Interview mit Ruth Jacoby - schwedische Botschafterin in Berlin - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 03.06.2008


Interview mit Ruth Jacoby - schwedische Botschafterin in Berlin
Stefanie Denkert

AVIVA-Berlin sprach mit Ihrer Exzellenz Ruth Jacoby auf der World Women Work 2008 über Gleichstellungspolitik in Schweden und Deutschland sowie über ihre jüdischen Wurzeln in Berlin.




Ruth Jacoby (geb. 1949) ist seit September 2006 als schwedische Botschafterin in Berlin. Nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsgeschichte, Philosophie und Geschichte an der Universität Uppsala war sie beispielsweise als Ministerialdirektorin für Internationale Entwicklungszusammenarbeit des schwedischen Außenministeriums und als Ständige Vertretung bei den Vereinten Nationen für Schweden in New York tätig. Ihr Vater, Erich H. Jacoby, flüchtete 1933 vor den Nazis aus Berlin und nahm 1956 die schwedische Staatsbürgerschaft an. Er selbst kehrte nie wieder nach Deutschland zurück, schickte jedoch seine Tochter Ruth während seiner Tätigkeit für die UNO in Rom auf die deutsche Schule, wo sie Deutsch sprechen lernte.
Ruth Jacoby ist verheiratet mit Björn Meidal und hat zwei Söhne (geb. 1976 und 1979).

AVIVA-Berlin: Beim Global Gender Gap Report 2007 kam Schweden erneut auf den ersten Platz, d.h. dort ist die Gleichstellung der Geschlechter weltweit am weitesten fortgeschritten. Deutschland belegte lediglich den siebten Platz. Welche Maßnahmen und Gesetze gibt es in Schweden, die die Gleichstellung fördern? Was kann sich Deutschland ´abschauen´?
Ruth Jacoby: Das Wichtigste sind die Rahmenbedingungen, die im legalen Bereich geschaffen werden müssen. Gleichstellung muss gesetzlich gegeben sein, auch was Erbe, Scheidung, Vermögen usw. angeht. In Schweden wird darauf geachtet, dass es keine Unterschiede aufgrund des Geschlechts gibt. Wir haben sogar einen Ombudsmann, beziehungsweise zur Zeit eine ´Ombudsmännin´, an die sich jemand wenden kann, wenn er/sie sich von der Praxis oder vom Gesetz diskriminiert fühlt. Und das funktioniert ziemlich gut. Theoretisch, also laut Gesetz, sind in Deutschland Mann und Frau auch gleichberechtigt, doch in der Praxis gibt es noch immer ein paar Probleme. Ich finde die Entwicklung der deutschen Familienpolitik geht in die richtige Richtung, denn endlich übernehmen beide Elternteile für ihre Kinder die Verantwortung.

AVIVA-Berlin: Das Elternzeitmodell, das Familienministerin Ursula von Leyen eingeführt hat, wurde von den Eltern relativ gut aufgenommen, d.h. wir haben keinen Geburtenrückgang mehr und 2007 haben ca. 10 % der Väter Elternzeit genommen. Wie sieht das in Schweden aus?
Ruth Jacoby: In Schweden streben wir seit Ende der 1970er Jahre danach, dass nicht mehr die Mutter allein für die Erziehung verantwortlich ist. In Deutschland ist das Elternzeitmodell erst seit dem 1. Januar 2007 eingeführt, dafür ist eine Männerquote von 10% gut. In Schweden nehmen ca. 80 – 90% der Männer ihre Elternzeit in Anspruch, aber sie nehmen nur ungefähr 20% der gesamten zur Verfügung stehenden Elternzeit. Das ist leider nicht einmal die Hälfte - und das nach fast 30 Jahren! Wir haben also noch viel zu tun, aber es gibt Fortschritte. Im öffentlichen Dienst ist es undenkbar, dass ein Mann ein Kind bekommt und nicht 3 bis 5 Monate Elternzeit nimmt. Das ist mittlerweile ´politisch korrekt´ und wird auch gerne von den Vätern getan. Doch in der Privatwirtschaft nehmen weniger Väter ihre Elternzeit, und zudem sind es eher die jüngeren Männer, die das tun.

AVIVA-Berlin: Gibt es in Schweden auch ein ´Ehegattensplitting´?
Ruth Jacoby: ´Ehegattensplitting´ ist ein wichtiger Punkt, in dem sich Deutschland und Schweden unterscheiden. Seit über 30 Jahren zahlt jeder Mensch in Schweden für sich seine Steuer. Die Einkommen werden auch dann nicht zusammengetan wenn zwei Menschen verheiratet sind. Und wenn Kinder vorhanden sind, bekommen die Eltern ein Kindergeld. In Deutschland muss eine Ehefrau sehr viel verdienen, damit es sich überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Dann müssen die berufstätigen Eltern womöglich noch die Kita bezahlen, so dass die Ehefrau am einfachsten gleich Zuhause bleibt. In Schweden, dagegen, wird das ´Zuhause bleiben mit Kindern´ nicht steuermäßig unterstützt und der Anreiz für Frauen zu arbeiten ist damit sehr groß. Es ist auch schwierig für eine Familie von einem Gehalt zu leben. Die Teilnahme schwedischer Frauen am Arbeitsmarkt deshalb ist bei 80%.

AVIVA-Berlin: Sie sind die erste Frau im höchsten diplomatischen Amt für Schweden in Deutschland. Sind Sie jemals in dieser Stellung diskriminiert worden oder spielte es für Ihre Gegenüber keine Rolle, dass Sie eine Frau sind?
Ruth Jacoby: Nein. Falls doch, dann habe ich es nicht gemerkt. (lacht)

AVIVA-Berlin: Sie selbst haben eine großartige Karriere gemacht, sind verheiratet und haben zwei Söhne. Was für persönliche Tipps können Sie anderen Frauen geben, damit sie Familie und Beruf vereinbaren können? Was sollten Paare beachten, sprich: wie kann frau/man eine gleichberechtigte Liebesbeziehung führen?
Ruth Jacoby: Man muss sich natürlich den richtigen Mann suchen. (lacht) Ich glaube, es ist an der Zeit, dass sich die Männer anpassen und ändern. Unsere Jungens müssen auch Menschen werden und nicht nur Männer sein.

AVIVA-Berlin: Viele Männer sprechen gerne von Gleichberechtigung, aber wenn der Abwasch fällig ist, dann verfallen sie in alte Rollenmuster…
Ruth Jacoby: Jede/r sollte das tun, was er/ sie am besten kann. Das mag manchmal auch alten Rollenklischees entsprechen, aber das ist OK, wenn beide versuchen alles zur Hälfte zu teilen. Mein Mann kann nicht nähen und freut sich, wenn ich ihm einen Knopf annähe. Er hat das nie gelernt. Dafür macht er ganz wunderbar das Katzenklo sauber. Als wir uns kennen lernten konnte ich besser kochen, aber er hat dazu gelernt und den Bereich übernommen.

AVIVA-Berlin: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Ruth Jacoby: Das ist nicht mein Spezialgebiet, aber ich habe immer Gleichberechtigung gelebt. Dabei habe ich das Frausein nicht aufgegeben, beispielsweise bei meiner Arbeit im öffentlichen Dienst trage ich weibliche Kleidung und bin dort früher mit Zöpfen unterwegs gewesen. Ich bin einfach ich selbst!

AVIVA-Berlin: Ihr Vater, Erich H. Jacoby, ist gebürtiger Berliner. Was bedeutet diese Stadt also ganz persönlich für Sie?
Ruth Jacoby: Es ist natürlich sehr, sehr spannend für mich hier zu sein. Ich war schon mal für einen kurzen Besuch hier, aber so richtig kenne ich Berlin erst, seit ich als Botschafterin hier wohne. Mein Vater hat das leider nicht mehr miterlebt, er starb vor 30 Jahren.

AVIVA-Berlin: Sie haben im Interview mit der Jüdischen Zeitung (April 2007) ihren Vater als "bewusst Jude, aber völlig assimiliert. Überhaupt nicht orthodox, gar nicht religiös" beschrieben. Wie leben Sie ihre jüdische Identität? Haben Sie Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Berlin?
Ruth Jacoby: Ja, ich habe Kontakt zur Gemeinde. Meine Mutter war übrigens auch Jüdin, ich bin jedoch nicht religiös erzogen worden und kann leider auch nicht hebräisch sprechen. Dennoch habe ich sehr wohl ein jüdisches Bewusstsein. Da mein Mann nichtjüdisch ist, haben wir einen Deal gemacht und unsere Söhne selbst entscheiden lassen, welcher Religion sie angehören möchten. Mein jüngerer Sohn hat in den Staaten sein Judentum entdeckt.

AVIVA-Berlin: In Berlin wollten Sie auch mehr über Ihre Familie väterlicherseits herausfinden wollen. Ist Ihnen das gelungen?
Ruth Jacoby: Ich bin noch dabei, aber es bleibt leider wenig Zeit für die Ahnenforschung. Zuletzt habe ich herausgefunden, dass der Vater meiner Mutter 1908 sein Rabbiner-Examen in der Tucholskystraße gemacht hat.

AVIVA-Berlin: Was möchten Sie als Botschafterin für Schweden noch erreichen?
Ruth Jacoby: Oh, das ist eine schwierige Frage. Das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern ist ausgezeichnet und es ist ja eine unmögliche Aufgabe als einzelne Person Schweden in Deutschland zu repräsentieren. Es gibt so viel was Bedeutung hat: Musik, Theater, Wirtschaft und Unternehmen wie IKEA oder Hennes & Mauritz… (lacht). Die spielen im deutschen Alltag ja eine viel größere Rolle als die Botschaft. Dennoch freue ich mich, wenn ich dazu beitragen kann, dass die Kontakte zwischen Schweden und Deutschland noch viel natürlicher, offener und intensiver laufen. Ich habe auch gerne an der ´World Women Work 2008´ teilgenommen, da Schweden auf dem Gebiet der Gleichstellung sehr gut ist und es macht Spaß mit Deutschen darüber zu diskutieren und sich auszutauschen. Beide können noch gegenseitig voneinander lernen.

AVIVA-Berlin: Das ist doch ein schönes Schlusswort! Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!

Weitere Infos:

Die Schwedische Botschaft: www.swedenabroad.com


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Beitrag vom 03.06.2008

AVIVA-Redaktion