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Beitrag vom 09.01.2014
Omanut - die heilende Kraft der Kunst
Karmela Neiburger
Omanut, oder Kunst auf Hebräisch, heißt ein erfolgreiches Projekt der ZWST für jüdische Menschen mit Behinderung. Die Kunsttherapeutin Judith Tarazi spricht über den Alltag des Kunstateliers.
Die Kunsttherapie als ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von psychischen Erkrankungen bekommt immer mehr Anerkennung - weltweit. Das war nicht immer so. Es hat auch einige Zeit gedauert, bis die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) das Kunstatelier Omanut, ein Projekt für behinderte Gemeindemitglieder, ins Leben gerufen hat.
Drei Mal in der Woche öffnet das Atelier seine Türen. In zwei großen, hellen Räumen werden Kerzen gegossen, Bilder gemalt, Mosaike hergestellt, gebastelt und getanzt. Drei pädagogische Kräfte unterstützen und begleiten 13 TeilnehmerInnen, die regelmäßig das Omanut besuchen. Aber es gibt wieder Momente, wenn es einem oder einer nicht so gut geht und der Besuch ausbleibt. Dann rufen die Mitarbeiterinnen an, laden zum kommenden Feiertag ein. "Es gibt hier viele schwere Geschichten", sagt Judith Tarazi, die Leiterin des Ateliers. Aber auch nach einer Auszeit kehren sie immer zurück, weil sie wissen, dass sie hier mit Freude und Zuwendung erwartet werden.
Außer Zeichnen, Malen, Mosaike legen und Plastizieren tanzen die TeilnehmerInnen alle zwei Wochen die israelischen Volkstänze. Im Atelier gibt es auch eine Küche, wo sie gemeinsame Mahlzeiten einnehmen und die Feiertage begehen.
Das kreative Tun sorgt im Omanut für ständige Überraschungen: Einer der Teilnehmer, der nie im Leben gemalt hat, traut es sich nun zu und gewinnt Selbstvertrauen. Dann unternimmt er eine Reise und findet einen kleinen Job. Das war mein Glücksjahr, vertraute er Tarazi an. Im Atelier passieren auch andere Wunder: Vor kurzem ist hier ein Liebespaar entstanden.
Judith Tarazi führt mich durch die Werkstatt, die voll ist mit Kerzen, Mosaiken, Acryl- und Gouachebildern, Fotos. Wir unterhalten uns über die pädagogischen Herausforderungen, die heilende Kraft der Kunst und auch über immer kommende Überraschungen.
Judith Tarazi: Die Leute machen wirklich tolle Sachen hier. Manchmal machen wir Fotospaziergänge, meistens im Frühling. Wir haben eine Kamera, und jeder bekommt sie für 20-30 Minuten. Dann stellen wir die schönsten Fotos am Tag der offenen Tür aus. Ich finde einfach faszinierend, was die Teilnehmer mit der Kamera machen und wie sie die Dinge sehen.
Auf einem Arbeitstisch steht ein künstlerisch gestalteter Fisch aus Metall. Ich frage, woher er kommt.
Judith Tarazi: Der Fisch ist unser Modell. Die Teilnehmer bilden ihn ab. Und wir haben einen sehr begabten Künstler, der auch sehr gut zeichnen kann. Leider kommt er nicht mehr so oft, weil es ihm jetzt sehr schlecht geht.
Wie Kunsttherapie entstand und verbreitet wurde, ist auch Thema unseres Gesprächs.
Judith Tarazi: In Großbritannien oder in den USA gibt es schon lange die Kunsttherapie als richtiges Studienfach, mit vielen wissenschaftlichen Diskussionen. In Deutschland noch nicht so lange und so intensiv. In Berlin, Weißensee, kann man einen attraktiven Studiengang in dem Fach absolvieren, oder in Ottersberg, in der Richtung Anthroposophie. Die Anthroposophen haben auch immer viel mit den künstlerischen Therapien gemacht.
AVIVA-Berlin: Wie bist du zum Beruf "Kunsttherapeutin" gekommen?
Judith Tarazi: Ganz früh habe ich angefangen, Psychologie zu studieren, dazu noch Grafik-Design absolviert. Viele Jahre arbeitete ich als freie Grafikerin, aber Therapie hat mich immer interessiert. Dann habe ich den Kreis - die berufsbegleitende Ausbildung zur Kunsttherapeutin, mit viel Praxis und Selbsterfahrung - geschlossen. Seit knapp drei Jahren bin ich im Omanut und seit zwei Jahren leite ich das Atelier. Das war eine gute Entscheidung.
AVIVA-Berlin: Kannst du mir bitte erklären, wie die Kerzenherstellung die Heilungsprozesse unterstützt?
Judith Tarazi: Das Tolle an den Kerzen ist das unmittelbare Ergebnis. Du stellst die Farben zusammen und schaust, welche Formen du willst. Dann gießt du die Kerze, sie erkaltet und ist fertig. Das ist sinnlich und schön. Und fördert die Feinmotorik. Die Auswahl der Farben ist auch wichtig.
Wachs ist einfach ein tolles Material. Es wird flüssig und es wird hart, warm und kalt: Man kann andere Zusammenhänge erleben. Die Tätigkeiten sind vom Anspruch sehr unterschiedlich und jeder kann einbezogen werden.
AVIVA-Berlin: Ist Omanut das einzige jüdische Kunstatelier für Behinderte in Berlin?
Judith Tarazi: In ganz Deutschland gibt es nur zwei: in Frankfurt und in Berlin. Das Atelier ist ein geschützter Raum, in kultureller und emotionaler Hinsicht. Fast alle kommen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dieses jüdische Umfeld bietet schon etwas Vertrautes und Stabilität, was ganz wichtig ist. Und wir bemühen uns sehr, um diese Atmosphäre zu behalten.
AVIVA-Berlin: Wie kann man hier einen Platz bekommen?
Judith Tarazi: Das ist überhaupt kein Problem. Wenn man das Gefühl hat, man würde hier gut rein passen, wenn man eine Tätigkeit sucht, weil man im Moment aufgrund seiner Behinderung oder seiner psychischen Erkrankung oder Störung – das kann auch nur Depression sein – nicht arbeiten kann, aber raus möchte, sich vielleicht ein bisschen sich kunsttherapeutisch begleiten lassen möchte, dann kann man hier her kommen. Es ist freiwillig und kostenlos.
AVIVA-Berlin: Gibt es eine Altersbegrenzung?
Judith Tarazi: Vom Teenager bis zum Greis kann jeder kommen. Im Moment ist unsere jüngere Teilnehmerin 21 und der älteste fast 70.
AVIVA-Berlin: Und wie kommen die Teilnehmer miteinander zurecht?
Judith Tarazi: Es gibt Freundschaften, sogar ein Liebespaar. Das entwickelt sich gerade. Die Teilnehmer sind teilweise miteinander befreundet, so dass sie auch danach etwas zusammen machen oder sich besuchen. Manchmal streiten sie sich. Aber in Großen und Ganzen ist es ein sehr freundlicher Umgangston.
AVIVA-Berlin: Welche Herausforderungen begleiten deinen kunsttherapeutischen Alltag?
Judith Tarazi: Man muss lernen, keine Erwartungen zu haben: Alles kann ganz anders kommen, als man denkt. Manchmal ist eben so, dass bei einem heute die Hand wehtut oder ein anderer heute lieber mit Bleistift zeichnen will. Dann dürfen sie es. In diesem Bereich muss man flexibel sein. Da sind wir keine Werkstatt, die Dinge produziert die zu bestimmter Zeit fertig seien müssen. Aber es ist auch wichtig, dass man bestimmte Erwartungen hat, dass man die Leute motiviert, durchzuhalten und sich zu konzentrieren. Und es gibt ganz tolle Entwicklungen von Ich will gar nicht, ich kann nicht bis sie sich doch bei experimentellen Techniken sehr engagieren und danach ein großes Bedürfnis haben, das wieder zu machen. Weil sie sehen, was für tolle Bilder sie herstellen.
AVIVA-Berlin: Bestimmt brauchen einige zusätzliche Zuwendung…
Judith Tarazi: Aber, klar. Die Leute haben sehr starkes Mitteilungsbedürfnis, wollen was erzählen und brauchen viel Aufmerksamkeit. Einzelne dominieren dann auch mit ihren Problemen. Ich bin auch organisatorisch verantwortlich, arbeite künstlerisch und kunsttherapeutisch. Das ist wirklich eine Herausforderung.
Es gibt auch ein paar Tage, wo man nach eine Stunde total erledigt ist, aber wenn viele Leute da sind, ist es immer sehr inspirierend und schön.
Wir haben auch Teilnehmer, die ihre Krankheit nicht wahr nehmen möchten. Dann können wir nur begrenzt helfen, indem wir anbieten: Du kannst her kommen, du kannst hier arbeiten und essen, du kannst hier reden.
AVIVA-Berlin: Und kommen die?
Judith Tarazi: Ja, wir haben Leute, die regelmäßig hierher wieder kommen. Und manchmal werden an uns Dinge herangetragen, die mehr sozialarbeiterisch sind. Dann ist es wichtig, die benötige Distanz zu bewahren und eine Balance zu finden.
AVIVA-Berlin: Kommen die Eltern auch mit?
Judith Tarazi: Es gibt eine Mutter, die manchmal hierher kommt und gerne künstlerisch mit arbeitet. Manchmal haben wir ein offenes Atelier, dann laden wir die Eltern ein. In Ausnahmefällen kommen sie. Ich finde das persönlich nicht schlimm, - wir kennen die Eltern und haben gute Kontakte zu ihnen. Aber normalerweise leben viele unserer TeilnehmerInnen mit den Eltern, die alt oder sehr alt sind, zusammen. Und es geht einfach darum, dass sie ein paar Stunden weg von Zuhause sind und die Eltern auch ein bisschen Ruhe haben.
AVIVA-Berlin: Organisiert ihr auch Ausstellungen?
Judith Tarazi: Ja, wir hatten gerade eine Ausstellung im Begegnungszentrum "Integral". Mit dem haben wir eine Kooperation. Unser Mosaik-Workshop-Lehrer kommt von da. Die Ausstellungen organisieren wir, damit andere Menschen uns kennenlernen. Und ich möchte das öfter machen, da es wirklich schöne Bilder gibt! Und für die Teilnehmer ist das ein einmaliges Erlebnis.
AVIVA-Berlin: Was macht ihr hier noch außer den Kerzen?
Judith Tarazi: Wir arbeiten auf Leinwand und Papier mit Gouache, Acryl, Aquarell, mit Stift und Pinsel und sehr gerne mit dem Spachtel.
AVIVA-Berlin: Warum gerade mit dem Spachtel?
Judith Tarazi: Fast alle Menschen haben diese Angst: Wenn ich etwas male, muss es realistisch und gut aussehen. Und davon versuchen wir weg zu kommen. Unser Prinzip ist: Alles, was du machst, ist künstlerisch gut und richtig. Weil du es gemacht hast und das hat einen Grund. Der kunsttherapeutische Ansatz besteht nicht darin, dass man versucht ein schönes Bild zu malen. Wir arbeiten eher mit einem heilpädagogischen Ansatz: Dass du kreativ wirst, um dich besser zu fühlen und zu sehen, was in dir steckt. Das weckt Ressourcen. Und gerade, wenn du experimentell arbeitest. Da entsteht plötzlich ein Bild, das ästhetisch ist.
Es gibt Teilnehmer, die sehr wild mit Farben umgehen, es gibt Teilnehmer, die sehr vorsichtig sind – die malen einzelne Streifen, Linien und Formen. Das ist persönlichkeitsabhängig. Jeder hat seine ganz eigene Bildsprache.
AVIVA-Berlin: Habt ihr auch leidenschaftliche MalerInnen?
Judith Tarazi:: Ja, die gibt es. Sie rufen an und sagen: Bau schon mal für mich die Staffelei auf, ich bin gleich da!
AVIVA-Berlin: Wie oft erlebt ihr "künstlerische" Überraschungen?
Judith Tarazi: Regelmäßig. Es ist immer so, dass wir total überrascht sind, was für Sachen hier passieren!
AVIVA-Berlin: Kannst du sagen, warum auch die Menschen, die sonst nicht viel mit der Kunst haben, sich hier wohl fühlen und wieder hierher kommen?
Judith Tarazi: Wenn die Teilnehmer künstlerisch arbeiten, wird das nicht bewertet. Alles ist o.k. hier. Ich glaube, das ist es, warum die Leute gerne hierher kommen.
AVIVA-Berlin: Ich sehe hier wirklich eine sehr künstlerische und einladende Atmosphäre. Hast du Pläne für die Weiterentwicklung des Ateliers?
Judith Tarazi: Mein Wunsch wäre, dass wir das Atelier jeden Tag öffnen können. Und von morgens bis nachmittags. Und dass wir hier mehr Zeit haben und mehr Workshops an einem Tag anbieten. Es gibt mehr Leute, die das Atelier besuchen möchten.
AVIVA-Berlin: Dann wünsche ich euch die Erfüllung dieses Traums: Das Atelier leistet eine sehr wichtige Arbeit. Und danke für das Gespräch!
P.S. Das Kümmern um die armen und die kranken Menschen ist eines der wichtigsten Gebote des Judentums und heißt Zdaka, oder Wohltätigkeit auf Hebräisch.
Weitere Infos:
www.kunstatelier-omanut.de
facebook.com/KunstatelierOmanut
Copyright Fotos: Karmela Neiburger