeichnet, an mich gewendet hat und auch in den ersten Stunden keinerlei Probleme mit öffentlichen Anfeindungen ihrer Follower gegen mich hatte, wusste ich, dass die Diskussion am nächsten Tag gerade durch so etwas enorm emotionalisiert wurde.
Der Hauptimpuls sollte sein, dass sich die Teilnehmer*innen sich mit ihrem eigenen Aktivismus und ihrer Bereitschaft, Seite an Seite mit Antisemitinnen auf die Straße zu gehen. Es ist immer wichtig, zu wissen, woher man kommt.
AVIVA: Welche Vorstellungen/Befürchtungen hattest Du bei der Vorbereitung des Konzepts für das Barcamp Frauen 2016?
Merle Stöver: Die Befürchtung bei Debatten über Antisemitismus ist wohl unabhängig vom Ort der Debatte immer die gleiche: Dass man kaum zu einer konstruktiven Diskussion kommt, weil irgendjemand immer die Israel-Grundsatzdebatte anstößt und nach billigen Entschuldigungen sucht, warum ausgerechnet er oder sie nun doch in diesem Moment Israel kritisieren sollte.
Ursprünglich war geplant, in Kleingruppen etwas zu erarbeiten, nachdem aber Laurie Penny schließlich noch einen offenen Brief "an die deutsche Linke" veröffentlicht hat, wollten die Organisatorinnen und ich einer unruhigen Session entgegenwirken und haben uns stattdessen auf einen Impulsvortrag von mir mit Moderation verständigt.
AVIVA: Was war Dir wichtig?
Merle Stöver: Mir war es wichtig, einen historischen Überblick zu geben, in dem ich aufzeige, inwiefern Antizionismus nur eine Weiterführung bzw. Projektion von Antisemitismus und kein weniger gefährliches Phänomen ist. Es ist ein klassisches Merkmal von derailing, wenn in Debatten auf die vermeintliche Legitimität von Israelkritik verwiesen wird und antisemitische Kampagnen wie BDS dadurch relativiert werden. Das wollte ich verhindern.
AVIVA: Wie war der Austausch auf dem Barcamp Frauen?
Merle Stöver: Das Barcamp ist sonst ein großartiger Raum für Diskussion, um Menschen kennenzulernen und wieder zu treffen und bietet Frauen unheimlich viel Freiraum, was diskutiert wird. Es war auch schon die zweite Session, die ich in diesem Rahmen angeboten habe, weil ich bisher immer sehr positive Erfahrungen mit dem Format des Barcamps Frauen gemacht habe.
Ich glaube aber, die Debatte, die wir dort geführt haben, hat sich nicht sonderlich von anderen Diskussionen über Antisemitismus unterschieden. Die Stimmung war gereizt, viele der Diskutierenden sind in ihrer Kritik an meinem Input sofort persönlich geworden. Natürlich haben es sich einige auch nicht nehmen lassen, in ihren Redebeiträgen dann doch zu versuchen, Erlaubnis einzuholen, nun doch Kritik an Israel zu üben – auch auf die vehemente Bitte hin, für solche Diskussionen den Raum zu verlassen.
AVIVA: Was hat Dich (positiv/negativ) überrascht?
Merle Stöver: Auf jeden Fall hat mich positiv überrascht, wie viele Menschen sich mit mir solidarisiert haben. Sowohl die Organisatorinnen haben öffentlich ihre Solidarität mit mir ausgesprochen als auch viele Einzelpersonen, die mir im Lauf des Tages und im Nachgang Nachrichten geschrieben haben, die mich angerufen haben und die gefragt haben, wo sie mich unterstützen können.
Durch den öffentlichen Disput mit Laurie Penny zieht mein Twitter-Account leider immer noch viele Menschen an, die mich beleidigen und teils bedrohen wollen. Sowas übersteht man nur, solange man auch immer noch Unterstützer*innen hat, die einer*m das Gefühl geben, alles richtig zu machen.
Merle Stöver: Was bei mir vor allem mit einem großen Fragezeichen bleibt, ist die Reaktion von Laurie Penny. Sie hätte mir privat schreiben können, um mich zu fragen, ob ich sie als Antisemitin bezeichnet habe und ob ich das erklären könnte. Stattdessen hat sie es öffentlich gemacht. Das zeigt eigentlich nur, dass sie keinerlei Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung hatte, sondern mich öffentlich an den Pranger stellen wollte. Mit ihrem offenen Brief hat sie es dann letztlich auch nicht mehr besser, sondern eher schlimmer gemacht.
Und spätestens, wenn eine Person des öffentlichen Lebens wie Laurie Penny, anfängt, die Dichotomie "Deutsche" und "Jüdinnen und Juden" aufzumachen, offenbart sie, wie sie Antisemitismus zu einem kulturellen Problem macht. Als wäre ein antisemitischer Satz aus meinem Mund schwerwiegender als aus ihrem.
AVIVA: Welches sind für Dich die wichtigsten Impulse des Barcamp Frauens, die Du mitnimmst?
Merle Stöver: Wir haben durch die Reaktionen gesehen, dass wir genau das richtige Thema gesetzt haben. Das Thema Antisemitismus anzusprechen, fordert immer Menschen heraus, sich zu positionieren.
Meist wird Antisemitismus nicht als einzelnes Phänomen im Feminismus besprochen. Feminismus soll intersektional sein und wenn das betont wird, folgt meistens diese ominöse Aufzählung verschiedener Diskriminierungsformen, in der auch Antisemitismus auftaucht. Aber wenn wir über Antisemitismus sprechen, ist der Wohlfühlfeminismus vorbei und darüber scheinen viele nicht sehr erfreut gewesen zu sein. Aber genau das ist eben nur ein Zeichen, weiterzumachen.
AVIVA: Was fehlte Dir?
Merle Stöver: Ach, das kann ich sehr kurz beantworten: Die Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und bei vielen die Stärke, sich hinter Israel zu stellen und Antisemitismus anzusprechen.
AVIVA: Alltag in Israel – wie erlebst Du ihn? Die täglichen Übergriffe? Hast Du das Gefühl, dass die Medien in Deutschland das objektiv wiedergeben?
Merle Stöver: Ich bin seit Ende Februar wieder zurück in Berlin. Es war skurril, dort zu sein und den Terror mitzuerleben, aber gleichzeitig die Geduld zu haben, Menschen in Deutschland zu erklären, was dort gerade passiert – weil sie es kaum mitbekommen.
Der Alltag hat sich für mich dort innerhalb von wenigen Monaten stark verändert. Als die Attentate im Oktober begannen, habe ich gelernt, was Angst bedeutet. Angst, auf der Straße angegriffen zu werden und Angst um Freund*innen. In den darauffolgenden Monaten kam der Trotz: Sich nicht den Alltag nehmen zu lassen, weiterzumachen, die Angst nicht siegen zu lassen.
Was in den deutschen Medien ankommt, habe ich irgendwann kaum noch verfolgt. Aber es war irre: Noch während Blutspuren weggewischt wurden, wurden Titel gedruckt wie "Weiterer toter Palästinenser nach versuchter Messerattacke" mit noch unheimlicheren politischen Forderungen im Text. Als die erste Aufregung über die Attentate vorüber war, wurde – soweit ich weiß – eigentlich gar nicht mehr berichtet. Ich wurde kaum noch danach gefragt und war irgendwann zu müde, Menschen davon zu erzählen und ein verwundertes "Oh, echt?" als Antwort zu bekommen.
AVIVA: Stichwort "Der Israel-Moment: zwischen Terror und Normalität, zwischen Feiern und Trauern, Angst und Gelassenheit"...
Merle Stöver: Ich habe unheimlich viel in Israel gelernt: Über den Umgang mit der ständigen Gefahr und darüber, das Leben trotzdem zu genießen. Und trotz aller Schwierigkeiten, die besonders in Jerusalem Alltag sind: Ich vermisse das Leben dort.
AVIVA: Antisemitismus unter Feministinnen – in Deutschland. Ein Tabuthema?
Merle Stöver: Ich glaube, dass gerade deutsche Feministinnen nach 1945 nie die Vergangenheit bearbeitet haben. Es wird eine Lüge konstruiert, in der alle Frauen im Nationalsozialismus unterdrückt waren und es folglich keine Frauenbewegung mehr gegeben hätte. Jüdische und sozialistische Frauen werden instrumentalisiert, um der gesamten Frauenbewegung einen Opferstatus zuzusprechen, der ihr nicht zusteht: Denn die jüdischen und sozialistischen Frauen wurden verfolgt und ermordet, die Frauen, die in die Ideologie passten, konnten sich weiterhin organisieren und dort an ihrem eigenen antisemitischen Mythos vom Patriarchat basteln. Dadurch, dass die 1968er sich vermeintlich von ihren Elterngenerationen distanziert und sich selbstbewusst als "Antifaschist*innen" bezeichnet haben, haben sie sich von jeglicher Verantwortung befreit und angefangen, den alten antisemitischen Hut weiterzugeben und "das Jüdische" durch Israel zu ersetzen. Das sehen wir in nahezu allen deutschen feministischen Gruppierungen in den 70er oder 80er Jahren. Und plötzlich demonstrieren die friedensbewegten Frauen vor Synagogen gegen Israel.
Ich glaube, dass gerade eine Mehrheit der deutschen Feministinnen es sich sehr bequem gemacht hat in dem Glauben, immer und überall unterdrückt zu sein. Die feministische Geschichte komplett neu aufzurollen und zu bearbeiten, passt nicht in diesen Wohlfühlfeminismus, in dem sich alle Feministinnen unterstützen und gern haben, denn spätestens die Frage nach dem Antisemitismus oder nach der Zusammenarbeit mit antisemitischen Gruppierungen wird hier vieles aufwirbeln.
AVIVA: Was möchtest Du ergänzen?
Merle Stöver: Ich würde mir wünschen, dass wir die Debatte über Antisemitismus, besonders im Feminismus, weiterführen können. Und dass es dann wirklich um Antisemitismus geht und nicht um einen durch Kommata getrennten Begriff in einer Aufzählung anderer Diskriminierungsmechanismen.


Mareike Richter und Ricarda Scholz leiten gemeinsam das DGB-Projekt "Was verdient die Frau?" Wirtschaftliche Unabhängigkeit!". Das Projekt will aufzeigen, welche Stolpersteine auf dem Weg zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen aus dem Weg geräumt werden müssen. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen zum einen auf dem Übergang von der Ausbildung in den Beruf und zum anderen auf den Aus- und Wiedereinstieg rund um die Familienphase – als zentrale Meilensteine für eine gelingende, selbstbestimmte Erwerbsbiographie von Frauen.
Mehr Infos unter: www.was-verdient-die-frau.de/alle-themen/partnerschaftlichkeit

Hanna Wolf betreut als Projektkoordinatorin das DGB-Projekt "Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestalten!". Das Projekt unterstützt seit 2007 Gewerkschaften und insbesondere Betriebs- und Personalräte dabei, familienbewusste Maßnahmen in ihren Betrieben und Verwaltungen einzuführen.
Mehr Infos unter: www.familie.dgb.de



AVIVA: Was waren eure Erwartungen an das 6. Barcamp Frauen und welche Impulse und politischen Forderungen wolltet ihr einbringen? Ist das Barcamp eine Möglichkeit die DGB-Projekte in eine andere Frauenöffentlichkeit zu transportieren? Was versteht ihr unter "Partnerschaftlichkeit in der Arbeitswelt" und wie können diese Vereinbarkeiten gestaltet werden?
Mareike Richter, Ricarda Scholz, Hanna Wolf: Die DGB-Projekte "Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit" und "Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestalten!" sind in diesem Jahr bereits das zweite Mal beim Barcamp Frauen dabei. Diesmal wollten wir in der von uns angebotenen Session "Wie wär´s mal mit Partnerschaftlichkeit? Arbeit neu gestalten" mit Interessierten und Betroffenen über ihre Vorstellungen von Partnerschaftlichkeit und mögliche Schritte hin zu einer gerechteren Aufteilung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit zwischen Frauen und Männern diskutieren.
Uns war es wichtig, den Blick, den wir durch unsere Arbeit als Gewerkschafterinnen auf Partnerschaftlichkeit haben, durch Ideen und Impulse der Anwesenden zu erweitern und zu schärfen. Wir wollten die Teilnehmer/innen für wichtige Aspekte wie wirtschaftliche Unabhängigkeit sensibilisieren und gemeinsam Ideen entwickeln, wie partnerschaftliches Zusammenleben gelingen kann. Individuelle Erfahrungen bezüglich partnerschaftlicher Aufgabenverteilung im Privat- und Erwerbsleben spielen da ebenso eine Rolle wie die theoretische Ebene.
Das Barcamp ist für uns eine gute Möglichkeit, mit Frauen aus verschiedenen Generationen und Lebenssituationen über Themen, die uns beruflich, aber auch privat bewegen zu diskutieren. Klar ist, dass das Barcamp eine super Plattform zur Vernetzung mit anderen jungen, politisch interessierten Frauen, Initiativen und Gruppen ist. Es bietet uns die Möglichkeit, unsere Themen und die Arbeit unserer Projekte stärker zu platzieren.
AVIVA: Wie war der Austausch auf dem Barcamp Frauen?
Mareike Richter, Ricarda Scholz, Hanna Wolf: Wir haben uns sehr über die rege Teilnahme an unserem Workshop gefreut. Toll war, dass die Teilnehmenden ganz offen über alltägliche Herausforderungen in Bezug auf partnerschaftliche Aushandlungsprozesse berichtet haben. Partnerschaftlichkeit, heißt zwar nicht nur im Privaten auszuhandeln, wer, wieviel und was an Haus- und Fürsorgearbeit übernimmt. Dennoch sind diese Diskussionsprozesse Voraussetzung, wenn es um die Frage geht, wer, in welchem Umfang erwerbstätig ist und wie sich Partner/innen bei der beruflichen Entwicklung unterstützen können.
AVIVA: Was hat euch überrascht?
Mareike Richter, Ricarda Scholz, Hanna Wolf: Aufgefallen ist uns, dass sich die Teilnehmer/innen schnell auf die Partnerschaftlichkeit im Haushalt bezogen haben. Wie kann ich eine faire Aufteilung im Haushalt sicherstellen? Durch einen strengen Putzplan? Wir wechseln uns einfach ab – einmal du, einmal ich? Muss ich meine Ansprüche beim Wischen, Bügeln und Aufräumen zurückstellen? Partnerschaftlichkeit hat für viele der Teilnehmer/innen etwas mit fairer Aufteilung der (lästigen) Hausarbeit zu tun. Vielleicht ist das ein Indiz dafür, dass es in diesem Bereich noch nicht so weit her ist mit der Partnerschaftlichkeit. Zu Recht, wie viele Untersuchungen feststellen konnten. Seltener hörten wir in den Kommentaren heraus, dass Partnerschaftlichkeit auch bedeutet, dass beide Partner/innen arbeiten und – im Idealfall – auch gleich viel verdienen. Dabei kann Partnerschaftlich auf alle Arbeitsbereiche bezogen werden – die Erwerbs-, Fürsorge- und Hausarbeit.
AVIVA: Welche wichtigen Diskussionen wurden angestoßen?
Mareike Richter, Ricarda Scholz, Hanna Wolf: Wir haben gefragt, was Partnerschaftlichkeit individuell bedeutet, was sich ändern muss, damit Partnerschaftlichkeit gelingen kann. Und ganz grundsätzlich, ob es das überhaupt braucht. Klar wurde: Wenn es auch nicht immer um eine strenge Fifty-Fifty-Aufteilung im Privaten gehen muss, wir brauchen Partnerschaftlichkeit, damit Frauen und Männer gleichermaßen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben und langfristig wirtschaftlich unabhängig sein können. Das heißt auch, dass sich die politischen Rahmenbedingungen verändern und Fehlanreize abgebaut werden müssen. Auch die Arbeitgeber sehen die Teilnehmenden in der Pflicht, vernünftige Bedingungen für Vereinbarkeit zu schaffen. Letztlich blieb die Frage offen, wer sich Partnerschaftlichkeit eigentlich leisten kann. Wenn beide im Niedriglohnsektor arbeiten, fällt z.B. eine Stundenreduktion auf 32 Stunden pro Woche schwer. Wir hätten gerne noch weiter diskutiert.
AVIVA: Welches ist für euch der wichtigste Impuls des Barcamp Frauens den ihr mit nimmt?
Mareike Richter, Ricarda Scholz, Hanna Wolf: Gleichstellung (-spolitik) hat unheimlich viele Facetten. Wir betrachten Frauenpolitik größtenteils mit der Brille der Gewerkschafterinnen. Das heißt, wir schauen, wie es um die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben und Verwaltungen steht, welche Chancen Frauen in ihrem Erwerbsleben haben. Das ist auch gut so, da wir uns in diesem einen (Politik-)Feld besonders gut auskennen. Doch wir können und wollen nicht leugnen, dass uns ein Blick nach rechts und links durchaus mal gut tut. Wichtig ist uns, fortlaufend im Austausch zu sein mit Frauen aus möglichst vielen Bereichen des Erwerbslebens und darüber hinaus. Denn die Impulse, Ideen und Anregungen, die wir aus diesen Gesprächen erhalten, können wir sehr gut in unsere Arbeit einfließen lassen. Zum Beispiel lässt sich die Frage, welche Auswirkungen die Kleiderwahl im politischen Raum auf die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen haben, auch auf die Verhandlungspositionen im Arbeitskontext beziehen. Die Frage ist nicht neu, aber doch momentan aus dem Blick geraten. Und schon ertappen wir uns selbst, wenn wir uns morgens fragen, wofür der schwarze Rollkragen, die gepunktete Bluse oder die blaue Jeans steht und welches Machtpotenzial sie mit sich bringen. Für mehr Gleichstellung muss der Blick geweitet und auf alle Facetten des Lebens gerichtet werden.


Charlotte Hitzfelder



Nach der Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation und dem Nachholen des Abis auf dem 2. Bildungsweg hat Charlotte Hitzfelder in Berlin B.A Politikwissenschaften (2010 – 2015) studiert. Seit März 2015 ist sie beim Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig erst als Praktikantin in der Bildungsarbeit, dann als Projektmitarbeiterin im Orgakreis für die Degrowth-Sommerschule 2015. Für 2016 organisiert sie wieder die Degrowth-Sommerschule und das Klimacamp mit. Das Thema Feminismus begleitet sie seit Beginn ihres Studiums durchweg aller Tätigkeiten und Themen. Konkret arbeitet sie beim Konzeptwerk Neue Ökonomie im Projekt Degrowth und Klimagerechtigkeit. Ihre Interessen liegen im Bereich: Feministische Theorien, kritische Entwicklungstheorie und alternative Lebens- und Organisationsformen. Im Rahmen des 6. Barcamp Frauen hat Charlotte eine Session zu Feministischer Ökonomie angeboten.
Mehr Informationen unter: www.konzeptwerk-neue-oekonomie.org

AVIVA: Was waren Deine Erwartungen an das Barcamp Frauen und welche Impulse aus Deinen Erfahrungen und Deiner Arbeit an der Degrowth-Sommerschule wolltest Du einbringen?
Charlotte: Im Vorhinein war ich bereits erstaunt über das rege Interesse und die große Teilnehmer*innenzahl. Ich persönlich kannte das Format "Barcamp" vorher nicht und bin erst durch die Einladung darauf aufmerksam geworden. Ich war gespannt, wie viele Sessions eingebracht werden, wie sie angenommen und wie sie verteilt werden. Neugierig war ich auch auf den Hintergrund der Teilnehmer*innen und auf welche Art und Weise das Thema "feministische Ökonomie" diskutiert wird.
Ich habe versucht, meine Erfahrung aus dem Vorbereitungsprozess der Degrowth-Sommerschule über den basisdemokratischen Umgang in Großgruppen einzubringen: Ein Ziel meiner Session war es das klassische Vortragsmuster aufzubrechen und die eigenen Perspektiven der Teilnehmenden zu hören. Statt als Expertin zu sprechen, habe ich Impulse an die Menschen weitergegeben, anhand derer wir gemeinsam weiterarbeiten konnten. So gab es nach kurzen inhaltlichen Anregungen Zeit sich in Kleingruppen auszutauschen. Kleinere Gesprächsrunden sind für mich eine Möglichkeit Sprach- und Machthierarchien aufzubrechen und die Menschen zu Wort kommen zu lassen, was ich auch während der Degrowth-Sommerschule als ermächtigend empfunden habe.
AVIVA: Warum sollten sich die Frauen Deiner Meinung nach mit feministischer Ökonomie auseinandersetzen?
Charlotte: Zu Beginn der Session haben wir nach Lebensbereichen gesucht, welche nicht von ökonomischen Prozessen beeinflusst sind: Wir sind auf keinen einzigen gestoßen! Alle gesellschaftlichen Ebenen und auch zwischenmenschlichen Beziehungen sind in irgendeiner Weise mit Ökonomie verflochten. Ob der tägliche Einkauf von Lebensmitteln oder der Abschluss einer Unfallversicherung, Lohnarbeit, die Erziehungsarbeit oder der Haushalt – alles sind ökonomische Prozesse, die für die soziale Reproduktion notwendig sind. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass ausschließlich die wertschöpfenden Bereiche (Konsum, Erwerbsarbeit, etc.) im vorherrschenden Wirtschaftsmodell sichtbar sind und anerkannt werden. Alle anderen Tätigkeiten, insbesondere der sozialen Reproduktion – der Basis für unser Leben – bleiben unsichtbar, werden als selbstverständliche Ressource wahrgenommen und nicht als produktiver Teil der Wirtschaft anerkannt. Zudem unterliegen diese beiden Sphären einer geschlechterhierarchischen Ordnung – das Produktive wird überwiegend dem Männlichen, das Reproduktive dem Weiblichen zugeordnet. Um nicht in einer Essentialisierung zwischen zwei Geschlechtern zu verharren, scheint es mir unabdingbar, dass sich alle Menschen mit ökonomischen Prozessen auseinandersetzen, da diese unser aller Leben und Alltag wesentlich strukturieren.
AVIVA: Wie war der Austausch auf dem Barcamp Frauen?
Charlotte: Ich bin mit sehr unterschiedlichen und spannenden Menschen in Kontakt gekommen, mit denen ich mich offen über eine breite Themenvielfalt austauschen konnte. Es hat mich gefreut, dass Degrowth als alternative Perspektive aufgenommen und rege diskutiert wurde.
In Bezug auf meine Session war es eine Herausforderung in der kurzen Zeit (ca. 1 Stunde) sowohl interaktiv, als auch inhaltlich mit den Menschen tiefgehend zu arbeiten, die einen ganz unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungshintergrund mitbrachten.
AVIVA: Was hat Dich überrascht?
Charlotte: Mich überraschte die unglaubliche Vielzahl und Breite der Themen, die an diesem Tag diskutiert wurden. Dies zeigt auch die Relevanz von feministischen Perspektiven in allen Themenbereichen (bspw. Literatur, Feminismus und Antisemitismus, Fluchtursachen & Migration, Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung). Mich freut, dass über den Begegnungsort Barcamp hinaus, viele Themen in den sozialen Netzwerken diskutiert werden.
AVIVA: Welche wichtigen Diskussionen wurden angestoßen?
Charlotte: In den Sessions und Gesprächen zwischendurch wurden von Selbstermächtigungsstrategien bis hin zur Systemkritik viele Ansätze feministischer Perspektiven diskutiert. Mir ist es wichtig eine Brücke von der individuellen Ebene auf das Gesamte zu schlagen: das wichtige, individuelle Empowerment gemeinsam mit den gesamtgesellschaftlichen Macht-, Abhängigkeits- und Ausbeutungsmechanismen zu diskutieren.
AVIVA: Welches ist für Dich der wichtigste Impuls des Barcamp Frauens den du mitnimmst?
Charlotte: Menschen interessieren sich dafür, möchten in Austausch und Diskussion treten darüber, wie die Welt ist und auch wie sie verändern werden kann. Verbündete zu suchen und zu finden ist für mich ein wesentlicher Faktor um politisch handlungsfähig und hörbar zu sein. Deshalb bin ich dafür, dass das Barcamp noch größer wird, mehr Austausch und Vernetzung stattfindet, mehr Menschen zusammenkommen und wir gemeinsam politisch agieren und für eine gerechte Welt kämpfen können.


Dr. Katharina Schiederig studierte Politikwissenschaften und Entwicklungsökonomie in Berlin und Paris. Sie promovierte zu "Diversitätspolitiken in transnationalen Unternehmen" und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin sowie in Projekten der ILO und UNESCO. Seit 2012 gehört Katharina Schiederig zum Team der EAF Berlin und leitet derzeit das Projekt "Flexship: Flexible Arbeitsmodelle für Führungskräfte", das die Erfolgsfaktoren und Barrieren für innovative Arbeitsmodelle untersucht. Sie ist selbst kommunalpolitisch engagiert.
Mehr Informationen unter: www.eaf-berlin.de
Anna Jäger studierte Afrikawissenschaften und Philosophie in Berlin mit Studien- und Forschungsaufenthalten in Ghana, Tansania und Kenia. Seit 2008 gehört sie zum Team der EAF Berlin und wirkte u.a. in der Kampagne "Frauen Macht Kommune" mit. Anna Jäger gilt als Expertin mit dem Schwerpunkt "Frauen in der Kommunalpolitik", sie betreut das Helene Weber Kolleg, das HWK-Mentoring, die Ausstellung "Mütter des Grundgesetzes" sowie die Öffentlichkeitsarbeit. Neben ihrer Tätigkeit für die EAF ist Anna Jäger auch als freie Kuratorin von Kulturprojekten sowie als Herausgeberin und Übersetzerin tätig.
Mehr Informationen unter: www.eaf-berlin.de



AVIVA: Was waren Eure Erwartungen an das 6. Barcamp Frauen und welche Impulse aus Euren Erfahrungen und Arbeit an der EAF Berlin wolltet Ihr einbringen? Mit welcher Zielsetzung habt ihr hier das Thema Frauen und Kommunalpolitik als Session angeboten?
Anna & Katharina: Wir hatten große Lust, uns mit den vielen engagierten Frauen beim Barcamp auszutauschen. Eines unserer Kernthemen in der EAF ist die politische Partizipation von Frauen. Vor allem in der Kommunalpolitik, der Basis unserer Demokratie, sind Frauen deutlich unterrepräsentiert und die niedrigen Zahlen stagnieren seit Jahrzehnten. Auf dem Barcamp wollten wir diskutieren, wie und wann Kommunalpolitik für Frauen attraktiv sein kann und welche Instrumente (Mentoring, Anerkennung, Quotenregelungen, etc.) hier greifen. Das Barcamp ist ein spannender Raum, um mit vielen engagierten Frauen dazu ins Gespräch zu kommen.
AVIVA: Warum ist Eurer Meinung nach Kommunalpolitik für Frauen wichtig? Welche Stärken bringen Frauen für die Kommunalpolitik mit? Wie animiert ihr Frauen dazu?
Anna & Katharina: Zunächst einmal sind vor allem die Frauen wichtig für die Kommunalpolitik – es ist schlicht undemokratisch, wenn die Hälfte der Gesellschaft nicht repräsentativ in den Parteien, auf den Wahllisten und letztlich in den Parlamenten vertreten ist. In der Kommunalpolitik werden Entscheidungen getroffen, die uns und unser Umfeld unmittelbar betreffen – hier werden Männer und Frauen gleichermaßen gebraucht, denn ein demokratisches Gemeinwesen kann es sich nicht leisten, dass in einem solch zentralen Bereich der Gesellschaft wichtige Potenziale verloren gehen.
Die EAF koordiniert ja im Auftrag des BMFSFJ das Helene Weber Kolleg. Das ist das erste bundesweite und parteiübergreifende Netzwerk für Kommunalpolitikerinnen, mit dem wir Frauen durch Anerkennung und öffentliche Würdigung von Vorbildern mit dem Helene Weber Preis für besonders engagierte Kommunalpolitikerinnen ermutigen. Ein weiteres wichtiges Instrument ist unser Mentoringprogramm, in dem politische Neueinsteigerinnen vom Wissen und den Erfahrungen einer sie beratenden, erfahrenen Politikerin profitieren. So werden interessierte Frauen an die Kommunalpolitik herangeführt und das Erfahrungswissen bereits aktiver und erfolgreicher Frauen in der Politik weitergegeben. Über unser Netzwerk aus Mentorinnen und Mentees wollen wir außerdem den generationen- und parteiübergeifenden Austausch stärken. Dies ist besonderes Anliegen im Reverse Mentoring, wo erfahrene Kommunalpolitikerinnen mit ihren Mentorinnen, Social Media Expertinnen, herausfinden, welche die richtigen Kanäle für Ihre Botschaften und Ziele sind.
AVIVA: Wie war der Austausch auf dem FrauenBarcamp? Was hat euch überrascht?
Anna & Katharina: Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht! Es hat uns gefreut, dass wir sowohl alte Häsinnen, also schon engagierte Politikerinnen, ansprechen konnten wie auch interessierte Frauen, die noch unentschieden sind, ob Politik das richtige Engagementfeld für sie ist. Natürlich haben wir versucht, so viel Inhalt und Austausch wie möglich in die relativ kurze Session zu packen. Zu unserer positiven Überraschung ist es auch in dieser knappen Zeit gelungen, wesentliche Faktoren herauszuarbeiten und eine rege Debatte über die Attraktivität von Kommunalpolitik für Frauen zu führen.
AVIVA: Welche wichtigen Diskussionen wurden angestoßen?
Anna & Katharina: Vereinbarkeit ist natürlich ein großes Thema – wie kommen die Räte und Parlamente hier Männern und Frauen mit Berufs- und Fürsorgeverantwortung im Ehrenamt entgegen? Müssen Sitzungen bis spät in die Nacht und oft in Hinterzimmern von Kneipen fortgesetzt werden? Auch die oft verkrusteten, unzeitgemäßen Parteistrukturen halten vor allem junge Menschen vom parteipolitischen Engagement ab. Auch die Quotierung von Wahllisten wurde als ein weiteres sinnvolles Instrument diskutiert. Dann ging es darum, dass eine Öffnung der kommunalpolitischen Strukturen auch für weitere Gruppen notwendig ist – Stichworte Migration und Barrierefreiheit. Genereller Tenor in unserem Austausch war, dass nicht nur im Hinblick auf den Mangel an Nachwuchs eine angemessene Repräsentanz unserer vielfältigen Gesellschaft auch in Politik ein wichtiges Ziel ist – dafür gilt es, die Strukturen zu gestalten.
AVIVA: Welches ist für euch der wichtigste Impuls des FrauenBarcamps, den ihr mitnehmt?
Anna & Katharina: Wie spannend, wie facettenreich, wie aufregend Feminismus ist! Das große Interesse am Barcamp hat gezeigt, dass es Zeit ist, viele neue Debatten gemeinsam anzuregen und im Austausch zu bleiben!
Eine Anregung für das nächste Barcamp: Frauen noch mehr in ihrer Vielfalt ansprechen und über unterschiedliche Kanäle und Multiplikator/innen einladen. Es wäre toll, wenn am nächsten Barcamp noch mehr Frauen unterschiedlichen Alters, Herkunft und Befähigung – Stichwort Barrierefreiheit – teilnehmen!






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Copyright Fotos: Sharon Adler und Yvonne de Andrés



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Beitrag vom 21.03.2016

AVIVA-Redaktion