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Beitrag vom 18.03.2015
Die unsichtbare Lesbe. Über das Verschwinden einer Identität – Dr. Birgit Bosold im Interview
Dorothee Robrecht
Seit 2006 Vorstandsmitglied im Schwulen Museum* ist sie einzige Frau neben vier Männern. Am 21.3.2015 nahm sie anlässlich des "Month of Queer Women* and Femininities" an einer Podiumsdiskussion...
... im SchwuZ teil.
Birgit Bosold hat über die Schriftstellerin und Salonnière Rahel Varnhagen promoviert, ist 1997 als Quereinsteigerin in der Finanzindustrie gewechselt und ist heute selbständig als Finanzcoach, Dozentin und Autorin.
AVIVA-Berlin: Sie sind die einzige Frau im Vorstand des Schwulen Museums*. Haben Sie Schwierigkeiten, lesbische Perspektiven durchzusetzen?
Birgit Bosold: Durchsetzen muss ich nichts. Die Offenheit des Museums für alle nicht heteronormativen Identitäten ist die vom ganzen Haus getragene Politik. Natürlich ist das in den Niederungen der täglichen Arbeit nicht immer leicht umzusetzen. Bei Ausstellungen zum Beispiel heißt es oft, wir finden einfach keine Künstlerinnen zu diesem Thema, keine guten jedenfalls, aber das akzeptiere ich so nicht. Denn wer bestimmt, was "gut" ist? Um ein Beispiel aus der Literaturgeschichte zu nehmen: Für mich steht nicht fest, dass die Texte eines Goethe oder Jean Paul grundsätzlich "besser" sind als die einer Rahel Varnhagen - man kennt ihre Texte einfach nicht. Was bei den Männern ganz sicher besser war, immer schon, war das Marketing. Insofern bin ich absolut für Quotierung in Bezug auf lesbische, queere und trans Perspektiven, gerade auch im Bereich der Kultur.
AVIVA-Berlin: Lesben liefen Gefahr, unsichtbar zu werden, eine "aussterbende Spezies", so die Journalistin Stefanie Kuhnen in einem Leitartikel für die Siegessäule 03/2015. Sehen Sie das ähnlich?
Birgit Bosold: Natürlich sind Lesben weniger sichtbar als Schwule. Sie müssen sich nur die einschlägigen Institutionen und Organisationen ansehen: Der Völklinger Kreis zum Beispiel hat deutlich mehr Mitglieder als sein lesbisches Pendant, die Wirtschaftsweiber. Sie sehen sofort, wer über die besseren Netzwerke, die größere Power, die größeren finanziellen Ressourcen, die größere Sichtbarkeit verfügt. Aber das ist nichts wirklich Neues.
AVIVA-Berlin: Warum wird es dann gerade jetzt zum Thema?
Birgit Bosold: Thema ist es eigentlich immer, aber die Siegessäule hat es jetzt noch mal auf die Agenda gesetzt, klassisches Agendasetting eben, und was die Siegessäule konstatiert, stimmt ja auch: Es hat zwar Erfolge gegeben, Lesben haben heute Rechte, die sie nie zuvor hatten, sie können heiraten, vererben, demnächst vermutlich auch adoptieren. Trotzdem hat das an der Marginalisierung von Lesben nichts geändert.
AVIVA-Berlin: Woran liegt das?
Birgit Bosold: Wie hieß dieser Spruch von Bill Clinton damals? It´s the economy, stupid, und für das Thema Lesben könnte ich sagen: It´s the patriarchy. Ich wundere mich eigentlich eher darüber, dass wir uns darüber wundern, dass natürlich auch in der queeren Community die Geschlechterordnung wirksam ist.
AVIVA-Berlin: Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?
Birgit Bosold: Zum einen, die Verdienste lesbischer Frauen überhaupt erst mal zur Kenntnis zu nehmen – auch historiographisch. Ich schätze, ein ziemlich großer Teil der Frauen, die in der letzten Frauenbewegung aktiv waren, waren Lesben, aber in der gängigen Geschichtsschreibung ist das kein Thema. Viele politisch wichtige Anstöße, die zum dem geführt haben, was heute unter "Intersektionalität" diskutiert wird, kamen aus der Lesbenbewegung, etwa die schon sehr früh beginnende Auseinandersetzung mit Rassismus, die maßgeblich die afroamerikanische Dichterin und Aktivistin Audre Lorde angestoßen hat. Aber das wird wenig reflektiert. Und zum anderen geht es natürlich darum, finanzielle Mittel aufzutreiben.
AVIVA-Berlin: Wie machen Sie das?
Birgit Bosold: Es ist natürlich nicht einfach und braucht vor allem einen langen Atem. Wir sind gerade dabei, eine große Überblicksausstellung zur Geschichte der "Homosexualität_en", vorzubereiten, die ab dem 26. Juni parallel hier im Schwulen Museum* und im Deutschen Historischen Museum laufen wird und von den Kulturstiftungen des Bundes und der Länder gefördert wird.
AVIVA-Berlin: Was ist Ihre Rolle bei dieser Ausstellung? Und wird sie Lesben sichtbarer machen?
Birgit Bosold: Ich bin Mitinitiatorin, Projektleiterin und Co-Kuratorin. Die Ausstellung wird lesbischer Geschichte viel Raum geben, aber sie wird auch versuchen, das zu unterlaufen, was Judith Butler die "heteronormative Matrix" genannt hat. Unser Plakatmotiv zeigt eine Arbeit von Heather Casills, einer Performance Künstler_in aus den USA. Casills bezieht sich auf feministische Künstlerinnen wie Lynda Benglis und Eleanor Antin. Casills spielt mit Identitäten, auch lesbischen, und dieses Spielen allein schon hat etwas durchaus Transgressives und Befreiendes.
Weiterführende Links
Podiumsdiskussion "Die unsichtbare Lesbe. Über das Verschwinden einer Identität" mit Birgit Bosold, Karen-Susan Fessel, Jim Baker, Christina Reinthal am 21.3.2015, 20.00 Uhr im SchwuZ
Infos zur Ausstellung Homosexualität_en im Schulen Museum* und im DHM ab 26. Juni 2015
www.birgit-bosold.de, Website von Birgit Bosold
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