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Beitrag vom 09.06.2008
Auf jüdischem Parkett. Interview mit den Regisseurinnen Arielle Artsztein und Ester Slevogt
Katharina Höftmann
Die Dokumentation "Auf jüdischem Parkett" zeigt die sonst eher scheue jüdische Gemeinde Berlins aus einem besonderen Blickwinkel. Dabei lernen wir eine Gemeinschaft voller Freude und Zweifel kennen.
Helga Simon ist geschätzte 1,50 Meter klein, gefühlte 1,40. Die ältere Dame läuft energischen Schrittes durch den Gemeindesaal. Bewaffnet mit ihrer Kamera und einer Leiter. Seit 1952 protokolliert sie Feste, Gedenkveranstaltungen und andere Begebenheiten der jüdischen Gemeinde in Berlin. Gerade versucht ein Sicherheitsmann sie davon abzuhalten an Klaus Wowereit und Joschka Fischer vorbei zu marschieren. Aber da kennte er die Fotografin schlecht: Sanft drückt sie ihn beiseite und bahnt sich ihren Weg, quer vor der Bühne entlang, auf der das Unterhaltungsprogramm längst angefangen hat.
Helga Simon ist nur eine der ProtagonistInnen, die wir im Film "Auf jüdischem Parkett" kennen lernen dürfen. Neben ihr treffen wir unter Anderem den verkappten Opernsänger und Entertainer Efraim Habermann oder Inge Robert, die Geschichten von den Anfängen der Gemeinde zu berichten weiß.
Sie und viele mehr lassen uns für 86 Minuten an ihrem wahrlich nicht immer leichten Leben teilhaben und bringen uns dabei den Charakter der Gemeinde näher. Dass es dabei nicht immer bierernst und religiös zugeht wird spätestens klar, als Platzhirsch Efraim neben dem Wächter der "Koscherheit" der Küche sitzt und platt sagt: "Also ich bin ja nicht so verkoschert."
Bevor der Film "Auf jüdischem Parkett" beim Jewish Film Festival gezeigt wurde, passierte etwas für die jüdische Gemeinde in Berlin ein wenig Typisches: Jemand hatte ein Flugblatt verfasst, das sich auf die aktuellen Streitigkeiten um Rabbiner Chaim Rozwaski bezog und zur Vernunft mahnte. Eine Art Prolog für den Film, der die vielzähligen Konflikte der Gemeinde ebenfalls nicht aussparte.
Doch die Dokumentation zeigt viel mehr als Kleinkriege. Sie spachtelt das Make-Up einer der meist beobachtesten Institutionen dieser Art ab und zeigt uns die Geschichten dahinter. Von Menschen, die auf der Suche nach Identität sind und dabei mit beeindruckender Stärke voranschreiten. Sie zeigt uns aber auch, dass diese Gemeinschaft sehr eigenwillig ist und sich oft bewusst nach außen verschließt.
So zieht sich eine spannende Diskussion durch den Film: Kann mein jüdisches Kind eine(n) Nicht-Juden/Jüdin heiraten? Die Reaktionen im Film sind relativ eindeutig nach dem Motto: Wenn es sein muss ja, aber lieber nein. Die Protagonistin Inge Robert bringt das Streitthema auf den Punkt als sie sagt: "Ein Rabbi hat mir mal gesagt: Erst wenn Deine Enkelkinder auch jüdisch sind, dann hast du alles richtig gemacht." Als im Anschluss des Filmes eine Frau in der dritten Reihe anmerkt, dass diese Sicht vielleicht etwas streng ist und Nicht-Juden auch konvertieren könnten, schauen ProtagonistInnen und anwesender Rabbiner Yitzhak Ehrenberg kommentarlos in die andere Richtung. Sich "Auf Jüdischem Parkett" zu bewegen, ist eben nicht immer einfach...
AVIVA-Berlin traf die Regisseurinnen des Filmes: Arielle Artsztein und Ester Slevogt, die selbst Mitglieder der Gemeinde sind.
AVIVA-Berlin: Zuerst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview nehmen und Kompliment für Ihren wunderbaren Film, der die jüdischen Gemeinde aus einer neuen Perspektive zeigt. Was war für Sie der schönste Moment bei der Entstehung des Filmes?
Esther Slevogt: Das ist so ein langer Prozess, da ist es schwer den schönsten Moment zu benennen. Wir haben über 1 Jahr gedreht und dann noch 8-9 Monate geschnitten, da gab es viele Höhen und Tiefen...
Arielle Artsztein: Für mich war ein Höhepunkt, als wir Mary (ein russisches Gemeindemitglied, Anmerkung der Red.) kennen gelernt haben. Das war bei der Wahl des neuen Vorsitzenden und da dachte ich gleich: Die ist ja klasse.
Esther Slevogt: Die Idee des Films war, dass wir vorher nicht casten wollten, sondern einfach wie Angler filmen und fischen. So haben wir diese authentische Momentaufnahme fabriziert. Aber für mich war die Schlussszene am Schönsten, als alle zusammen die Purim Geschichte erzählt haben und Mary diesen Satz sagt "Freiheit das ist was Besonderes." Und dann sieht man im Film die Kinder tanzen, da dachte ich mir, so wollte ich das.
Arielle Artsztein: Ich finde auch die Stelle unglaublich toll, als der kleine Junge vergisst, wie man die Feindschaft gegen Juden nennt.
AVIVA-Berlin: Nun waren ja viele der dargestellten Personen recht exzentrisch. War es manchmal schwer mit ihnen zu arbeiten?
Beide: Nö.
Arielle Artsztein: Wir hatten ja eine so große Menge an exzentrischen Persönlichkeiten, da war es richtig schade, sich am Ende zu entscheiden. Das war ein großes Problem, wir mussten viele tolle Szenen rauswerfen.
AVIVA-Berlin: Bevor Sie den Film beginnen konnten, mussten Sie eine Genehmigung erhalten. Wie offen war die Gemeinde für Ihren Film?
Esther Slevogt: Naja, sie hatten schon Scheu, dass die Konflikte nach außen getragen werden. Viele wollten sich auch nicht als Juden zeigen, nicht gefilmt werden, da sie Angst vor Übergriffen hatten. Und dann sind wir natürlich in die Gemeinde herein gegangen und in deren Intimität eingebrochen.
AVIVA-Berlin: Vor dem Film ging ein Handzettel herum, der sich auf die momentanen Streitigkeiten um Rabbiner Rozwaski bezog. Die Konflikte in der Gemeinde spielten auch im Film eine Rolle. Sie haben viel Zeit in der Gemeinde verbracht - worauf führen Sie die Streitigkeiten zurück?
Esther Slevogt: Ach, das sind so Empfindlichkeiten. Das ist halt eine sehr heterogene Gemeinschaft. Zum Teil ist ihre einzige Gemeinsamkeit, dass sie alle jüdisch sind.
Arielle Artsztein: Ich glaube auch, dass Berlin eine sehr spezielle Gemeinde hat. Zwar ist Berlin auch eine Großstadt, aber in New York oder Paris funktioniert das ja ganz anders. Da gibt es viele verschiedene Gemeinden, nur für Frauen, für Schwule, für Orthodoxe. Hier in Berlin ist das zentraler und alle werden alle in einen Topf geworfen.
Esther Slevogt: Als die Gemeinde nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, hat Heinz Galinski gesagt, hier soll es keine verschiedenen Parteien mehr geben, sondern nur noch Juden. Alle hatten eine Stimme, niemand sollte untergehen. Das waren ja damals auch viel weniger Leute, es war eine Schicksalsgemeinschaft. Das war nicht so wie heute, wo es so viele verschiedene Meinungen gibt. Wo der Eine sagt, ich fühle mich als Jude und bin religiös und der Nächste sagt, ich fühle mich als Jude, ohne religiös zu sein...
Arielle Artsztein: In Israel sagt man, in einer Familie gibt es eine Art von Politik. Man hat zum Beispiel drei Kinder und zwei Eltern. Theoretisch sind das 6 verschiedene Parteien. Das ist auch so eine spezielle Mentalität, das ist nicht nur in Berlin so.
AVIVA-Berlin: Also eine Art jüdische Mentalität?
Esther Slevogt: Sagen wir so: Es gibt eine gut entwickelte Streitkultur. Und in Deutschland ist das noch ein wenig schwieriger, weil es hier so viele Ängste gibt.
AVIVA-Berlin: Glauben Sie dass man "endgültig" sagen kann, dass das jüdische Leben nach Berlin zurückgekehrt ist?
Esther Slevogt: Ja!
Arielle Artsztein: Ja. Es gibt jetzt auch sehr viele aktive Juden.
Esther Slevogt: Das haben auch die vielen Einwanderer geschafft, wie Mary zum Beispiel. Die verstecken ihre Kippa nicht, sie hauen zurück und gehen offensiver damit um.
AVIVA-Berlin: Es gibt Menschen die sagen, dass man den Antisemitismus nur besiegen kann, in dem man Leuten das jüdische LEBEN zeigt, geht Ihr Film in eine ähnliche Richtung?
Beide: Ja, auf jeden Fall.
Arielle Artsztein: Ich erinnere mich, dass mich bei der Filmförderung eine Dame frage, ob auch Frau Müller aus Kleinmachnow etwas bei dem Film lernen könnte und wir sagten beide ja!
Esther Slevogt: Die Gemeinde war ja immer hinter so verschlossenen Türen. Man hat nur die Oranienburger Straße gesehen und die war ja eher so "jewish Disneyland". Wir aber wollten das echte jüdische Leben in der Gemeinde zeigen.
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!
Weitere Infos zum 14. Jewish Film Festival auf AVIVA-Berlin.