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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 08.10.2008


Interview mit Emily Atef
Anna Opel

"Das Fremde in mir", der zweite Film der jungen franko-iranischen Regisseurin Emily Atef kam am 16. Oktober 2008 in die Kinos. Das Psychodrama war bereits auf dem Festival in Cannes zu sehen und...




...räumte auf dem Oldenburger Filmfest alle Preise ab, darunter auch den begehrten Publikumspreis. Die Drehbuchautorinnen Emily Atef und Esther Bernstorff schrieben zwei Jahre an diesem Projekt, Atefs Abschlussprojekt für die dffb. Das wortkarge, dramaturgisch komplexe Oeuvre porträtiert eine Frau, die durch die Geburt ihres ersten Kindes völlig unvermittelt in eine tiefe Krise gerät.

AVIVA-Berlin: Eine Mutter, die ihr Kind nicht anlächelt, sich nicht über dessen Regungen freut, wirkt wie ein Zerrbild anthropologischer Gewissheiten. Etwas stimmt ganz entschieden nicht. Diese Seherfahrung baut sich im ersten Teil Ihres Films zu einer beklemmenden Spannung auf.
Emily Atef: Ja, das ist die Phase, die von Rebeccas Depression erzählt. Mich persönlich hat die Szene sehr bewegt, in der Rebecca das schreiende Kind beruhigen will. Unbeholfen nimmt sie den Säugling auf den Arm, ihr stehen aber nicht die Mittel zu Verfügung ihn zu trösten und man sieht ihr an, dass sie das weiß. Sie versucht nicht mal, mit dem Kind zu sprechen, wiegt es stattdessen bloß hilflos hin und her.

AVIVA-Berlin: Ging es Ihnen darum, einen blinden Fleck der Gesellschaft zu thematisieren, oder was sonst war der Anlass, eine Mutter in ihrem Versagen zu zeigen?
Emily Atef: Nein. Weder ging es uns darum, einen Film über eine Krankheit zu machen, noch war das Interesse soziologischer Natur. Ich war vielmehr auf der Suche nach einer Situation, die eine extreme Spannung in sich birgt. Und die haben wir gefunden im Kontrast zwischen den Erwartungen an den naturgegebenen Mutterinstinkt und dem Scheitern an der Aufgabe der Mutterschaft. Von der postpartalen Psychose, der Krankheit, an der Rebecca leidet, haben wir erst später, während der ausgiebigen Recherchen, erfahren. Diese Krankheit wird durch eine Empfindlichkeit gegenüber starken Hormonschwankungen ausgelöst. Wir waren insgesamt überrascht, wie tabubeladen jegliches Leiden an Mutterschaft in unserer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft noch ist. Die Betroffenen erleben ihren Mangel an Gefühl als etwas, das sie unter keinen Umständen mitteilen dürfen. Die Scham ist erdrückend, viele sind selbstmordgefährdet. Wie ich bei Vorführungen im Ausland gemerkt habe, kann das kulturell unterschiedliche Hintergründe haben. In Deutschland kratzt die unvollkommene Mutter an einem ideologisierten, heroischen Mutterbild. In Polen dagegen liegen die Gründe im tief empfundenen Katholizismus. Im Hinblick auf die aufklärende Wirkung des Films war es uns jedenfalls wichtig, eine selbstbewusste starke Frau einzuführen, die unvermittelt an dieser Depression erkrankt.

AVIVA-Berlin: Am Tiefpunkt ihrer Krise verlangt Rebecca nach dem Beistand ihrer Mutter, zu der sie ein unbedingtes Vertrauensverhältnis hat. Sie wollten den Film offenbar tröstlich enden lassen?
Emily Atef: Unbedingt, denn die Krankheit ist in jedem Fall heilbar und nach all den Gesprächen, fühlten wir uns in der Verantwortung, das dem Publikum mitzuteilen. Ich empfinde es auch nicht per se als Qualität, in einer dramatischen Handlung dorthin zu gehen, wo kein Gras mehr wächst.
Als sie fürchten muss, ihrem Kind gefährlich zu werden, geht Rebecca in den Wald, um sich der Erde anzuvertrauen und zu sterben. Wenn sie nach der extremen Krise nach ihrer Mutter verlangt, ist das wie der erste Schrei eines Kindes. Als die Mutter sich ihr zuwendet, hofft man, dass alles gut werden wird. Es war uns wichtig, den schwierigen aber hoffnungsvollen Weg einer Heilung zu zeigen.

© Emily Atef
AVIVA-Berlin: Jedes Wort wirkt in Ihrem Film wie aus dem Schweigen herausgemeißelt. Erst allmählich löst sich die schwer erträgliche Spannung, die mit der Sprachlosigkeit einhergeht.
Emily Atef: Manche ZuschauerInnen haben es als Zumutung erlebt, der Depression ohne jede Erklärung so ausgesetzt zu sein. Mein Anspruch an Kino ist es aber, eine Filmsprache zu erschaffen, die dem Publikum Raum lässt, selbst zu erleben, was passiert. Ich will ihm nicht alles erklären und abnehmen. Das betrifft übrigens auch den Schnitt. Am liebsten würde ich Szenen ungeschnitten erzählen, um die emotionale Spannung einer Situation vollständig auszuloten. Manche empfindet das vielleicht als karg, für mich liegt gerade in der Möglichkeit der Reduktion der Reichtum filmischen Erzählens.

AVIVA-Berlin: Beeindruckend ist auch das verhaltene Spiel der DarstellerInnen. Das trifft vielleicht besonders auf die Hauptdarstellerin zu, die für ihre Rolle mehrfach ausgezeichnet wurde. Wie kam es dazu, dass Sie Ihren Film ausschließlich mit TheaterschauspielerInnen besetzt haben?
Emily Atef: Theaterschauspieler haben in der Regel Ausdauer und sie sind eine Arbeitsweise gewohnt, an der mir viel liegt: ich probe gern. Die Hauptdarstellerin Susanne Wolff hatte bis zu diesem Projekt wenig Erfahrung mit Film. Ich wusste aber, dass sie die Stärke hat, diese schwierige Rolle durch den Film zu tragen. Dass sie am Ende glaubhaft die liebende Mutter sein konnte, nachdem sie vorher durch die Hölle gegangen war. Es war allerdings nicht ganz leicht, meine Wunschbesetzung gegenüber den Koproduktionspartnern durchzusetzen.

AVIVA-Berlin: Wovon handelt der neue Film "Töte mich", an dem Sie gerade schreiben?
Emily Atef: Bei "Töte mich", das ein deutsch–französisches Roadmovie sein wird, geht es um ein dreizehnjähriges Mädchen, das sterben will, aber nicht die Kraft hat, sich selbst von der Klippe zu stürzen. Sie trifft auf einem entflohenen Häftling, der schon einmal getötet hat, mit dem sie ein Tauschgeschäft machen will, eine merkwürdige Art Freundschaft entsteht. Der Film soll nächsten Sommer gedreht werden.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview!

Lesen Sie auch unsere Rezension zum Film "Das Fremde in mir".

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Beitrag vom 08.10.2008

AVIVA-Redaktion