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Beitrag vom 21.05.2012
Männer als Frauen - Die Verwandlung der Cross-Dresser. Interview mit der Filmemacherin und TV-Journalistin Gudrun Holtz
Marie Heidingsfelder
"Die Themen liegen quasi vor der Haustür, unter meinem Bett oder auf der Straße." Aufmerksam und einfühlsam führt es die studierte Kulturwissenschaftlerin in ihren Dokumentationen in genau die...
...gesellschaftlichen Bereiche, die andere gerne übersehen.
Wer sind eigentlich die Menschen hinter den Vorurteilen? Diese Frage treibt die in Bremen geborene Filmemacherin und TV- Journalistin Gudrun Holtz in genau die Bereiche der Gesellschaft, die für viele andere mit einer einfachen Formel abgetan werden: "Das kann ich nicht verstehen und das will ich auch gar nicht wissen". Das steht auf dem Stempel, mit dem beispielsweise "Cross-Dresser" in eine möglichst dunkle Schublade gesteckt werden: Meist heterosexuelle Männer, die eine zweite, weibliche Identität in sich fühlen und diese – oft heimlich und nach langem Zögern – auch ausleben.
Genau diese Schubladen will die studierte Kulturwissenschaftlerin mit ihren Dokumentationen ausleuchten. So entstanden in den vergangenen Jahren einfühlsame und intelligente Reportagen/Dokumentationen für den Westdeutschen Rundfunk. Nicht nur über Crossdresser, sondern auch über lesbische Eltern, den Kontaktabbruch von Großeltern und Enkeln oder auch Tätowierungen in der Generation ab 50.
Immer mitten am Rand – Das scheint das Motto von Gudrun Holtz zu sein.
Anlässlich ihres Vortrags zum Film "Männer als Frauen- Die Verwandlung der Cross-Dresser" verabredeten Gudrun Holtz und AVIVA-Berlin ein Interview.
AVIVA-Berlin: Sie haben Kultur-, Kunst und Erziehungswissenschaften studiert – Welches Fach hat ihr Interesse für die Lebensformen anderer Menschen am meisten geweckt?
Gudrun Holtz: Gute Frage! Das breit gefasste Fach Kulturwissenschaft hat meine eh schon vorhandene Neugierde gefördert. Dort hatte ich jedoch die Möglichkeit mich wissenschaftlich mit Menschen/gesellschaftlichen Kontexten auseinanderzusetzen über die ich ganz viel wissen wollte. Generell interessiert mich von jeher: Was treibt Menschen an? Wie funktioniert der Motor hinter Künstlern und Künstlerinnen, von Menschen allgemein. Ich denke dabei an Niki de Saint Phalle, Rainer Werner Fassbinder, Cindy Sherman, Roman Polanski, Romy Schneider, Edvard Munch, Susan Sontag, Virginia Wolf, Sylvia Plath, Sarah Kane, Volker Elis Pilgrim, Valérie Valère.
Das ist ein Bereich. Meine Neugierde will auch gestillt werden. Warum verbringt z.B. die 72 jährige Rentnerin ihren Lebensalltag lieber allein vorm Fernseher, als sich einen Liebhaber zu angeln, um mit ihm gemeinsam die Welt zu erforschen.
Mich regen einfach Menschen, ihre Persönlichkeiten in ihrem Facettenreichtum, sowie im gesellschaftlichen Kontext an. Aber es sind auch Begegnungen mit den Minangkabaufrauen. Also Untergruppen, die soziale Akteure von einer Kultur sind, die sich im Hinblick auf zentrale Normen deutlich von der "herrschenden" Kultur abgrenzen und damit wieder ihre eigene Kultur bilden, gemeinsam mit denen, die sich ihnen zugehörig fühlen. Die sich identifizieren können, wollen und müssen. Das Fach Kulturwissenschaft hat mir die Möglichkeit gegeben, meinen Interessen nachzugehen und meine Fragen zu beantworten sowie neue zu aufzuwerfen.
AVIVA-Berlin: Wie kommen Sie auf die Themen für Ihre Projekte und Dokumentationen?
Gudrun Holtz: Durch das Leben im Allgemeinen komme ich auf meine Ideen. Die Themen liegen quasi vor der Haustür, unter meinem Bett oder auf der Straße. Ich bin ein sehr aufmerksamer Mensch und mir entgeht relativ wenig. Manchmal wache ich in der Nacht oder am Morgen auf und denke, darüber musst Du unbedingt etwas machen, inspiriert durch anregende Gespräche mit Schulverweigerern oder der Rentnerin beim Bäcker die eine sehr bescheidende Rente erhält. Ganz allgemein glaube ich allerdings, dass ich ein ziemlich gutes Gespür für Themen habe und keine Scheu vor Menschen, solange es nicht um mich selbst geht und das beides zusammen ist eine gute Mischung, die mich zu meinen Themenangeboten führen.
AVIVA-Berlin: Und wie schaffen Sie es, Kontakt und Vertrauen zu den Menschen aufzubauen?
Gudrun Holtz: Dafür gibt es meiner Meinung nach kein Rezept. Und wenn es ein Rezept gibt, dann käme ich dabei schon wieder ins Stutzen. Ich bin ein ziemlich authentischer Mensch, eine sehr direkte Fragerin. Und was ich wissen möchte, will ich wissen. Ich habe dabei etwas sehr Absolutes. Wenn ich jemandem vertraue, dann 150- prozentig und das erwarte ich auch von meinem Gegenüber. Ich mag diesen Moment, wenn ich zum ersten Mal mit einem fremden Menschen spreche. Ich merke förmlich, wie sich meine Wahrnehmung schlagartig verändert: Sie wird aufmerksamer, intensiver, klarer. Meine Sinne sind hellwach, ich nehme kleinste Veränderungen wahr. Es ist eine schöne Form von neugieriger Aufregung, innerlich freudig und friedlich zugleich.
In Kontakt gelange ich über Selbsthilfegruppen, indem ich Aushänge in Kirchen mache, bei Ärzten anrufe oder indem ich die Menschen einfach anspreche, auf einem klaren direkten Weg, irgendwo in der U-Bahn, oder bei Veranstaltungen.
AVIVA-Berlin: Inwiefern halten Sie es für wichtig, Menschen zu zeigen, die von der Norm abweichen? Hat das nicht auch einen voyeuristischen Aspekt?
Gudrun Holtz: Für mich ist Voyeurismus nicht immer mit etwas Negativem gleichzusetzen. Ich möchte Menschen die von der "Norm" abweichen eine Stimme geben und so der Allgemeinbevölkerung zeigen, schaut alle her, das und das ist auch Bestandteil unserer Gesellschaft. Diese Menschen sind deshalb nicht schlechter, als ihr oder sonst wer, sondern sie verweilen mit uns, sie sind ein Teil unserer Gesellschaft. Aber was bedeutet heute eigentlich noch die Norm mit der zunehmenden Globalisierung, Individualität und den auflösenden traditionellen familiären Strukturen? Meines Erachtens geht es darum, Angebote für die Vielfältigkeit zu machen, auf Missstände sowie Diskriminierungen hinzuweisen. Das ist mit das Allerwichtigste. Bisher konnte ich die Themen immer auf eine sehr respektvolle Art und Weise umsetzen. Das hat für mich oberste Priorität. Ich möchte keine verbrannte Erde hinterlassen! Ich halte es für wichtig, Menschen zu zeigen, die von der "Norm" abweichen. Meine innere Haltung ist geprägt von Offenheit, Neugier und der wohltuenden Abwesenheit irgendwelcher Vorannahmen. Und falls dann doch die ein oder andere Vorannahme erscheint, ermahne ich mich selbst dazu, von meinen Vorurteilen erst einmal abzurücken, denn ich kenne den Menschen nicht. Eine Haltung von Nicht-Wissen und Nicht-Kennen – eine gemeinsame Geschichte gibt es nicht. Und das genau ist für mich die Herausforderung und das Schöne an meinem Beruf. Ich möchte Meinungsbildungsprozesse anregen sowie etwas aufzeigen, was nicht jeden Tag zu sehen ist und dabei etwas enthüllen!
AVIVA-Berlin: Gab es einen Film, in dem Sie auch mit eigenen Vorurteilen konfrontiert wurden? Und, wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Gudrun Holtz: Im Namen des Vaters oder in the Name of the Father mit Daniel Day-Lewis sowie Emma Thompson. Drehbuch: Jim Sheridan.
Dieser Film ist politisch bedeutsam. Mit der Vollstreckung des Urteils in dem Film beginnt ein fast aussichtsloser Kampf gegen die Justiz. Mein Vorurteil: Dass sich nicht immer die Wahrheit durchsetzt ... die Annahme wurde revidiert, selbst wenn es ein enorm langes unter erbärmlichsten Umständen Durchhaltevermögen diese Menschen in der Geschichte kostet. Das Leben ist einfach nicht gerecht.
Weibliche Perversionen / female Perversion mit Tilda Swinton. Drehbuch: Susan Streitfeld.
Mein Vorurteil: Den perfekten nach außen glatten Menschen ging es psychisch hervorragend. Menschen die ihr Leben so scheinbar im Griff haben. Der Film hat mich 1996 eines Besseren belehrt.
AVIVA-Berlin: Ihr Film "Männer als Frauen- Die Verwandlung der Cross-Dresser" wird am 20. Juni an der Universität Bremen gezeigt. Welche Reaktionen oder Anregungen erhoffen Sie sich von den Studierenden?
Gudrun Holtz: Ich erwarte einen bunten, inspirierenden Austausch mit den Studierenden über den Inhalt des Films sowie über die filmische Umsetzung.
AVIVA-Berlin: Haben Sie schon ein neues Projekt in Aussicht oder gibt es einen Bereich der Gesellschaft, der Sie besonders interessiert?
Gudrun Holtz: Ja, es gibt ein nächstes angedachtes Projekt über einen sehr berühmten Kunstschaffenden, der in Berlin lebt. Ich hoffe, dass die Dokumentation durchkommen wird. Seit fünf Jahren laufe ich bereits mit dem Thema schwanger durchs Leben. Mehr verrate ich an dieser Stelle jedoch noch nicht. Wenn das Thema angenommen ist, dürfen Sie mich aber gerne wieder interviewen. Wenn dem so wäre, würde sich ein Traum erfüllen, so wie es bereits beim Cross- Dresser Film geschehen ist.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview und viel Glück, Spaß und Erfolg bei Ihren weiteren Projekten!
Mehr Infos zu Gudrun Holtz finden Sie unter: www.gudrunholtz.de
(Copyright Foto: Gudrun Holtz)