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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 28.08.2013


Es ist wichtig, dass man lebendig bleibt – Ein Interview mit Erika Pluhar
Sabine Reichelt

Ein Gespräch mit der Sängerin und Schriftstellerin über ihr Programm "Lieder vom Himmel und der Erde", Texteschreiben, das Zusammenleben der Generationen und die wirklich wichtigen Dinge im Leben.





Erika Pluhar, 1939 in Wien geboren, wird nach ihrem Studium am Max-Reinhardt-Seminar Schauspielerin am Wiener Burgtheater. Dort bleibt sie bis 1999 ständiges Mitglied. Nebenbei spielt sie in zahlreichen Filmen. In den 1970er Jahren beginnt ihre Karriere als Sängerin, erst mit fremden, dann mit eigenen Liedtexten. Zusätzlich schreibt und veröffentlicht sie Prosa. 1980 erscheint ihr erstes Buch – "Aus Tagebüchern". Auf den Roman "Als gehörte eins zum anderen. Eine Geschichte" folgen unter anderem "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?", "Die Wahl" und "Reich der Verluste".

"Lieder vom Himmel und der Erde" ist ein lebenskluges Programm, das vom Wiener Charme der Texte und Interpretationen Erika Pluhars und den einfühlsamen Kompositionen und Begleitungen Klaus Trabitschs getragen wird. Die Zuneigung, die Sängerin und Gitarrist einander auf der Bühne entgegenbringen, überträgt sich in den Zuschauerraum. Über allem – Witz und Trauer, Lust und Wut – steht ein großes "Trotzdem".

AVIVA-Berlin: Wie entstehen die Stücke zu einem Programm wie "Lieder vom Himmel und der Erde"?
Erika Pluhar: Das ist unterschiedlich. Manchmal habe ich einen Text und Klaus Trabitsch, mein musikalischer Gefährte, schreibt dann die Musik dazu. Manchmal höre ich aber auch eine Musik, die er entworfen hat, und passe meinen Text hinein. Texteschreiben ist für mich eine wunderbare Weise, in einer gekürzten Form einer Reflexion nachzuhängen – einer traurigen, vergnügten, nachdenklichen oder auch übermütigen. Lieder sind Kurzbotschaften. Und sie erzählen immer auch etwas über das Leben. In den Programmen lasse ich mein Publikum mit mir die Stimmung wechseln. Wir bauen melancholische, aber auch deftige, lustige Lieder aneinander, lassen ganz unterschiedliche Stücke aufeinander folgen.

AVIVA-Berlin: Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Klaus Trabitsch?
Erika Pluhar: Wir haben uns vor etwa 20 Jahren kennengelernt. Zu dieser Zeit hat sich meine vorige musikalische Verbindung schmerzlich aufgelöst. Peter Marinoff, der Gitarrist unseres Trios, zu dem außerdem Antonio V. D`Almeida gehörte, ist verstorben. Klaus Trabitsch war damals so alt wie meine Tochter und die Zusammenarbeit hat uns gleich zugesagt. Wir können sehr gut aufeinander eingehen und haben uns im Laufe der Jahre ein großes Vertrauen erworben. Wir gehen beide nicht mit dem Ziel auf eine Bühne, dort sofort etwas Wildes zu erringen. Wir fangen einfach an zu singen. Freude und Gefallen, die wir aneinander haben, übertragen sich dann meist auch auf das Publikum.

AVIVA-Berlin: In Ihren Liedtexten wenden Sie sich unter anderem gegen Oberflächlichkeit und alles Zeitgeistige. Eine sicher pathetische Frage: Was sind die wirklich wichtigen Dinge im Leben?
Erika Pluhar: (lachend:) Die Frage ist in der Tat etwas pathetisch. Ich glaube, es ist wichtig, dass man lebendig bleibt. Dass man nicht versteinert und sich eine Aufmerksamkeit bewahrt, für das, was um einen passiert. Dass man nicht in einem Elfenbeinturm verharrt. Dass man Menschen wahrnimmt, sowohl positiv als auch negativ. Das wichtigste am Leben ist für mich das Leben. Ich bin kein esoterisch gestimmter Mensch und ich bin auch in keinem fundamentalistischen Sinn religiös. Ich glaube an das Leben und dass es dieses Leben wert ist, es mit Verantwortung zu durchwandern.

AVIVA-Berlin: In Ihrer Dankesrede zur Verleihung des "Ehrenpreises des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln" beschreiben Sie sich als zu keiner Szene gehörig und zwischen den Stühlen. Ist dieser Zustand selbstgewählt?
Erika Pluhar: Das hat sich eben so ergeben. Ich habe das nicht bewusst verweigert. Aber ich bin kein Vereinsmeier. Menschen können sich vereinigen, aber ein Verein ist immer schlecht. Das fängt oft schon bei der Ehe an. Ich habe immer verschiedene Interessen wahrgenommen – am Theater war ich nicht nur Schauspielerin, sondern habe auch geschrieben und gesungen. Dadurch habe ich mir natürlich auch einen gewissen Schutzmechanismus geraubt. Denn diese Lobbys und Szenen bieten auch Schutz, den ich aber nie gesucht habe. Ich bin in jeder Hinsicht ein bisschen einsam.
Und es liegt wohl daran, dass ich nicht in einer Schublade verblieben bin. Es war sehr schwierig für mich, die Schublade der Schauspielerin zu verlassen und zu einer Schriftstellerin zu werden. Ein Schauspieler kann schon mal eine Biographie schreiben – oder sich schreiben lassen… – aber das war`s dann auch schon. Darauf bin ich fast stolz. Und es gibt jüngere Leser, denen es gar nicht mehr wichtig ist, dass ich einmal Schauspielerin war. Das freut mich.

AVIVA-Berlin: Warum ist es wohl so schwer, zu akzeptieren, dass Menschen auf unterschiedlichen Gebieten aktiv sein können?
Erika Pluhar: Weil Menschen in Schubladen leichter zu beurteilen sind. Überhaupt werden wir Menschen immer für blöder gehalten, als wir sind. Auch von der Politik. Ich appelliere an die menschliche Klugheit. Man appelliert sehr oft vergeblich, aber man soll nicht unterlassen, es weiterhin zu tun.

AVIVA-Berlin: Sie schreiben die unterschiedlichsten Texte – Lyrik, Prosa und Drehbücher, Sie singen, Sie machen Filme, Sie sind Schauspielerin. Können Sie mit diesen unterschiedlichen Ausdrucksformen jeweils unterschiedliche Gedanken vermitteln, die Ihnen wichtig sind? In welchen Situationen ziehen Sie welche Ausdrucksform vor?
Erika Pluhar: Ich werde oft gefragt, wie ich die verschiedenen Ingredienzien meiner beruflichen Ausübung zusammenfüge. Für mich selber ist es eine Einheit. Schauspielerin im herkömmlichen Sinn bin ich jetzt nicht mehr, weil ich einfach keine Rollen mehr spielen wollte. Ich wollte mit meinen eigenen Inhalten auf die Bühne. Meine Schaffensbereiche werden durch Wort und Musikalität zusammengehalten. Persönlich habe ich also überhaupt keine Schwierigkeiten, das unter einen Hut zu bekommen, aber für die Menschen, die es beobachten, ist es vielleicht manchmal verwirrend. Ich fühle mich in allen Bereichen wohl.

AVIVA-Berlin: Welche Dinge können Sie trotz dieser Formenvielfalt nicht ausdrücken?
Erika Pluhar: Es gibt einfach etwas im Bereich unserer menschlichen Existenz, das für alle schwer auszudrücken ist. Zum Beispiel unser Wissen um den eigenen Tod. Sehr vieles geschieht, weil wir den Gedanken nicht ertragen, dass wir vielleicht in ein Nichts hinein sterben. Und dieses große Geheimnis kann ich nicht ausdrücken. Da weiß ich auch keinen Rat.

AVIVA-Berlin: Woher kommt Ihre Liebe zum Wort?
Erika Pluhar: Ich bin 1939 geboren, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Als ich zu Kriegsende in die Schule kam, hat Lesen und Schreiben für mich Frieden bedeutet. Ich habe es geliebt, in ein Schulheft zu schreiben und habe selbst kleine Geschichten erfunden und diese dann illustriert. Dieser Wechsel von der Gewaltausübung eines Krieges hin zur Stille des geschriebenen oder gesprochenen Wortes war mein Einstand.

AVIVA-Berlin: War das eine Weltflucht oder eine Auseinandersetzung mit der Welt?
Erika Pluhar: Beides. Besonders wichtig war die Erfindung von Leben. Das geschieht beim Theaterspielen und beim Schreiben. Und durch diese Form lässt sich das eigene Leben mit all seinen Schmerzlichkeiten ertragen. Man kann dann auf ein anderes, erfundenes Leben ausweichen oder dieses in das eigene Leben mit hineinnehmen.

AVIVA-Berlin: Ist Schreiben auch eine Art der Machtausübung?
Erika Pluhar: Ja, eine kreative Macht. Man wird zum Schöpfer. Und schließlich sehnen sich alle danach, etwas zu erschaffen. Deswegen kriegen wir Kinder und schreiben Bücher.

AVIVA-Berlin: Es fällt auf, dass Sie in Ihren Romanen oft eine dialogische Form wählen, so zum Beispiel in "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?" oder "Reich der Verluste".
Erika Pluhar: Auf die Qualität meiner Dialoge hat mich mein Freund, der Kabarettist, Regisseur und Autor Werner Schneyder, aufmerksam gemacht. Daraufhin habe ich einen Dialogroman geschrieben, eben "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?". Inhalt ist das Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann. Schneyder hat daraufhin ein Stück konzipiert und wir haben das gemeinsam gespielt – mein letzter Ausflug in die Schauspielerei. Der Dialog ist mir wohl durch mein langes Wirken am Theater so vertraut. Da habe ich wahrscheinlich ein Gespür dafür entwickelt. Und ich schreibe auch gern Dialoge.

AVIVA-Berlin: Einige der Lieder Ihres Programms sind gesellschaftskritisch. Steht hinter diesen Texten der Glaube an eine bessere Welt?
Erika Pluhar: Diese Utopie hat mich begleitet, als ich selber ein politischer Mensch wurde. Ich dachte, was ich verstanden habe, das müssen doch auch die anderen verstehen. Dann ist mir aber klar geworden, dass die Welt so nicht funktioniert. Ich bleibe jedoch dabei, zu appellieren. Und ich wende mich entschieden gegen alles Faschistische in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart.

AVIVA-Berlin: Sie leben Tür an Tür mit Ihrem Enkel, den Sie auch adoptiert haben. Was können verschiedene Generationen voneinander lernen?
Erika Pluhar: Wir beide haben viel voneinander gelernt, denn wir mussten den Verlust seiner Mutter und meiner Tochter gemeinsam durchstehen. Wir haben eine sehr liebevolle Beziehung und sind sehr behutsam, gerade weil wir so dicht beisammen wohnen. Wir plumpsen nicht gegenseitig in unser Leben hinein. Ältere Menschen neigen ja oft dazu, auf die Jugend zu schimpfen. Dem kann ich etwas entgegensetzen. Denn ich habe den Beweis, dass es fantastische junge Menschen gibt. Dieser Bezug zu jungen Leuten ist wichtig, wenn man älter wird. Mein Enkel wiederum hat eine große Noblesse und Offenheit gegenüber älteren Menschen. Es gibt ja auch diese blöde junge Art, alle älteren Menschen für Greise zu halten, von denen man nichts mehr wissen will. Wir sind beide gute Lehrmeister in Hinblick auf die andere Generation.

AVIVA-Berlin: Ihr aktuelles Filmprojekt, bei dem Sie als Regisseurin und Drehbuchautorin tätig sind, ist "Laguna".
Erika Pluhar: Diesen Film haben wir mit ganz wenig Geld auf einer Insel bei Grado in den Lagunen gedreht. Es sind ausschließlich sehr junge Schauspieler beteiligt, mein Enkel Ignaz Pluhar ist auch dabei. Es geht um junge Leute, die auf dieser Insel aufeinandertreffen und alle ihre ganz persönlichen Liebes- und Schönheitsprobleme haben. Die Hauptrolle spielt Anna Dangel. Ihre Figur ist klein und mollig und verkriecht sich auf der Insel, weil sie sich für das heutige Frau-Sein nicht passend fühlt. Dann kommt der schöne Igi usw. Es ist ein Film über Jugendprobleme, die nicht ins ganz Tragische abdriften, sondern "normal" sind. Klaus Trabitsch schreibt die Musik dazu. Denn ich möchte natürlich, dass alles von seiner wunderschönen Musik umwoben ist.

AVIVA-Berlin: In Ihrer Rede anlässlich des Kongresses zum 100. Geburtstag von Viktor Frankl schreiben Sie, "daß es nicht darum geht, Glück zu suchen, sondern etwas, weswegen wir glücklich sein können – ein tiefgreifender Unterschied..." Weswegen sind Sie glücklich?
Erika Pluhar: Ich habe den Begriff "Glück" für mich persönlich weggeschoben. Sicher gibt es Glücksmomente, das ist dann aber eher Euphorie. Ich schätze dafür die Freude. Und es gehört schon einiges dazu, sich des Lebens zu freuen. An das beständige Glück, das uns gewisse Filme vorgaukeln wollen, glaube ich überhaupt nicht.

AVIVA-Berlin: Ich möchte bewusst nichts zu Ihren beiden Ehemännern Udo Proksch und André Heller fragen.
Erika Pluhar: Zu Recht. Zu diesem Thema habe ich mich schon so oft wiederholt: zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten und ausgerechnet diese beiden usw. Wir waren ja auch jeweils nur kurz verheiratet, sind aber dann zu Freunden geworden. Viele Frager definieren mich über diese Ehemänner. In meiner Jugend war man als Frau erst vollwertig akzeptiert und am Leben, wenn man jemanden geheiratet hat. Das war praktisch vorherbestimmt. Jetzt gibt es aber – zumindest in unseren Breitengraden – die Möglichkeit für uns Frauen, selbstbestimmt zu leben. Und das ist natürlich sehr schön. Wir können sein und werden, was wir wollen, ohne dass das ein Mann beatmet. Und wir müssen uns verwehren gegen die Filme, in denen diese reaktionären Frauensituationen erzählt werden: Erst ist sie unglücklich, weil sie allein ist, und dann kommt ein Mann mit Blumen und Ring und bringt ihr das Glück. Schrecklich!

AVIVA-Berlin: Wenn ich Ihre Liedtexte und die von André Heller betrachte, sind diese doch sehr unterschiedlich. Ihre Texte sind oft konkret und auch bodenständig, während seine häufig etwas Fantastisches haben.
Erika Pluhar: Wir sind sehr gegensätzlich. Auch wenn wir als Pluhar-Heller präsentiert wurden. Ich habe mich inzwischen ganz von den Heller-Texten entfernt. Für die Beschreibung als "bodenständig" bin ich da sehr dankbar. Ich bin eher eine Volkslied-Sängerin – Volkslied im guten Sinn. Ich will nicht poetisch irgendwo in den Liedern herum klettern. Ich will über Situationen singen, über Mensch-Sein.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!



Weitere Informationen:

www.erikapluhar.net

Programm der Bar jeder Vernunft:

www.bar-jeder-vernunft.de




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Beitrag vom 28.08.2013

Sabine Reichelt