Alle sollen so leben, dass es gut für sie ist – Ein Interview mit Maren Kroymann - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 23.08.2013


Alle sollen so leben, dass es gut für sie ist – Ein Interview mit Maren Kroymann
Sabine Reichelt

Ein Gespräch mit der Sängerin, Kabarettistin und Schauspielerin über ihr aktuelles Bühnenprogramm "In My Sixties", den Mut zum Persönlichen, gelungenes Altern und die Vor- und Nachteile der...




... Kategorisierung von Menschen.

Maren Kroymann wächst in den 1950ern und -60ern in Tübingen auf. Nach Aufenthalten in den USA und Frankreich zieht sie 1971 zum Studium der Romanistik, Anglistik und Amerikanistik nach Berlin. Sie politisiert sich und spielt Theater – seit 1968 am Zimmertheater Tübingen, später in freien Gruppen.
Die Schauspielerin wird Ende der 80er für das Fernsehen entdeckt und verkörpert Hauptrollen in den Serien "Oh Gott, Herr Pfarrer" und "Vera Wesskamp". Als "Nachtschwester Kroymann" kann sie in ihrer gleichnamigen Satiresendung einem großen Publikum ihr kabarettistisches Talent präsentieren.

1993 hat Maren Kroymann im "Stern" ihr öffentliches Coming-out als Lesbe und wird dadurch zur Identifikationsfigur für viele lesbische Frauen, die nicht im Rampenlicht stehen. Für ihre Engagement erhält sie zahlreiche Auszeichnungen: Berliner Frauenpreis, Rosa Courage Preis Osnabrück, Zivilcouragepreis des Berliner CSD, Augspurg-Heymann-Preis.

Im grandios-eindrücklichen Film "Verfolgt" von Angelina Maccarone spielt sie eine Bewährungshelferin, die eine sadomasochistische Beziehung zu einem von ihr betreuten Jugendlichen eingeht. Die Produktion wird 2007 in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet, die Hautdarstellerin gewinnt den Preis der Deutschen Filmkritik.
Seit den 1980er Jahren tritt sie mit eigenen Programmen auf, entwirft anhand der Lieder ihrer Kindheit und Jugend und autobiographischer Episoden in "Auf Du und Du mit dem Stöckelschuh" und "Gebrauchte Lieder" eine kleine Alltagssoziologie der Zeit. Aktuell feiert Kroymann in "In My Sixties" mit den Songs der 60er Jahre auf Bühnen in ganz Deutschland ihr persönliches Jubiläum "50 Jahre Pubertät". Bei der höchst unterhaltsamen, witzigen und gehaltvollen Show begleitet sie ihre Band.

Maren Kroymann hat einen vollen Terminkalender. Und trotzdem öffnet die Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin ein Zeitfenster für dieses Interview zwischen Nachtdreh, zweistündigem Live-Auftritt und Wochenende. Ein anregendes und interessantes Treffen in einem Charlottenburger Café.


AVIVA-Berlin: Seit 2011 treten Sie mit Ihrem Programm "In My Sixties" in ganz Deutschland und immer wieder auch in der Bar jeder Vernunft auf. Wie entsteht ein solches Programm? Suchen Sie ausgehend von den kleinen Geschichten die passenden Lieder, oder haben Sie zuerst die Lieder im Sinn?
Maren Kroymann: Ich sammle Lieder, die mich inspirieren und die ich gern singen möchte. Diese müssen zu den Themen Frauenbild und Erwachsenwerden in den 60ern passen. Dann steuert mein musikalischer Leiter Johannes Roloff noch eigene Schwerpunkte bei. Wir einigen uns auf eine Auswahl und legen eine Reihenfolge fest. Ich habe dabei schon im Hinterkopf, was ich zwischen den Liedern sagen will. Das weiß aber keiner von den Jungs, auch Johannes nicht. Wenn ich, zum Beispiel, die Episode von meiner Mutter und dem Orgasmus erzähle, will ich das vor dem Lied "In the Chapel in the Moonlight" machen. Denn das beginnt so schön mit (singt:) "How I love to hear the organ...". Und "organ" ist ja doppeldeutig...

AVIVA-Berlin: In einem Interview haben Sie gesagt, Sie könnten nur ca. alle zehn Jahre ein neues Programm erschaffen, weil Sie sich dafür immer erst persönlich weiterentwickeln müssen. Welche Entwicklungen und Erkenntnisse waren notwendig, um Ihr aktuelles Programm zu konzipieren?
Maren Kroymann: Diese Erfahrung des Post-Klimakteriellen. Ich bin nun über das Stadium hinaus, wo Frauen menstruieren, Kinder kriegen können und von bestimmten Teilen der Bevölkerung als "fickbar" – Entschuldigung, aber so ist es ja – angesehen werden. Durch meine Rolle in der sechsteiligen Fernsehserie von Doris Dörrie, "Klimawechsel", habe ich mich wiederholt im Fernsehen zu den Wechseljahren geäußert – als einzige der Kolleginnen, weil ich da schon durch war. Auch zu diesem Lebensabschnitt wollte ich offensiv stehen – und schauen, was ich daran gut finde. Beispielsweise die Verbindung zu meinem Mädchen-Dasein vor 50 Jahren. Damals hatte ich vielleicht noch eine gewisse Art von Freiheit, die ich jetzt wieder habe. Die Bürde, in ein Bild von Frau-Sein passen zu müssen und sich zu messen, ist jetzt leichter geworden.
Meine Programme widmen sich immer einer bestimmten Zeit in der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart, in der ich mich situiere. Ich bin keine Entertainerin, die kommerziell funktioniert und alle zwei Jahre ein neues Programm macht, um dann gut daran zu verdienen. Das ist nicht meine Welt. In dieser Hinsicht bin ich keine professionelle Person. Ich befasse mich mit meiner eigenen Entwicklung, und wenn ich Glück habe und die Zeit reif ist, springt ein Programm dabei raus. Und wenn das nicht passiert, dann eben nicht. Das dauert dann eben zehn Jahre.
Ich hätte mich beispielsweise vorher nie getraut, Persönliches zu erzählen und über meine Mutter zu sprechen. Dafür muss man älter sein. Inspiration war mir das großartige Theaterstück "Testament" der freien Gruppe SheShePop. Dabei bringen sie ihre eigenen Väter auf die Bühne. Das fand ich sensationell und ehrlich! Es hat mich ermutigt, auch so eine radikale Wahrhaftigkeit an den Tag zu legen. Auch wenn "man" das nicht macht. Bei der Episode über meine Mutter war ich noch kurz vor der Premiere unsicher, ob das nicht zu weit geht. Würde sie das gutheißen? Sie kann sich ja nicht mehr wehren. Dann war ich mir aber doch sicher, dass es richtig ist, von ihr zu erzählen.
Außerdem störe ich mich daran, dass die 60er Jahre durch Bilder, Musicals und Werbung so stilisiert und mythisiert werden. Als ob alles nur Minirock und Beatles gewesen wäre. Nein, es gab die lebenden Menschen, die ganz anders getickt haben. Die sieht man nur nicht auf den Fotos. Gegen diese falsche Foto-Werdung der Zeit hilft nur ein radikal persönlicher Ansatz.

AVIVA-Berlin: "In My Sixties" ist ein Programm, das hauptsächlich Beziehungen zwischen Mann und Frau behandelt, vor allem in den Liedern. Natürlich betrachten Sie diese Beziehungen kritisch, ordnen sie in den historischen Kontext ein, dekonstruieren sie teilweise und Sie singen viele Lieder als Frau aus männlicher Perspektive. Könnten Sie sich vorstellen, ein Programm zu entwickeln, das weniger heterosexuell ist und lesbische Thematiken behandelt?
Maren Kroymann: Lesbische Themen habe ich durchaus im Programm drin. Es gibt beispielsweise den Monolog "Lesben und Kurzsichtigkeit". Ich behandle aber nicht programmatisch Lesbenthemen. Das finde ich künstlerisch total uninteressant. Die erkennbare Absicht ist definitiv ein Humor-Killer. Wenn ich etwas über Lesben machen will, dann bringe ich das so rein, wie es zu meiner Entwicklung passt. Da ich die Lieder der 60er liebe und da ich damals noch nicht lesbisch war, wird das immer ein bisschen heterosexuell sein. Ich habe aber Möglichkeiten gefunden, ziemlich eindeutige Anspielungen zu machen – aus einer souveränen, entspannten Situation von heute.

AVIVA-Berlin: Sie gehen ab und zu in politische Talkshows und setzen sich dort in Diskussionen für die Rechte von Lesben und Schwulen ein. Dabei treffen Sie dann auf selbsternannte Familienschützer_innen und reaktionäre CSU-Politiker_innen, deren homophobe Äußerungen mich vor dem Fernseher vor Wut und Entsetzen auf und ab springen lassen. Wie schaffen Sie es, in diesen Situationen nicht die Ruhe zu verlieren, sondern trotzdem weiterhin Humor zu beweisen?
Maren Kroymann: Diese homophobe Haltung kenne ich seit meiner Kindheit in den 50er Jahren. Im Übrigen habe ich gelernt, mit anderen Überzeugungen umzugehen. So sind auch in meiner Familie alle politischen Richtungen vertreten, außer Rechtsradikalismus. Mein ältester Bruder war Landrat und Bürgermeister in Tübingen. Er war zwar parteilos, wurde aber von der CDU gewählt. Er ist mir politisch ziemlich entgegengesetzt. In einer Familie lernt man aber, das zu akzeptieren und sich trotzdem zu lieben.
In den 70ern gab es eine Phase, wo wir alle rigider waren. Wo wir uns innerhalb der linken Szene komplett zersplittert haben und es sehr wichtig fanden, uns in politischen Kleinstgruppierungen zu organisieren. Wir wollten uns abgrenzen und polemisieren. Das ist bei mir ein bisschen gewichen. Vielleicht ist das auch eine Frage des Alters. Es gibt eben Leute, die anders denken und die regen mich auch auf, aber mit denen sitze ich jetzt an einem Tisch. Die werden es nicht schaffen, mein grundsätzlich harmonisches Gefühl zu mir selber zu zerstören.

AVIVA-Berlin: Mich persönlich stört es, dass sich die Berichterstattung und öffentliche Debatte über Lesben und Schwule im Wesentlichen in den Themen Homo-Ehe und CSD erschöpft. Über welche LGBT-Themen sollte Ihrer Meinung nach mehr geschrieben und gesprochen werden?
Maren Kroymann: Das stimmt. Ich finde auch, dass es immer um die Punkte geht, wo wir den Heteros gleichgestellt werden, um die Institutionen. Ich habe am Anfang diesen Kampf um die Ehe mit etwas Skepsis gesehen. Ich wollte schon keinen Mann heiraten und ich will jetzt auch keine Frau heiraten. Ich will überhaupt nicht heiraten. Aber natürlich bin ich für die vollkommene Gleichstellung von Homosexuellen auf allen Ebenen, und die Gesetzesänderungen sind ein phänomenaler Fortschritt.
Es geht mir ein bisschen auf den Wecker, dass wir Homosexuellen, um unsere Forderungen nach Gleichstellung zu legitimieren, uns sozusagen als die Musterschüler_innen der bürgerlichen Ehe präsentieren müssen. Wir sind die Eltern, die alles noch besser machen als die Heteros. Wir kriegen alles hin und haben das hochbegabte Kind, das mit sechs Monaten schon schwimmen kann. Es ist zwar gut, dass wir Akzeptanz einfordern, aber darum geht es nicht ausschließlich. Gerade bei lesbischen Müttern verschwindet oft das Lesbische hinter dem Mutter-Dasein. Sie gehen in der großen Gruppe der Mütter auf und sind damit praktisch unsichtbar. Das finde ich schade. Die schwulen Väter stehen in ihrem Kampf ziemlich allein. Denn das ist der brisantere Wunsch, zwei Väter, die ein Kind großziehen. Dagegen gibt es auch mehr Vorbehalte. Das sollte man thematisieren.
Außerdem finde ich alles unterstützenswert, was nicht klar definiert ist. Eine Frau in einem männlichen Körper muss sich beispielsweise keiner geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, nur damit andere sie als "richtige" Transsexuelle kategorisieren können. Transgender heißt, sich irgendwo zwischen den beiden Geschlechtern zu bewegen. Denn es irritiert die meisten Leute, wenn sie einen Menschen nicht einordnen können. Wir sollten für alle offen sein, die mit ihrem Geschlecht oder ihrer Sexualität "dazwischen" angesiedelt sind. Das ist auch nicht so leicht in einem Gesetz zu regeln. Obwohl Gesetze natürlich wichtig sind. Im Bereich der Transgender-Rechte hat Maria Sabine Augstein sehr viel geleistet.
Der Fokus sollte sich darauf richten, wie Menschen im Patriarchat leben. Männer, die überhaupt weibliche Seiten haben, werden nur sehr schwer akzeptiert, weil das Weibliche immer noch diskriminiert wird. Sexualität ist eine Entwicklung. Ich habe meine ja auch gewechselt und kenne einen Fall, wo ein Schwuler und eine Lesbe sich ineinander verliebt haben und jetzt sozusagen heterosexuell sind. Die dürfen nicht ausgegrenzt werden, weil sie jetzt "normal" sind. Alle sollen so leben, dass es gut für sie ist. Und sie sollen den Menschen lieben können, den sie toll finden.

AVIVA-Berlin: Nach Ihrer eigenen Coming-out-Erfahrung: Finden Sie es ärgerlich, dass andere bekannte Personen, die auch lesbisch oder schwul sind, ihre sexuelle Orientierung nicht öffentlich machen und so für mehr Akzeptanz werben? Müssen einflussreiche Lesben und Schwule sich aus Verantwortung gegenüber der Community outen?
Maren Kroymann: Erstmal: Man MUSS überhaupt nichts. Wir KÖNNEN aber! Und zwar viel mehr als wir denken. Zum Beispiel hätte Alice Schwarzer, der wir ansonsten viel verdanken, sich viel früher outen können. Da haben Hella von Sinnen und Cornelia Scheel als erste sichtbare prominente Lesben einen Beitrag geleistet, der gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Die beiden haben auch mich inspiriert. Denn wenn ich bekannt und akzeptiert bin, kann ich natürlich mehr für die Community beitragen als eine Person, die im normalen Berufsleben steht. Und um sie geht es – um die lesbische Krankenschwester und den schwulen Lehrer, die das einfach tapfer leben.
Anne Will hat das mit Miriam Meckel gemacht, nachdem sie mit dem Sendeplatz am Sonntagabend ein Karrierehoch erreicht hatte. Dieses Coming-out finde ich super und auch klug überlegt durchgeführt. Ich bin den beiden sehr dankbar, habe aber sehr wohl registriert, dass sie es jahrelang nicht gemacht haben.
Ich fand auch großartig, dass Ulrike Folkerts sich geoutet hat. Im Fernseh-Business besteht da eine große Angst bei Schauspieler_innen, danach keine Rollen mehr zu bekommen. Aber wenn du neun Millionen Zuschauer_innen hast, können sie dich deswegen nicht entlassen.
Wir könnten uns unserer Stärke viel bewusster sein: Wir sind erfolgreich, wir sind angekommen und haben ein Stück Macht, das wir nutzen können, denn das kann uns niemand nehmen. Da wünsche ich mir noch mehr Selbstvertrauen und Offenheit. Ich will keine Schuld zuweisen, denn ich kann jede Person verstehen, die sich überlegt, was das für ihr Leben heißt. Aber trotzdem: mehr Mut. Gerade bei den Mädels.

AVIVA-Berlin: In praktisch jedem Interview (dieses eingeschlossen) werden Sie darauf angesprochen, dass Sie lesbisch sind. Fühlen Sie sich durch das Label "Lesbe" manchmal eingeschränkt und nur in Teilen wahrgenommen? Haben Sie das Gefühl, dass in der Außenwahrnehmung Ihr Lesbisch-Sein andere Facetten unterdrückt?
Maren Kroymann: Ja, das finde ich schon. Mein öffentliches Coming-out war vor beinahe 20 Jahren – vielleicht mache ich eine Party, um das zu feiern... – und trotzdem ist es immer noch Thema. Das liegt aber auch daran, dass ich die Einzige bin, jedenfalls aus dem Showbusiness, die sich in Talkshows neben diese reaktionäre Familien-Frau setzt und mit ihr diskutiert. Es müsste noch fünf andere geben, die auch mal dahin gehen.
Ich finde es ein bisschen lästig, dass mein Lesbisch-Sein immer wieder besprochen wird. Ich würde gern mehr über das Künstlerische reden. Ich habe zum Beispiel ein Bühnenprogramm, das immer besser wird. Es gibt doch nicht so viele, die singen können, was in der Birne und ein eigenes Programm haben! Aber diese Mainstream-Leute wollen, glaube ich, auch immer noch mit dem Thema Homosexualität ein gewisses reißerisches Interesse wecken. Mein offensiver Umgang damit ist sozusagen mein Alleinstellungsmerkmal. Das hätte ich nie gedacht, aber irgendwie ist es so gekommen.

AVIVA-Berlin: Mir fällt ein Beispiel ein. Sie waren in der Talkshow "Markus Lanz" und er hat sie bereits in der Anmoderation als Lesbe angekündigt, obwohl im Gespräch dann darauf überhaupt kein Bezug genommen wurde. Das fand ich ärgerlich.
Maren Kroymann: Das hat mich auch total geärgert. Warum er das wohl gemacht hat? Wahrscheinlich bin ich nicht berühmt genug, um einfach so dazusitzen. Das ist geradezu diskriminierend.

AVIVA-Berlin: In Interviews beschreiben Sie immer wieder, dass Ihre Mutter darauf geachtet hat, dass Sie als einziges Mädchen in der Familie dieselbe Erziehung und Bildung bekommen wie Ihre Brüder. Hat sich das auch auf Haushaltstätigkeiten bezogen?
Maren Kroymann: Ja, klar. Ich musste nie im Haushalt helfen. Und wenn ich das gemacht habe, dann habe ich Geld dafür bekommen. Für Abwaschen gab es fünf Pfennig, später zehn, für Treppeputzen 50 Pfennig. Meine Mutter hat da peinlich genau auf Gleichbehandlung geachtet. Das hatte allerdings den Effekt, dass letztlich niemand von uns im Haushalt geholfen hat. Denn natürlich hat sie es versäumt, die Jungs im Gegenzug einzubinden. Aber da hat in den 50er Jahren keiner dran gedacht.





AVIVA-Berlin: War Ihnen damals bewusst, dass die Haltung Ihrer Mutter nicht selbstverständlich war?
Maren Kroymann: Absolut. Denn in anderen Familien war das ganz anders. Die Jungs durften auf ihr Zimmer gehen und lernen und die Mädchen haben in der Küche geholfen. Bei uns wurde das durch das Berlinische, den aufgeklärten 20er-Jahre-Background meiner Eltern verhindert.

AVIVA-Berlin: In den siebziger Jahren sind Sie Feministin geworden, waren Mitglied im Sozialistischen Frauenbund. Hatten Sie ein feministisches Schlüsselerlebnis bzw. einen feministischen Schlüsseltext? Oder hat Ihre Mutter Sie dahingehend beeinflusst?
Maren Kroymann: Meine Mutter war keine Feministin, sie war nur emanzipiert. Sie fand auch Alice Schwarzer nicht gut. Alles, was links war, war meiner Mutter suspekt. Sie war aber mit höchster Selbstverständlichkeit für Gleichberechtigung. Eigentlich ist das natürlich ein Widerspruch.
Selbstverständlich war Alice Schwarzers "Kleiner Unterschied" wichtig. Und der Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen. Ich empfand es als eklatante Ungerechtigkeit, dass Frauen kriminalisiert werden, weil sie ein Kind nicht haben wollen. Obwohl zu einem Kind zwei gehören. Und durch diese Kampagne damals gegen den Paragraphen 218 habe ich mich erstmals politisch artikuliert und an einem Flugblatt mitgearbeitet. Das war im Sozialistischen Frauenbund.

AVIVA-Berlin: Noch einmal zu Ihrem Programm "In My Sixties": Es behandelt die Zeit Ihrer Pubertät, heißt aber natürlich auch so, weil Sie selbst über 60 sind. Welche Erwartungen haben Sie an den Lebensabschnitt des Alters?
Maren Kroymann: Ich will mich künstlerisch und persönlich weiterentwickeln, spüre ein anderes Selbstbewusstsein. Ich habe immer gegen meine Schüchternheit und Angst gekämpft und hatte Bedenken, dass ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht werde. Zwar übe ich immer noch starke Selbstkritik, aber sie ist nicht mehr so lebensbestimmend. Während ich mir mehr zutraue, trauen mir auch andere mehr zu.
Abgesehen davon weiß ich, dass es irgendwann anfängt, wirklich bergab zu gehen. Zur Zeit ist aber alles noch gut, weil ich mich fit halte und totale Power habe. Ich plane jetzt erst einmal, 96 bei bester Gesundheit zu werden.

AVIVA-Berlin: Haben Sie ein Altersvorbild, eine Person, die Ihrer Meinung nach gut gealtert ist oder gut altert?
Maren Kroymann: Ich finde klasse, wie all diese Schauspielerinnen altern, an die man dann denkt: Meryl Streep oder Katharine Hepburn. Aber auch Monica Bleibtreu, Ruth Drexel oder Inge Meysel. Meysel ist für mich wirklich ein Vorbild, weil sie so eine Lebendigkeit hatte, sowas Polemisches und Angriffslustiges. Sie hat sich herzhaft eingemischt und war so erfrischend in ihrer Kritik und Unangepasstheit. Oder Louise Bourgeois, die Bildhauerin, die steinalt geworden ist. Bei ihr ging die Karriere auch spät erst richtig los.

AVIVA-Berlin: Im Kino waren Sie zuletzt auch in "Freier Fall" zu sehen, einem Film über zwei Polizisten, die sich ineinander verlieben. Sie spielen die Mutter des einen und reagieren vollkommen fassungslos und entsetzt, als Ihr Film-Sohn einen Mann küsst. Im Kino hörte ich es dann neben mir tuscheln: "Ist das nicht die Maren Kroymann? Ist die nicht selbst lesbisch?"
Maren Kroymann: "Freier Fall" ist ein großartiger Film geworden! Ich habe eine kleine Rolle, aber alle reagieren irgendwie so stark auf meinen empörten Blick. Und das liebe ich dann wiederum. In solchen Fällen ist es gut, dass die Leute sagen können: "Ist das nicht die, die selber...?" Das ist witzig und setzt Gedanken in Gang.

AVIVA-Berlin: Sie spielen in sowohl inhaltlich als auch formal sehr unterschiedlichen Filmen: in Produktionen, denen es weniger auf kommerziellen Erfolg ankommt, wie "Verfolgt" (2006) oder "UmdeinLeben" (2009), in verschiedenen Serien, zum Beispiel "Mein Leben und ich", "Flemming" oder "Bella Block", und auch in Fernsehromanzen wie zuletzt "Mutti steigt aus" im ZDF. Welche Kriterien muss ein Film oder das Drehbuch erfüllen, damit Sie mitspielen?
Maren Kroymann: Natürlich darf das Drehbuch nicht total bescheuert sein. Da war ich bei der ZDF-Schmonzette schon am meisten herausgefordert. Da haben wir auch noch ganz stark ins Buch eingegriffen. Selbstverständlich könnte ich immer in Drei-Tages-Rollen von Low-Budget-Produktionen für 500 Euro am Tag spielen, in aufrechten Filmen. Das reicht aber nicht für ein Berufsleben. Natürlich sage ich nicht ab, wenn ich im ZDF um 20.15 Uhr eine Hauptrolle haben kann, solange sie einigermaßen vertretbar ist. Denn die hatte ich seit Jahren im Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr. An einer Stelle sollte meine Figur allerdings einen Satz sagen, den ich als schwulenfeindlich empfand. Dagegen habe ich mich erst gewehrt, musste ihn dann aber doch sagen. In solchen Situationen kämpfe ich darum, meine Werte nicht zu verraten, zum Beispiel darum, dass der schwule Nachbar nicht zu klischeehaft dargestellt wird. Und wenn ich dann langsam wieder in der Hauptrollen-Kategorie etabliert bin, dann kann ich diese ja vielleicht auch bei brisanteren Projekten spielen.

AVIVA-Berlin: Eine Frage zum Schluss: Welches war Ihr letztes kulturell-anregendes Erlebnis?
Maren Kroymann: Die Inszenierung "Ball im Savoy" an der Komischen Oper: Operette und Unterhaltung sehr, sehr gut gemacht. Katharine Mehrling, eine geschätzte Kollegin von mir, hat da ihre Paraderolle und ist jetzt vom Feuilleton regelrecht entdeckt worden. Und Dagmar Manzel – sie spielt die andere Hauptrolle – liebe ich. Die Inszenierung hat sehr viel Schwung und ist very, very entertaining! Im Mittelpunkt des Stückes stehen zwei starke und emanzipierte Frauen.
Außerdem will ich unbedingt die Meret-Oppenheim-Retrospektive im Gropius-Bau sehen.

AVIVA-Berlin: Viel Erfolg weiterhin und vielen Dank für dieses interessante Interview!



Aktuelle Termine, Videos und weitere Informationen finden Sie auf

www.marenkroymann.de

Filme mit Maren Kroymann auf AVIVA-Berlin

Verfolgt (2006)

Das Fremde in mir (2008)

Die Welle (2008)

UmdeinLeben (2009)

Klimawechsel (2010)


(Copyright der Bilder: Milena Schlösser)




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Beitrag vom 23.08.2013

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