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Beitrag vom 15.05.2013
Frauen auf dem Weg in die Zukunft: Leadership jenseits von Ego. Interview mit Dr. Elizabeth Debold
Katrin Karneth
Wie können Frauen mehr Leadership übernehmen? Jenseits von Quotendiskussionen und strukturellen Lösungen zeigt die Entwicklungspsychologin Dr. Elizabeth Debold, warum wir einen...
... Bewusstseinswandel brauchen, um gemeinsam eine neue Zukunft zu kreieren.
Katrin Karneth: In Ihrem Einsatz für die Gleichberechtigung von Frauen waren Sie zunächst als soziale Aktivistin tätig, haben dann an der Harvard-Universität in Forschungsprojekten zur Entwicklung von Mädchen und Frauen mitgearbeitet und sich letztlich der spirituellen Befreiung von Frauen gewidmet. Können Sie uns sagen, was Sie dazu geführt hat?
Elizabeth Debold: Als ich in den 1970er Jahren als Teenager mit meinem Engagement für die Entwicklung von Frauen begann, öffnete sich für uns Frauen eine neue Welt. Alles schien möglich! Ich sah es als Chance, eine neue Kultur zu schaffen, nicht nur für die Frauen allein, sondern auch für unser Miteinander als Frauen und Männer. Ich dachte, alles, was wir tun müssten, wäre durch die geöffneten Türen zu gehen und alles würde sich ändern. Wir konzentrierten uns zunächst auf die Veränderung der Gesetze, indem wir neue Gesetzesinitiativen formulierten. Aber so einfach war es nicht. Aus meiner eigenen Erfahrung und durch die Arbeit mit anderen Frauen begann ich zu verstehen, dass es nicht ausreichte, die äußeren Umstände zu verändern. Ich erkannte, wie schwer wir aus den Mustern, die uns in unseren alten Gewohnheiten und Rollen halten, heraustreten konnten.
Deshalb habe ich mich gefragt, an welcher Stelle im Lebenszyklus wir eine tiefe Veränderung anstoßen könnten. Bei den Forschungsarbeiten mit Dr. Carol Gilligan und ihren Kolleginnen erkannten wir, dass Mädchen vor der Pubertät oft resolut und durchsetzungsfähig sind, aber dann im Erwachsenenalter passiv und unsicher werden. Das liegt nicht an den Hormonen. Sie fühlen, dass sie sich an die kulturellen Erwartungen, die an Frauen gestellt werden, und die sie in der Werbung, im Fernsehen, in Filmen und überall um sie herum sehen, anpassen müssen. Ich erkannte, dass Mädchen sich nicht einfach anders entwickeln können. Sie brauchen Frauen, die ihnen den Weg zeigen. Dafür müssen wir uns als Frauen verändern und eine neue Kultur zwischen uns schaffen, die Stärke, Klarheit, Risikobereitschaft und Kreativität fördert. Aber wie machen wir das? Die Psychologie konnte diese Fragen nicht beantworten. Die Thematik lag viel tiefer und forderte einen tieferen Wandel in uns. So begann ich, mich für Bewusstsein zu interessieren – für die spirituelle Dimension des Lebens – denn nur eine Transformation, die von der Tiefe unserer Menschlichkeit ausgeht, kann uns die Fähigkeit, Perspektive und Einheit geben, die echten Wandel ermöglicht. Es berührt mich sehr, immer mehr Frauen und Männer zu sehen, die erkennen, dass der notwendige Wandel tief im Kern unseres Selbst geschehen muss. Das Fundament für eine neue Leadership ist eine bewusste Entwicklung.
Katrin Karneth: Wie sieht nun diese Leadership von Frauen aus?
Elizabeth Debold: Zuerst einmal möchte ich klarstellen, dass ich nicht über eine besondere Form der Leadership für Frauen spreche. Es wird viel darüber gesprochen, dass Frauen besondere Eigenschaften haben, zum Beispiel die Fähigkeit für Fürsorge und Empathie, die eine Grundlage für eine "weibliche" Führung sein könnten. Darüber aber spreche ich nicht. Wir brauchen eine neue Art der Leadership für Frauen und für Männer. Bisher haben Männer moderne Unternehmen mit dem Top-Down-Modell, mit "Befehl und Kontrolle", gestaltet. Weibliche Führung wird als weniger hierarchisch und inkludierender beschrieben. Aber keines dieser Führungsmodelle ist angemessen für die Situationen, mit denen wir und unsere Organisationen uns heute auseinandersetzen müssen. Eine neue Führungsqualität beinhaltet für mich, dass wir über Grenzen hinaus zusammenarbeiten, um kreative Lösungen für vielschichtige Probleme zu entwickeln.
Die meisten der Probleme, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen, sind zu komplex, als dass sie eine einzelne Führungsperson lösen könnte. Wir müssen Fachwissen von verschiedenen Menschen zusammentragen, um verschiedene Sichtweisen in eine höhere Synthese zu bringen. Viel zu oft sind Einzelne in ihren eigenen Perspektiven gefangen und versuchen, auf aggressive Weise ihre Ziele durchzusetzen, ohne dabei an die Wirkung solcher Alleingänge zu denken. Es ist fast tragisch, dass man zehn hervorragende Experten in einem Raum zusammenbringen kann, um ein Problem zu lösen, diese aber in ihrem Egoismus gefangen bleiben, ohne sich gegenseitig zuzuhören. Wir müssen das Potenzial befreien, das jede einzelne Person in diese wichtigen Diskussionen einbringen kann. Nur dann können wir zu neuen, ungewöhnlichen Lösungen kommen, die aus dem besten Denken verschiedener Disziplinen resultieren. Nur eine neue Leadership ermöglicht diese Art eines ko-kreativen Prozesses.
Katrin Karneth: Ist es dies, was Sie mit "Leadership jenseits von Ego" bezeichnen? Warum betonen Sie darin so sehr die Frauen?
Elizabeth Debold: Ja, das ist ein Aspekt der "Leadership jenseits von Ego": Wege aufzuzeigen, wie Menschen jenseits ihres gewöhnlichen Selbstinteresses und der getrennten und egoistischen Identität zusammenkommen können. Dies bedeutet für die Führungskraft, dass sie ihr eigenes Ego transzendiert. Mit "Ego" beziehe ich mich auf unsere heute üblichen Strukturen des Selbst, die Trennung schaffen und unser Denken begrenzen, um den Status quo zu erhalten. Die Führungsperson muss sich selbst aus dem Wege gehen, um eine Richtung zu finden und kreative Konflikte mit anderen lösen zu können. Sie bestimmt die Art der Zusammenarbeit. Sowohl Frauen als auch Männer müssen ihre Ego-Strukturen transzendieren, um andere Menschen jenseits des Egos zu führen. Aber Frauen stehen hier vor besonderen Herausforderungen. Weitverbreitete Selbst-Strukturen der Frauen, die Strukturen ihres Egos, erschweren es, Vertrauen aufzubauen, Risiken einzugehen und sich auf kreative Konflikte mit anderen einzulassen. Wir Frauen schöpfen normalerweise unser Vertrauen aus der Anerkennung anderer, indem wir uns um sie kümmern, indem wir freundlich sind und indem wir versuchen möglichst gut dazustehen.
Zwar sind Fürsorge und Freundlichkeit sehr wichtige menschliche Qualitäten, aber sie sind nicht der Kern von Leadership. Wir können keine gute Führungskraft sein, wenn wir es immer allen recht machen wollen! Mit meiner Arbeit helfe ich Frauen, ein tieferes Selbstvertrauen zu entwickeln, das nicht davon abhängt, anderen zu gefallen oder gut dazustehen. Dieses Vertrauen entsteht durch eine unerschütterliche Verwurzelung in der Einheit des Seins und im Prozess des Werdens, von dem alles Leben, wir eingeschlossen, ein Teil ist. Dieses Gegründetsein erlaubt uns zu sehen, dass wir alles haben, was wir jetzt brauchen, um zu tun, was es zu tun gibt. Du bist genau dort, wo du sein solltest. Das Interesse am Möglichen wird zu deiner wichtigsten Motivation, anstatt irgendeiner Idee von Perfektion, die du nie erreichen wirst. Das ist unglaublich befreiend. Ich glaube, das ist die nächste Befreiung für Frauen – eine, die uns befähigen wird, gemeinsam mit Männern die Zukunft bewusst mitzugestalten. Jetzt ist die Zeit dafür. Der Aufbruch der 1968er, in dem neue Möglichkeiten für Frauen entstanden, ist fast 50 Jahre her. Wir haben viel Arbeit im Außen geleistet, um Wandel zu ermöglichen; heute brauchen wir einen Bewusstseinswandel, der uns aus den Mustern der Vergangenheit befreit. Dieser Augenblick birgt enorme Möglichkeiten in sich.
Katrin Karneth: Warum denken Sie, dass es gerade jetzt in unserer Zeit eine besondere Möglichkeit gibt?
Elizabeth Debold: Wir neigen dazu, unser Leben nur aus der Sicht unseres eigenen, kurzen Lebens zu betrachten. Aber wenn wir einen Schritt zurückgehen und die Situation aus einer größeren Perspektive betrachten, wird klar, dass wir in der Menschheit an einer noch nie zuvor da gewesenen Stelle stehen. Nach Millionen Jahren der menschlichen Evolutionsgeschichte und nach fast 50.000 Jahren menschlicher Kultur haben Frauen endlich eine Freiheit erreicht, um mit Männern gemeinsam eine neue Kultur zu schaffen. Bislang war dies die Aufgabe der Männer und die Welt, die sie geschaffen haben, reflektierte ihre Prioritäten. Dies war notwendig, da Frauen Kinder gebären und erziehen mussten, um die Gesellschaft und die Kultur zu erhalten. Dies war für die meiste Zeit der menschlichen Geschichte eine gefährliche und sehr vereinnahmende Aufgabe. Aber jetzt, zum allerersten Mal, sind Frauen befreit von der Notwendigkeit, Kinder zu bekommen – es ist eine freie Wahl geworden. Ferner können wir heute Kinder haben und gleichzeitig einer sinnvollen Arbeit nachgehen. Obwohl wir noch einen weiten Weg gehen müssen, bis sich Familie und Arbeit wirklich vereinbaren lassen, sind wir immerhin auf dem Weg dahin. Aber damit die Menschheit diesen Moment der Geschichte wirklich nutzen kann, müssen wir Frauen unser Schicksal annehmen.
Wir müssen diesen Wandel durch die Transformation unseres Bewusstseins ermöglichen. Wir müssen uns von den Zwängen der Vergangenheit befreien, die uns in alten Gewohnheiten zurückhalten. Wir müssen uns neu erfinden: Das ist ein kraftvoll-kreatives Handeln, in dem wir uns mit unserer tiefsten Motivation verbinden – uns zu entwickeln und die Zukunft zu kreieren, die wir in uns spüren.
Elizabeth Debold beschäftigt sich mit der Entwicklung von Mädchen und Frauen und ist Co-Autorin von "Die Mutter-Tochter-Revolution". Sie hat gemeinsam mit Carol Gilligan an der Harvard University geforscht, spricht weltweit auf vielen Konferenzen und ist Gründerin des Artemis Forums für Evolutionary Leadership.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.elizabethdebold.com
Artemis Forum
Copyright Foto: Elizabeth Debold