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Beitrag vom 02.12.2011
Interview mit Katalin Gödrös
Susann Reck
Vor der grandios-düsteren Kulisse eines Tessiner Tales hat die Regisseurin Katalin Gödrös ihren zweiten, meisterhaft inszenierten Arthouse-Spielfilm "songs of love and hate" gedreht.
Songs of love and hate besticht unter anderem durch seine hervorragende Ensembleleistung: Sarah Horvath als sechszehnjährige Lili, ihre Filmschwester Roberta, gespielt von Mira Elisa Goeres, Jeroen Willems als Vater Rico, Ursina Lardi als Mutter und Joel Basman als Lilis Freund.
Zur Handlung: Als Lilis Sexualität erwacht, muss sich ihr Vater, der Winzer Rico, eingestehen, dass er seine Tochter begehrt. Er meidet Lili von nun an, was wiederum zu familiären Spannungen führt. Lilis Mutter und auch ihre Schwester Roberta spüren die Veränderung, die sie jedoch nicht benennen können.
Lili selbst reagiert zunehmend aggressiv und machtbesessen. Sie entwickelt sich im Verlauf der Spielhandlung zur femme fatale die nicht einmal davor zurückschreckt, jemanden umzubringen.
AVIVA-Berlin: Was hat Dich motiviert diese Geschichte zu erzählen?
Katalin Gödrös: Zunächst gibt es da meine Faszination für das Abgründige.
Dazu kamen Beobachtungen und Statistiken, die ich gelesen habe. Die zunehmende Aggression junger Frauen wurde da eigentlich immer durch sexuellen Missbrauch erklärt. Auch in Filmen und anderen Medien werden Täterinnen oft vereinfacht psychologisiert. Gerade Borderlinerinnen werden gerne so dargestellt.
Für mich nun stellte sich folgende Frage:
Was ist wenn es kein Trauma gibt? Vielleicht sind die Auslöser nur kleine Verschiebungen, Unruhefelder in der Familie? Oder vielleicht gibt es sogar das Böse, das Menschen antreibt?
Mit großem Interesse habe ich den Prozess der beiden zehnjährigen Jungs verfolgt, die für den brutalen Mord an dem zweijährigen James Bulger verantwortlich waren. Um diese schreckliche Tat zu erklären, suchten die Verteidiger vergeblich nach eindeutigen Vernachlässigungen oder Missbrauch in deren Kindheiten.
Bestimmend für das Schreiben war auch meine Lust, mit der Filmsprache des suspense ein Familiendrama zu erzählen, einen alltäglichen Horror, ohne die böse Kraft, die von Außen kommt, zu benutzen.
AVIVA-Berlin: Neben der Hauptfigur - der 16 Jahre alten Lili die Dein Anliegen fantastisch umgesetzt hat- gibt es noch eine weitere, zentrale Figur, ihren Vater Rico.
Die beiden kommunizieren fast ausschließlich nonverbal und schaukeln sich in ihren Aktionen und Reaktionen immer weiter hoch. Die Wechselwirkung ihres Verhaltens bestimmt maßgeblich den Film.
Was interessiert Dich an dieser Art von Kommunikation?
Katalin Gödrös: Kommunikation in Familien ist über weite Strecken nonverbal. Das, was man sagt, entspricht selten dem was man tut oder dem was man fühlt. Auch wenn man glaubt, das Richtige, die Wahrheit zu sagen.
Was aber das Verhalten des Vaters besonders ausmacht ist, dass er etwas fühlt, das er nicht aussprechen kann. Sein Begehren, auch wenn er es als guter Vater unterdrückt, kann er niemandem eingestehen. Sich selber nicht, geschweige denn seiner Frau, die ja als Mutter der Begehrten und als Geliebte des Begehrenden doppelt verletzt wird.
AVIVA-Berlin: Und Lili?
Katalin Gödrös: Bei Lilli ist es die Verwirrung über die Ablehnung des Vaters, die sie zur grausamen Spielerin macht. Das Wissen, dass sie durch ihre unabwendbare, körperliche Entwicklung die innige Nähe in der familiären Bindung für immer zerstört und die Verzweiflung darüber, treiben sie dazu. Der giftige Stachel der erwachenden Sexualität wirkt und keiner kann sich davor schützen.
Als Filmer kann man nun die nonverbale Sprache in den Vordergrund rücken und die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf das lenken, was man nicht ausgesprochen haben will....
AVIVA-Berlin: ...was Dir hervorragend gelungen ist. In Deinem Film bleibt ja alles in der Schwebe, nichts wird erklärt. Deine Figuren bewegen sich fast traumtänzerisch in Minenfeldern und auch Gewalt passiert wie nebenbei. In diesem Sinne geht Deine Geschichte auch über ein coming-out-of-age- Drama hinaus, oder?
Katalin Gödrös: Ja, das stimmt. Ich habe den Film eher als ein Duell zwischen Vater und Tochter gesehen und nicht sosehr als Pubertätsdrama. Die Zeichen, die Rico seiner Tochter setzt, sind fein aber definitiv.
AVIVA-Berlin: Und sie bewirken...was?
Katalin Gödrös: Ausgestoßen aus der familiären Umarmung, ausgestattet mit einer enormen kindlichen Grausamkeit und einer ausgeprägten weiblichen Lust, tut Lili alles, um an Grenzen zu stoßen und zu spüren, wie weit sie gehen kann. Aber keiner gibt ihr Widerstand. Ihr Vater nicht aus einem diffusen Gefühl der Schuld, ihr Freund nicht, weil er es nicht kann und ihre Mutter nicht, weil sie noch nicht glauben will, was sie spürt.
Es gibt in dieser Geschichte also keine klare Moral, aber es gibt durchaus Fragen, die mich treiben. Ich biete ein paar Antworten an, aber ich denke nicht, dass es die eine Wahrheit gibt.
AVIVA-Berlin: Songs of love and hate ist ja nicht Dein erster Film. Würdest Du ihn als Weiterentwicklung der Vorhergegangenen sehen oder wolltest Du etwas ganz und gar Neues ausprobieren?
Katalin Gödrös: Ich würde sagen, Ersteres. Es geht mir wohl immer um innere Welten, Erwachsenwerden und die Verletzungen, die damit einhergehen. Aber bei Songs geht es weniger um eine Person, als um das ganze Beziehungsgebilde Familie.
Ein weiteres verbindendes Element zu meinen frühen Filmen ist es, die Bild- und Tonsprache eines Genres - hier der suspense von Thriller und Horror- in ein Kammerspiel einfließen zu lassen. Also mehr über die Gefühlsebene zu erzählen als tatsächlich Dinge auszusprechen.
Eine Freundin meinte, man würde meine Filme immer daran erkennen, dass dunkelhaarige Mädchen in idyllischen Landschaften Kleintiere quälen würden...
AVIVA-Berlin: ...ja das ist mir auch schon aufgefallen... und dass Du generell großen Wert auf die visuelle Umsetzung Deiner Filme legst. Für diesen hattest Du aber nur 25 Drehtage. Wie war das? Und wie wichtig war vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit mit Deinem Kameramann Henner Besuch?
Katalin Gödrös: Henner kam aus verschiedenen Gründen relativ spät dazu. Da war vieles stilistisch schon festgelegt. Sehr wichtig für mich war die Vorbereitung mit der Ausstatterin Su Erdt.
Unsere Zusammenarbeit war prägend für den Look. Henner brachte aber seine unglaubliche Fähigkeit für die intuitive Handkamera mit.
Wir haben uns ja auch für das breite Format entschieden (2,35:1), um Blicke und Beziehungen zwischen den Figuren im Raum erzählen zu können, ohne hoch auflösen zu müssen. Auch aus Zeitgründen. In diesem Zusammenhang waren aber auch wieder die Filmräume von Su Erdt entscheidend, die Bildtiefen und Durchblicke erst ermöglicht haben.
AVIVA-Berlin: Auffallend sind auch die zum Teil großartigen Naturaufnahmen, die wie mit der Geschichte verwoben zu sein scheinen. Man kann schon fast von Symbolsprache sprechen.
War das Absicht und wie hat es sich dahin entwickelt?
Katalin Gödrös: Die Kamera sollte beim Drehen das fünfte Mitglied der Filmfamilie sein, die ihre eigene Geschichte erzählt, nämlich die des Ungesagten.
Auch aus Zeitgründen, und weil man mit Jugendlichen nicht unendlich drehen kann, entstand dann die Idee mit der second unit für die Natur-Zwischenbilder. Die gab uns die Möglichkeit, mehr Raum, mehr Natur und Zwischentöne zu erzählen.
AVIVA-Berlin: Also alles eher spontan?
Katalin Gödrös: Nein, nein, eine Symbolsprache zu entwickeln gehörte natürlich schon zum Konzept des Films. Absolut. Statt die zauberhafte Landschaft des Tessins zu zeigen, man erkennt sie sowieso, haben wir nach Bildern gesucht, die atmosphärisch und inhaltlich mit dem Thema des Films einhergehen, die Wurzelbilder, der Wald, der Nebel.
Sie sollten einem aber auch das Gefühl vermitteln, dass es eine Welt außerhalb der vier Wände gibt in denen das Unheimliche so fest verankert ist.
Der Film sollte den Zuschauer an die Hand nehmen und ihn in einen dunklen Wald führen, in dem das Böse und Unheimliche keine Erklärung braucht, weil es mystisch für sich steht.
Manchmal wurden wir aber auch durch den Zufall beschenkt, zum Beispiel mit der Schnecke im Regen. Eigentlich wollten wir ja Eidechsen, aber an dem Tag goss es in Strömen...
AVIVA-Berlin: Zu Deiner Arbeitsweise mit den SchauspielerInnen. Dein Film ist ja ein Kammerspiel und tatsächlich wirken die Mitglieder Deiner Film-Familie wie ein eingespieltes Team....
Katalin Gödrös: Ja, also mal abgesehen davon, dass man erstmal eine so junge Schauspielerin finden muss, (Sarah war beim Dreh knappe 16), die bereit und fähig ist, so etwas zu spielen, war es mir sehr wichtig herauszufinden, wie sich die Familienmitglieder untereinander verhalten. Deshalb habe ich mich in der Vorbereitung mit der Filmfamilie aufs Land zurückgezogen. Dabei ging es in erster Linie nicht ums Proben, sondern darum, dass die vier sich selbstverständlich zusammen bewegen, sich vertraut werden. Dass sie erst eins werden, bevor man sie vor der Kamera wieder zerbricht.
AVIVA-Berlin: Jetzt kommt schon meine letzte Frage zum Film: würdest Du uns den Titel bitte näher erläutern?
Katalin Gödrös: Der ist geklaut, ein Albumtitel von Leonard Cohen. Für mich eine väterliche Stimme, die trotzdem erotisch ist. Und schlussendlich: sind Lieder über Liebe und Hass nicht das, was eine Familie ausmacht?
AVIVA-Berlin: Und worum geht es in Deinem nächsten Filmprojekt? Geht es dabei wieder um familiäre Abgründe?
Katalin Gödrös: Das verrate ich noch nicht - aber ich habe zwei Projekte, an denen ich arbeite. Das eine ist eine Geistergeschichte, das andere eine Romanadaption.
AVIVA-Berlin: Und wie siehst Du die Chancen auf eine Finanzierung? Nach Songs of love and hate ist es doch sicher leichter, den nächsten Film zu finanzieren?
Katalin Gödrös: Das kann ich nicht so einfach beantworten. Einerseits gibt es viel mehr Filme die im Jahr herauskommen. Das liegt an der vereinfachten und billigeren Herstellung. Aber es gibt immer weniger Kinopublikum für Arthouse und Programmkino. Somit werden die herkömmlichen Wege der Finanzierung, die sich nur auf eine zahlendes Kinopublikum beziehen immer schwieriger.
Andererseits gibt es aber ein Publikum für Arthouse und Programmkino.
Auf den vielen Festivals zum Beispiel auf denen mein Film lief, waren die Vorstellungen meistens sehr gut besucht. Der Film wird heimlich kopiert, runtergeladen und GEGUCKT.
Wie man nun die beiden Dinge richtig zusammenbringt - keine Ahnung.
Generell gilt, dass der erste Film meistens einfach zu finanzieren ist, der zweite schwieriger, der dritte schier unmöglich. Danach soll es wieder einfacher werden....
AVIVA-Berlin: Und der Nächste ist Dein Dritter....
Katalin Gödrös: Ja, der dritte Film scheint auch so eine Art Glasdecke für Regisseurinnen zu sein. Es gibt kaum Frauen, von Ausnahmen abgesehen, die in dieser Liga mitspielen dürfen. Hier wird auch im Fernsehen stark gedeckelt. Woran das liegt weiß ich nicht. Oder gibt es tatsächlich noch Menschen, die behaupten wollen, Frauen könnten kein suspense und kein action. erzählen?
Katalin Gödrös wurde 1969 in Zürich geboren. Von 1992-96 studierte sie an der Filmakademie Budapest mit dem Schwerpunkt Produktion. Seitdem hat sie diverse Kurzfilme produziert, mehrere Spielfilme mitentwickelt und Drehbücher geschrieben.
2002 erschien ihr erster abendfüllender Spielfilm, MUTANTEN (Drehbuch und Regie), zwei Jahre später LOUS WASCHSALON (Regie), eine Auftragsproduktion für das Schweizer Fernsehen.
Songs of love and hate
Schweiz 2010
Regie: Katalin Gödrös
Kamera: Henner Besuch
SchauspielerInnen: Sarah Horvath, Mira Elisa Goeres, Jeroen Willems, Ursina Lardi, Joel Basman u.a
Verleih: missingFILMs
Lauflänge: 89 Minuten
Weitere Informationen: www.missingfilms.de
Official trailer:
www.youtube.com