Interview mit Anna Frebel - Auf der Suche nach den ältesten Sternen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 15.09.2012


Interview mit Anna Frebel - Auf der Suche nach den ältesten Sternen
Dohm, Adler

Die Professorin am Massachusetts Institute of Technology, USA, Department of Physics über ihre Entdeckung des ältesten metallärmsten Sterns der Milchstraße, Frauen in MINT, Vorbilder und Sternenstaub




Anna Frebel, 32 Jahre, gebürtige Berlinerin, wuchs in Göttingen auf, studierte in Freiburg Physik, promovierte in Astrophysik in Australien und ist seit kurzem Professorin am MIT Massachusetts Institute of Technology, USA, Department of Physics, Abteilung Astrophysik. Im Rahmen ihrer Dissertation im Jahr 2007 entdeckte sie als jüngste Frau den ältesten metallärmsten Stern der Milchstraße, der 13,2 Milliarden Jahre alt ist. Anna Frebel wurde bis heute mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet, darunter: Charlene-Heisler-Preis, Australien 2007, Ludwig-Biermann-Förderpreis der Astronomischen Gesellschaft, 2009 und Annie-Jump-Cannon-Preis für Astronomie der American Astronomical Society, 2010. Ihre jüngste Publikation ist ihr Buch "Auf der Suche nach den ältesten Sternen", erschienen im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, das sie anlässlich seiner Erscheinung am 23. August 2012 in Berlin präsentierte.

AVIVA-Berlin: Frau Frebel, Sie sind Professorin für Astrophysik am MIT (Massachusetts Institute of Technology), USA, und haben im Rahmen ihrer Dissertation (im Jahr 2007) den ältesten metallärmsten Stern entdeckt - HE 1523 - 0901.
Wie lange haben Sie schon geforscht, bis Sie diesen Stern entdeckt haben?
Anna Frebel: Einige Jahre lang. 2003 fing ich mit dieser Arbeit an und es ging sogar recht schnell mit der Entdeckung. Denn durch die vielen Selektionsschritte dauert die Suche nach alten Sternen oft mehrere Jahre. (Man kann die Sterne nur 6 Monate lang pro Jahr beobachten.)

AVIVA-Berlin: Haben Sie gezielt nach dem ältesten Stern gesucht oder ihn durch Zufall entdeckt?
Anna Frebel: Beides! Ich habe gezielt nach alten Sternen gesucht und auch viele gefunden. Dass ein solcher Rekordhalter dabei war, hatte ich zwar auf dem Papier rein theoretisch mit eingeplant, aber es war dann doch eine Überraschung, als es auf einmal Realität wurde.

AVIVA-Berlin: Was haben Sie damals bei der Entdeckung empfunden?
Anna Frebel: Ich war erst einmal ganz misstrauisch. J Wenn man so einen außergewöhnlichen Stern findet, muss man ja erst einmal ausschließen, dass man bei seiner Analyse keine Fehler gemacht hat. Mit weiteren Daten konnten wir uns dessen dann vergewissern und dann kam das große Aufatmen – ja, wir sind auf dem richtigen Weg und haben einen Rekordhalter gefunden. Irgendwann gab´s dann aber schon mal auch ein Gläschen Sekt mit den Kollegen.

AVIVA-Berlin: Wie können Sie wissen, dass das wirklich der älteste Stern ist, der bisher entdeckt wurde?
Anna Frebel: Wir konnten in diesem Stern die Häufigkeiten der radioaktiven Elemente Thorium und Uran bestimmen. Radioaktives Material zerfällt gemäß physikalischer Gesetze. Wenn man weiß, wie viel von den Elementen produziert wurde (in der Vorgänger-Supernova-Explosion, die das Gas aus der HE 1523-0901 angereichert hat; das können wir alles berechnen) und dann misst, wie viel heute noch übrig ist, kann die vergangene Zeitspanne berechnet werden.
Diese Methode haben wir inzwischen schon bei einigen Sternen angewandt und es gibt tatsächlich noch einige andere Sterne, die ebenfalls etwa 13 Milliarden Jahre als sind. Aber bei HE1523-0901 sind die Messfehler am geringsten, d.h. wir sind uns bei diesem Stern am sichersten!

AVIVA-Berlin: Die meisten Sterne erlöschen schon nach ein Paar Milliarden Jahren - können Sie bitte erklären, warum dieser gerade noch "lebt"?
Anna Frebel: Die Lebensdauer der Sterne hängt von ihrer Masse ab. Leichte Sterne wie die Sonne leben 10 Milliarden Jahre, Sterne die ein vielfaches der Sonnenmasse haben, nur noch Hunderte von Millionen. HE1523-0901 und seine Artgenossen haben eine Masse die geringer als die der Sonne ist, und somit ein abschätzbares Alter von etwa 15-20 Milliarden Jahren. Zusätzlich befindet sich der Stern in unserer Milchstraßengalaxie, d.h., sein Licht ist auch nicht besonders lange zu uns und den Teleskopen unterwegs.

AVIVA-Berlin: Angenommen, dieser Stern würde explodieren, würden wir davon irgendwelche Folgen spüren? Könnte sich sogar ein "Schwarzes Loch" bilden?
Anna Frebel: Leichte Sterne wie HE1523-0901 explodieren zum Glück nicht, aber wenn ein schwereres Exemplar es in unserer Milchstraße dann doch tun würde, würden wir sogar am Taghimmel ein tolles Spektakel zu sehen bekommen. Eine solche Supernova würde auch tagsüber zu sehen sein! Ansonsten würde uns wahrscheinlich nicht viel weiter passieren, außer dass die Astronomen ganz aus dem Häuschen sein und die Supernova sofort studieren würden J
Eine Supernova-Explosion tritt in der Milchstraße aber nur etwa 1 Mal pro Hundert Jahre auf.
Ein schwarzes Loch bildet sich tatsächlich immer so lange der Stern mehr als etwa 20 mal so schwer wie die Sonne war (bevor er explodierte).

AVIVA-Berlin: Was bedeutet die Entdeckung dieses "Frebel-Sterns", wie er in Fachkreisen ja schon genannt wird, für die Entstehung des Universums?
Anna Frebel: Es bedeutet vor allem, dass wir tatsächlich fähig sind, Sterne zu finden die kurz nach dem Urknall entstanden sind, und somit fast so alt wie das Universum selbst sind. Das Alter wird heutzutage auf 13,7 Milliarden Jahre geschätzt. Weiterhin können wir mit solchen Sterngreisen anfangen nachzuvollziehen, wie die ersten Sterne und Galaxien im frühen Universum gebildet wurden, und wie die ersten schwereren Elemente (schwerer als Wasserstoff und Helium) in den ersten Sternen synthetisiert wurden.

AVIVA-Berlin: Was verrät uns die Zusammensetzung der Sterne über die Evolution des Menschen?
Anna Frebel: Ziemlich viel! Nämlich, wo wir, kosmisch gesehen, herkommen! Wir Menschen sind ja das Produkt der biologischen Entwicklung auf der Erde, aber jenseits dessen natürlich auch ein Produkt der chemischen Entwicklung des Universums. Denn die Elemente, aus denen wir bestehen, mussten ja erst in ´Kleinarbeit´ in Sternen und Supernova-Explosionen über Milliardenjahre hinweg synthetisiert werden. Indem wir die Zusammensetzung der ältesten Sterne bestimmen, bestimmen wir gleichzeitig, aus was das Universum kurz nach dem Urknall bestand. Die Arbeit mit den alten Sternen hat ergeben, dass Kohlenstoff eines der allerersten Elemente war, die in den ersten Sternen im Universum produziert wurden. Seitdem wird Kohlenstoff in allen Arten von Sternen produziert und ständig durch Sternwinde sofort ins All gestreut.
Da wir aus Kohlenstoff bestehen (und noch weiteren Elementen) können wir also ableiten, dass dieses Material wohl besonders in Riesensternen erzeugt wurde, noch bevor sich die Erde und die Sonne und die anderen Planeten gebildet haben. Wir sind also, kosmisch gesehen, doch schon ziemlich alt und tatsächlich Sternenstaub. Dazu kommt dann noch, dass der Wasserstoff im Wasser (wir bestehen zu 90% aus Wasser) direkt aus dem Urknall kommt!

AVIVA-Berlin: Was hat Sie dazu bewogen, Astrophysik zu studieren? Was begeistert Sie daran?
Anna Frebel: Ich wollte eigentlich schon immer Astronomin werden und Sterne studieren. Das Universum zu untersuchen und sich vorzustellen, was es da draußen im Weltall wohl alles gibt und wie sich genau die vielen physikalischen und chemischen Prozesse letztendlich als leuchtende Sterne, riesige spiralförmige Galaxien und farbige Gasnebel manifestieren, ist doch etwas wahnsinnig faszinierendes. Beim Blick in den Himmel kann man (mit oder ohne Teleskop) unendlich viel staunen!

AVIVA-Berlin: Im Jahr 2010 waren Sie auf der Lise-Meitner-Lecture in Göttingen eine von "Lise-Meitners-Töchtern". Was verbindet Sie mit Lise Meitner bzw. wer ist Ihr weibliches Vorbild?
Anna Frebel: Als Wissenschaftlerin in einer Arbeitswelt, die von Männern dominiert wird, fühlt man sich automatisch mit anderen Wissenschaftlerinnen, egal ob Gegenwart oder Vergangenheit, verbunden. Darüber hinaus versuchte Lise Meitner herauszufinden, ob es noch schwerere stabile Elemente als Uran gibt. Sie wollte genau wissen, wie das mit der Synthese der Elemente funktioniert und was die Eigenschaften der schwersten Elemente sind. Auch ich befasse mich mit der Erzeugung der Elemente und deren Rolle im Universum, aber nicht im Labor, sondern in den Sternen, in deren heißesten Zentren, sowie später in der Explosion am Sternleben-Ende, wenn die Elemente fusioniert werden. Ganz ähnlich bei Marie Curie, die ja die Elemente Polonium und Radium entdeckt hat. Was für eine tolle Sache! Ich kann "nur" noch die verschiedenen Elemente nur studieren und Details über ihre Erzeugung lernen. Diese beiden Damen müssen eine unstillbare Neugier gehabt haben, um den Elementen und ihren Eigenschaften ihr Leben lang nachzugehen. Das finde ich faszinierend, denn mir geht´s ähnlich!

AVIVA-Berlin: Die MINT Berufe werden noch zu wenig von Frauen angenommen: Unseren Recherchen zufolge gab es im Jahr 2011 in ganz Deutschland 5.000 offene Stellen allein für PhysikerInnen, was zwei kompletten AbsolventInnenjahrgängen in der Physik entspricht. Wie kann, Ihren Erfahrungen, insbesondere auch Ihren Erfahrungen aus Amerika zufolge, dieses Feld attraktiver gestaltet werden?
Anna Frebel: Wenn ich die Lösung hätte, hätten wir das Problem wohl nicht mehr. Es ist vor allem wichtig, dass Studenten nicht nur Professoren sondern auch Professorinnen in den Vorlesungen haben. Vorbilder sind wichtig und nur so wird es ‘normal´, eine Frau in den Wissenschaften zu sein: Wenn man nicht die einzige ist.
Aber ich denke das Problem liegt noch viel tiefer: Wie erhöht man den Frauenanteil im Studium? MINT-Fächer müssen in den Schulen populärer gemacht werden und von der generellen Einstellung "Mathe ist doof" und " als Mädchen muss ich Mathe ja auch gar nicht verstehen" muss weggekommen werden. Dazu bedarf es allerdings guter und engagierter MINT-Lehrer, die Spaß an MINT haben und den Unterricht spannend gestalten können. Es ist ein Kartenhaus – wenn irgendwo eine Karte fehlt, klappt alles zusammen.
Deswegen denke ich, dass es letztendlich eine aufgeschlossenere Kultur den MINT-Fächern und ihren (technischen und technologischen) Möglichkeiten für die Gesellschaft gegenüber geben muss.


AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!




Anna Frebel
Auf der Suche nach den ältesten Sternen

S. Fischer Verlag, erschienen 23.08.2012
Hardcover
19,99 Euro
ISBN: 978-3-10-021512-3

Weitere Infos zu Anna Frebel unter:

http://space.mit.edu

www.fischerverlage.de

www.dpg-physik.de

www.facebook.com (Facebook-Seite zum Buch, auf der Anna Frebel regelmäßig Fotos und Videos von den Teleskopen hochlädt)


Das Interview führte Philipp Dohm im Rahmen seiner MSA Prüfung im Fach Physik für AVIVA-Berlin, das Online Magazin und Informationsportal für Frauen mit Unterstützung von Dr. Marion Dohm und Sharon Adler

Foto von Anna Frebel: Walter Breitinger


(Quellen: Buch Anna Frebel: "Auf der Suche nach den ältesten Sternen", Website Anna Frebel)


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Beitrag vom 15.09.2012

AVIVA-Redaktion