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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 27.05.2008


Interview mit Pia Bohlen-Mayen zur 6. WORLD WOMEN WORK
Sharon Adler

Die Community-Expertin gehört zu den Internetpionierinnen und ist Mitgründerin der XBYTE GmbH, Betreiberin von femity, dem Community-Portal für die Themen berufstätiger Frauen.




Pia Bohlen-Mayen zählt zu Deutschlands Internetpionierinnen und ist Mitgründerin der XBYTE GmbH. Sie besitzt einen Lehrauftrag für Community-Building an der Uni Klagenfurt wo sie StudentInnen der Medienkommunikationswissenschaften dabei begleitet, eigene Community-Basierte Geschäftsideen zu entwickeln. Im eigenen Unternehmen bildet sie zudem MediengestalterInnen und AnwendungsentwicklerInnen aus.

Die 42-jährige schlug nach dem Abitur zunächst einen kreativ-technischen Berufsweg ein und studierte Architektur und Innenarchitektur und arbeitete einige Jahre im Hochbau als Freiberuflerin. Im Jahr 1998 erkannte sie die Chancen des neu aufkommenden Internets und gründete mit ihrem Lebenspartner die Agentur Xbyte online communication. Pia Bohlen-Mayen setzte bereits 1999 auf virtuelle Netzwerke, Mailingslists und Newsgroups. Sie erlebte den virtuellen Support als unglaubliche Bereicherung, erkannte die ´Kultur- und Medienrevolution´, die durch die Onlinekommunikation entstehen würde, früh und glaubte an die Zukunft der neuen Kommunikationsformen über das Internet.
2001 gründete sie femity, das Community-Portal für berufstätige Frauen, als Treffpunkt für die Themen Job, Karriere und Vereinbarkeit für Frauen.

Pia Bohlen-Mayen lebt und arbeitet in Erkrath bei Düsseldorf. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter (4 / 1).

AVIVA-Berlin: Was brachte Sie zur Frauenförderung, was waren und sind Ihre Beweggründe?
Pia Bohlen-Mayen: Der wichtigste Beweggrund: ich bin selbst eine Frau, wollte Karriere machen, meinen Traumjob finden und kenne die damit verbundenen Anforderungen bestens! Von klein auf war mein Ziel, meine beruflichen und persönlichen Ziele zu erreichen, selbstbestimmt und finanziell unabhängig leben und arbeiten zu können. Genau dies tue ich seit 10 Jahren und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass das "Frausein" mir dabei nicht immer nur nützlich war. Frau zu sein bedeutete in meinem Leben zwar nie, dass man mir etwas nicht zugetraut hätte. Es war eher so, dass ich mir selbst oft im Weg stand. Daran kann man glücklicherweise etwas tun, aber es bedeutet ständige Arbeit an der eigenen Rollenprägung.

AVIVA-Berlin: femity, Das Community-Portal für berufstätige Frauen liefert neben den Foren und Networking-Funktionen auch vielfältige hilfreiche Informationen und praktische Tipps von Insiderinnen. Als Erfinderin und Entwicklerin eigener virtueller Projekte haben Sie mit femity eine äußerst erfolgreiche Plattform für Job und Karriere-Themen für Frauen etablieren können. Was sind – nach dem Relaunch von femity – Ihre zukünftigen Pläne mit femity?
Pia Bohlen-Mayen: Femity baut künftig noch stärker auf User generated Content, also auf die von Nutzerinnen geschriebenen Job- und Lebenserfahrungen und sammelt die wertvollen und authentischen Erkenntnisse aus dem Berufsleben echter Frauen. Unsere Blogs sind ein zentraler Schritt in diese Richtung. Künftig sollen die Nutzerinnen femity noch stärker als bisher als nützliches und schlagkräftiges Forum für einen ganzheitlichen Business-Support anwenden können. Z.B. durch verbesserte Such- und Bookmarkfunktionen. Auch wollen wir mit geschlossenen Gruppen, z.B. für Führungsfrauen, den Weg in Richtung virtueller Erfolgsteams gehen. Es gibt inzwischen viele Social Networks. In seiner Ausrichtung auf die spezielle Lebenssituation berufstätiger Frauen ist femity bislang einzigartig.

AVIVA-Berlin: Im Rahmen der 6. World Women Work wurde die aktuelle Accenture-Studie "One Step Ahead of 2011: A New Horizon for Working Women" vorgestellt. Die Studie bewertet anhand von sechs Indikatoren, darunter "Beweglichkeit", "Bereitschaft zur Nutzung neuer Technologien" und "Soziale Verantwortung", in wieweit Führungskräfte auf die mit der Globalisierung verbundenen Anforderungen vorbereitet sind und leitet daraus einen "Skills Readiness Index" ab. Es überrascht nicht, dass sowohl Frauen und Männer, als auch befragte Managerinnen in Industrie- und in den aufstrebenden Schwellenländern eklatant unterschiedliche Ergebnisse liefern. Insgesamt schätzen Frauen ihre Karrierechancen in einer globalisierten Arbeitswelt schlechter ein als Männer. Was, denken Sie, sind die größten Hemmnisse für Frauen hinsichtlich der Anforderungen der globalen Arbeitswelt?
Pia Bohlen-Mayen: Globalisierung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass "Job und Karriere" in vielen Branchen einen deutlich höheren persönlichen Einsatz erforderte als früher. Dazu zählt vor allem Flexibilität, also die Bereitschaft, sich schnell an zeitlich, räumlich oder andere situationsbedingte wandelnde Arbeitsbedingungen anzupassen, z.B. viel zu reisen und sich laufend in neue Technologien einzuarbeiten.
Flexibilität kostet aber Kraft und man benötigt viel Fokus um allzeit bereit für den Wandel zu sein. Wäre die Rollenteilung bei den familiären Zuständigkeiten bei 50:50, so stelle ich mir vor, dass Männer auch weniger flexibel wären als sie es jetzt mit dem "Rücken frei" sein können. Bei Frauen hat außerdem in den letzten Jahren verstärkt der Trend zur Infragestellung herkömmlicher Erfolgsdefinitionen stattgefunden. Sie wollen Erfolg, aber nicht um jeden Preis. Das muss beachtet werden, wenn man die Ressource Frau dauerhaft einplant.

AVIVA-Berlin: Zu den in der Studie identifizierten Handlungsfeldern hinsichtlich des Arbeitsumfeldes zählen unter anderem zunehmende Flexibilität, stärkere Verflechtung der Weltwirtschaft und die Nutzung neuer Technologien.
Die Studienergebnisse zeigen hier eklatante Unterschiede, denn Männer und Frauen setzen diesbezüglich unterschiedliche Prioritäten. 72 Prozent der Männer, aber nur 60 Prozent der Frauen sind dazu bereit, neue Technologien zu erlernen und anzuwenden. Warum, denken Sie, nehmen die Frauen die Chancen, die sich ihnen bieten, nicht ausreichend wahr?

Pia Bohlen-Mayen: Zum Ergebnis würde ich an der Stelle sagen, dass 60 % für die Frauen ein gutes Ergebnis sind, vergleicht man diesen Vergleichswert mit der Belegung von technischen Studienfächern. Wir sollten nicht versuchen, Frauen und Männer mit demselben Maß zu messen und eine Art Basis-Index für Managementskills zu schaffen! Gender Diversity bedeutet, mit dem Unterschied zwischen Geschlechtern zu leben und davon zu profitieren.
Die Wirtschaft benötigt mehr als Technik-Affinität, sondern einen kundigen Umgang mit Prozessen, nicht deren Übertechnisierung.
In unseren Projekten erlebe ich oft, dass Männer technische Funktionen überbewerten und Frauen eher auf die damit verbundenen Prozesse achten. Wir haben mal einen Projektleiter beschäftigt, der mit Sicherheit zu den 72 Prozent gehörte, er experimentierte am liebsten mit Projektmanagement-Software. Die Projekte betreute derweil die Kollegin mit Excel und regelmäßigen Reports verfasst in Word. Was ist besser?

AVIVA-Berlin: Wie viele Sprachen beherrschen Sie und was war Ihre größte berufliche Herausforderung?
Pia Bohlen-Mayen: Derzeit kommuniziere ich am ehesten in Deutsch und Englisch, weil dies seit Jahren unsere Projektsprachen sind. Gelernt habe ich daneben noch Spanisch, Französisch und etwas Italienisch, leider sind diese Kenntnisse inzwischen etwas verstaubt.
Die größte Herausforderung: Da befinde ich mich gerade mitten drin.
Es ist der Versuch, meinen Kindern, meinem Mann und mir selbst ein Leben im "Wohlstand" zu ermöglichen. Wohlstand bemesse ich nicht nur in wirtschaftlichen Einheiten, sondern dazu zählen Zeit und die Fähigkeit, das Leben zu leben und zu lernen. Worklife Balance nennt man das wohl auch – das Streben danach ist großer Luxus und gleichzeitig eine echte Herausforderung. Denn während in anderen Ländern die Menschen verhungern, machen sich viele Menschen in meiner Umgebung durch Arbeit kaputt.

AVIVA-Berlin: Stichwort: Frauen und Macht. Was fällt Ihnen dazu ein?
Pia Bohlen-Mayen: Frauen haben Macht, mehr Macht als sie glauben. Es geht darum, sie zu erkennen und richtig einzusetzen, in Zusammenarbeit mit Männern. Da die Kluft zwischen den Geschlechtern leider noch zu ausgeprägt ist (man schaue sich nur die Medien an, dann sieht man, dass Frauen und Männer in zwei verschiedenen Subkulturen leben), brauchen wir noch immer Frauenräume, wo zur Entwicklung der Ressource "Frau" mit Frauenmaß dort angesetzt wird, wo wir stehen: Mit der fast alleinigen Verantwortung für Familie und Kinder. Diese Verantwortung hemmt Frauen, wo immer sie im Leben stehen, auch wenn sie gar keine Kinder haben. Daher können sich Frauen bei uns in der Gesellschaft nicht direkt mit Männern vergleichen und männliche Erfolgsmethoden nicht 1:1 kopieren. Sie benötigen weibliche Rollenvorbilder um hemmende Rollenvorbilder aufzugeben und sich dem zuzuwenden was sie erwarten könnte: die größten Chancen für Gleichberechtigung, die es jemals gab. Femity ist ein absolut praktisches Projekt, das diese Zusammenkunft der Rollenvorbilder in Form einer virtuellen Begegnungs- und Erfahrungsaustauschstätte online ermöglicht.

AVIVA-Berlin: Was sagen Sie zur aktuellen Debatte um die Rede von Alice Schwarzer bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises, in der sie sich gegen die "neuen" Feministinnen aussprach? (s. AVIVA-Beitrag)
Pia Bohlen-Mayen: Von außen betrachtet erscheint es wie Medienrummel ohne echten Tiefgang. Sollten die "neuen Feministinnen" dauerhaft einen Ansatz verfolgen, der für Frauen steht, die durch Berufstätigkeit unabhängig und selbstbestimmt leben können, so würde dies allen in dieser Gesellschaft zu Gute kommen, also auch den Männern, Kindern, Rentnern etc.. Wenn Frauen erst wirtschaftlich unabhängig sind, verändern sich Machtverhältnisse nachhaltig. Damit verschwinden viele der vom klassischen Feminismus beklagten Ungerechtigkeiten nach und nach automatisch. Welche Frau geht anschaffen oder lässt sich vom Ehemann schlagen, wenn sie frühzeitig gelernt hat, für sich selbst zu sorgen? Frauen sind vielleicht zu abhängig, aber keinesfalls dumm.

AVIVA-Berlin: Würden Sie sich für die Förderung von Gleichstellung und Diversity Management Unterstützung von Seiten der Politik oder gar (weitere) gesetzliche Vorgaben wünschen? Welche?
Pia Bohlen-Mayen: Nachdem ich 10 Jahre aktiv am Thema Gleichstellung arbeite, ist mein Fazit folgendes: Die Politik muss endlich alle Weichen auf Vereinbarkeit stellen, vom Ehegattensplitting und Absetzbarkeit von Betreuungskosten über flexible Kinderbetreuung in allen Altersschichten bis hin zur Einführung von verbindlichen Quotenregelungen, damit sich das Blatt endlich wenden kann. Anders wird es nicht funktionieren und niemand kann ernsthaft erwarten, dass die vielbeschworene Entscheidungsfreiheit die anstehenden wirtschaftlichen Probleme beseitigt.
Eine lange Reihe gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krisenherde hängt mit der mangelnden Gleichstellung zusammen: Sinkende Geburtenraten, Niedergang des Sozialsystems, Bildungsrückstand, sinkende Kaufkraft im Mittelstand - um nur einige zu nennen.
Ministerin Ursula von der Leyen hat den Zusammenhang zwischen Frauenerwerbstätigkeit, Kindern und Wirtschaft verstanden. Erste Ansätze sind erkennbar. Aber weitaus höhere Anstrengungen sind erforderlich um unseren Kindern zu ersparen, dass sie später nur noch für den Unterhalt einer kinderlosen Masse überalterter und verschuldeter Bürger zu sorgen haben.
Wir haben viele Nachbarländer als Vorbild und könnten effektive Strategien weitgehend kopieren.

AVIVA-Berlin: Sie sind Mitglied des international besetzten Kuratoriums der World Women Work. Was nehmen Sie aus der 6. World Women Work mit? Ihr Fazit?
Pia Bohlen-Mayen: Ich nehme das enttäuschende Statement "Alles bleibt anders in Deutschland" mit.
Trotz Globalisierung und bereits begonnenem Fachkräftemangel bleiben die Weichen bei uns weiter auf "Unvereinbarkeit" gestellt. Deutsche Mütter wollen wenn überhaupt, dann nur Teilzeit arbeiten, damit sind sie runter von der Karriereleiter.
Haben Frauen zu wenig Netzwerke? Liegt`s am Mutterbild? Oder an den zu unflexiblen Angeboten der Arbeitgeber? Oder scheuen Frauen den Kampf an der ebenfalls unflexiblen Betreuungsfront, wohl wissend, dass spätestens die fehlende Ganztagsschule der Karriere dann den letzten Todesstoß versetzt? Vollzeit berufstätige Mütter sind die neuen Helden.
Deutschland ist problematisch und an allen Ecken krankt es mit der Vereinbarkeit. Leider konnte die 6. World Women Work auch keine neuen Trends aus dem Hut zaubern. Wohl aber mal wieder den Diskurs stärken, Mut machende Vorbilder präsentieren und Unternehmens Role Models eine Stimme geben. Ohne Vorbilder keine Vereinbarkeit. Es sollte daher mehr dieser Veranstaltungen geben.

AVIVA-Berlin: Was möchten Sie auf den kommenden World Women Work Kongressen diskutiert wissen?
Pia Bohlen-Mayen: Ich würde gern eines baldigen Tages Zeugin sein, wie auf einer World Women Work "nur noch" über Details der Frauenkarrieren diskutiert wird, nicht mehr über die Basics.
Weitere Informationen zu Pia Bohlen-Mayen finden Sie unter: www.xbyte.de/wer/pia.php und www.xing.com/profile/Pia_BohlenMayen


Femity. Glücklich arbeiten. Erfolgreich leben.
Das Community-Portal für berufstätige Frauen:
http://www.femity.net




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Beitrag vom 27.05.2008

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