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Beitrag vom 25.10.2012
Efrat Alony im Interview
Marion Hölczl
Nach "Dismantling Dreams" und "Unarmed And Dazed" erschien am 9. November 2012 bei enja_Yellowbird Records das neue Album der israelischen Ausnahmekünstlerin - "A Kit for Mending Thoughts".
"Musik soll sich vom normalen Leben abheben"
AVIVA-Berlin: Du hast einige Jahre äußerst erfolgreich im Trio mit dem Pianisten Mark Reinke und Schlagzeuger Christian Thomé gearbeitet. Deine neue CD ist im Trio mit Klarinettist Oliver Leicht und Gitarrist Frank Wingold entstanden. Warum der Kurswechsel?
Efrat Alony: Es ist kein Kurswechsel. Es ist eine Weiterentwicklung in eine Richtung, die parallel zur Band Alony läuft. Oliver Leicht, ein großartiger Musiker und guter Freund, habe ich durch gemeinsame Big Band-Projekte kennen gelernt habe (Hessischer Rundfunk-Big Band, Sunday Night Orchestra und Ed Partyka-Jazz Orchestra). Wir spielen seit fünf Jahren im Duo zusammen und haben dabei auch viel mit Electronics ausprobiert. Das war inspirierend und aufregend zugleich. Ich liebe Herausforderung, um daraus zu lernen und an meine Grenzen zu kommen. Grenzen sind nicht starr und fest, sondern verschiebbar. Ich hatte Lust, mehr ´on edge´ mit der Musik zu werden: unbequemer, rockiger. Dabei wollte ich eine Textur schaffen, bei der ich auch anders, herber, dunkler singen kann. Dazu hat Frank Wingold natürlich perfekt gepasst, um die ganze Bandbreite musikalisch auszuleben. Mark Reinke ist übrigens in dieses Projekt involviert. Er hat viel von den Keyboard-Sounds programmiert und mir bei der Umstellung vom Analogen auf Computer-Elektronik geholfen.
AVIVA-Berlin: Wie wirkt sich die neue Instrumentierung auf Deine Songs aus?
Efrat Alony: Mich beschäftigen Gegensätze und Kontraste, weil dadurch Gefühle und Stimmungen noch intensiver sind. Ich wechsle stimmlich schon ein Weilchen zwischen vollem und gebrochenem Gesang, zwischen massiv-dunkel und fragil-verletzlich. Die neue Instrumentierung lässt all diese Möglichkeiten zu.
AVIVA-Berlin: Wie würdest Du die musikalischen Eigenschaften Deiner neuen Mitmusikern beschreiben?
Efrat Alony: Oliver und Frank geht es allein um die Musik und deren Klang und Klangfarben. Beide besitzen einen komplexen musikalischen Ausdruck und vielfältige stilistische und klangliche Möglichkeiten von puristisch-akustischen Klängen bis hin zu elektronisch-fantasievollen Soundscapes.
AVIVA-Berlin: Du hast bereits bei der Band Alony viel mit Elektronik gearbeitet. Was fasziniert Dich daran, Deine Songs auf diese Weise anzureichern?
Efrat Alony: Es gibt uns die Möglichkeit, in eine andere Welt einzutauchen. Wir verwenden dazu wahlweise einzelne Komponenten aus Elektro, Rock, Pop und Jazz. Musik ist für mich ein besondere Erlebnis, das sich vom "normalen" Leben abheben soll. Das Mischen gibt uns die Möglichkeit, etwas Neues zu erschaffen: einen anderen Planeten, wo man spazieren geht, sich von der Landschaft beeindrucken lässt, sich selber denken hört, auf unbekannte Wege geht und jederzeit "nach Hause" zu den bekannten Wegen zurückkehren kann.
AVIVA-Berlin: Du singst hauptsächlich in Englisch, aber auch wieder verstärkt in deiner hebräischen Muttersprache.
Efrat Alony: In Hebräisch ist meine Assoziationswelt am stärksten. Diese intuitive Ebene ist beim Singen und in der Kunst sehr wichtig. Das ist die Tür zum Unterbewusstsein, zur Fantasie, zur Faszination und zu all dem, was mich beim Musizieren beschäftigt. Diese Tür muss ich immer offen halten. Und je älter ich werde, desto wichtiger sind diese Wurzeln. Wenn meine Musik ein Spiegel meiner Person ist, dann ist das Gefühl, nie wirklich dazuzugehören, egal wo ich lebe, ein wichtiger Teil davon.
AVIVA-Berlin: Du coverst den Song I Had A King von Joni Mitchell. Was brachte Dich dazu, diesen Song von ihr auszuwählen?
Efrat Alony: Joni Mitchell ist eine Künstlerin, die wahrhaftig ist in all dem, was sie tut. Ich habe höchsten Respekt vor ihr. Besonderes beeindruckend finde ich die Songs, die sie in jungen Jahren geschrieben hat. Sie haben eine enorme Reife. Die Texte scheinen aus dem Mund einer alte Frau zu kommen, nicht aus dem einer 20-Jährigen wie z.B. der Song Both Sides Now. Inspirierend und wundersam. I Had A King ist von Joni Mitchell´s Debutalbum von 1968. Dieses Lied berührt mich jedes Mal zutiefst. Der Text ist bedrohlich, aber auch befreiend. Am Ende geht sie weg ("She unchains herself") und sagt, dass sie nicht zurückkehren wird, weil sie da nicht reinpasst. Woher hat man diese Einsicht, wenn man gerade mal Mitte Zwanzig ist? Ich kenne Leute Mitte Vierzig, die noch nicht wissen, wo sie hingehören, geschweige denn zu wissen, wo sie nicht hingehören.
AVIVA-Berlin: Es überrascht vielleicht, auf Deinem neuen Album Klassiker wie If I Should Lose You und Lonely Woman zu finden. Warum die Hinwendung an die alten Jazzmeister?
Efrat Alony: Ich mag das American Songbook gerne. Es ist immer da im Hintergrund. Seitdem ich selber JazzmusikerInnen ausbilde u.a. an der Hochschule in Bern, ist dieses Thema umso präsenter. Es hat mich aber nie interessiert, das Songbook so zu singen, wie man es schon kennt. Mich reizt es, einen bekannten Song so anders zu gestalten, dass das Publikum mit einem geradezu neuen Stück konfrontiert wird.
Als ich das neue Arrangement für If I Should Lose You mitgebracht habe, hat Oli gesagt: "Ich mag dieses Stück eigentlich gar nicht, aber so mag ich das sehr!" Man schafft also eine neue Perspektive auf eine bekannte Sache. Das finde ich toll! Manchmal wünsche ich mir, Begegnungen mit Menschen wären auch so: dass man sie umstellen, neu und unbefangen betrachten könnte. Lonely Woman von Ornette Coleman finde ich großartig. Das Stück ist so frei. Man kann alles damit machen. Es war spannend, dieses Stück in einem ganz anderen musikalischen Kontext auszuprobieren.
AVIVA-Berlin: Die Verpackung der CD ist durchaus ungewöhnlich, nicht zuletzt durch die Gebrauchsanleitung zum CD-Hören.
Efrat Alony: Die Musik beschreibt wie der CD-Titel A Kit For Mending Thoughts ("Ein Nähkästchen, um Gedanken zu flicken") das Flicken mit einem feinen Faden, der sich um fragile Gedanken webt und sie wieder heil macht. Manchmal sind diese Gedanken ganz leise oder gar versteckt, weil man sie selber gar nicht hören möchte. Es war eine bewusste Entscheidung, dieses Kästchen/"Mending Kit" als Cover zu präsentieren statt der üblichen Sängerinnen-Fotos. Es soll sich so anfühlen, als ob man ein Schatz entdeckt, dessen Inhalt sich langsam offenbart.
Die "Listening Manual" war eine Idee von Artwork-Designer Frank Hellenkamp. Sein erstes Feedback zur CD war: "Die Musik ist großartig, aber man muss sich Zeit nehmen und sich darauf einlassen, damit sie einen erreicht." Ich muss gestehen, dass mir diese Perspektive manchmal fehlt. Ich bin so sehr in der Musik; sie ist mir wie ein zweite Natur geworden. Frank hat aber recht. Diese Musik ist eine Welt, worauf man sich bewusst einlassen und Zeit dafür nehmen muss. Beim Eintauchen können dann Feinheiten und Subtexte entdeckt werden. Es ist keine Musik für nebenbei. Mit der "Listening Manual" bekommen die Hörer eine Idee davon, was sie erwartet. Wie beim Lesen eines Buches begegnet man neuen Charakteren und lässt die Geschichte auf sich wirken. Beim zweiten Mal lesen nimmt man dann alles schon ganz anders war. Am schönsten ist es, wenn man beim zwanzigsten Mal immer noch Nuancen entdecken kann.
AVIVA-Berlin: Was hörst du als Dauerpendlerin zwischen Berlin und Bern auf Deinem iPod?
Efrat Alony: Den Kopfhörer für 500 Euro, um wirklich unterwegs gut zu hören, habe ich mir leider noch nicht gegönnt (lacht). Gerade befindet sich auf meinem IPod:
Arvo Pärt: Stabat Mater
Meshell Ndegeocello: Devil´s Halo
Bach: Messe in H-Moll
Wayne Horvitz: Forever
Branford Marsalis: Random Abstract
Efrat Alonys CD "A Kit for Mending Thoughts" erschien am 9. November 2012 bei enja_Yellowbird Records
Mehr zu Efrat Alony:
www.alony.de
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