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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 05.09.2008


MIA. im Interview
Silvy Pommerenke

Am 05.09.2008 erschien das neue Album "Willkommen im Club" von MIA. AVIVA-Berlin führte im Sommer diesbezüglich ein Interview mit dem sympathischen Quintett, das sich seit einigen Jahren...




...erfolgreich im deutschen Popmusikgeschäft tummelt. Die Location des Interviews war wieder einmal mit Bedacht ausgewählt: Eine klitzekleine Garage im Prenzlauer Berg war für die JournalistInnen in Form eines kuscheligen Privatclubs hergerichtet, der an die Zeiten von Erdbeerbowle, heimlich gerauchten Zigaretten und ersten Küssen erinnerte.

AVIVA-Berlin: Die neue CD heißt "Willkommen im Club". Geht es euch dabei um einen speziellen Club, zu dem ihr die Leute zum Tanzen einladen wollt, oder meint ihr das im übertragenen Sinn, in Anlehnung an die Redewendung "Willkommen im Club"?
Andy: Der Albumtitel passt natürlich wunderbar in unsere Albumtiteltradition, denn auch beim letzten Album "Zirkus" gab es eine Doppeldeutigkeit. Bei der Redewendung "Willkommen im Club" geht es darum, dass Menschen etwas Verbindendes haben. Das ist dann meistens der Punkt, wo man sagt: "Willkommen im Club." Natürlich spielt aber auch das Tanzen eine Rolle, denn wir wollten gerne etwas tanzbareres machen und uns mehr darauf fokussieren. Außerdem hatten wir an der Wand des Studios einen Zettel hängen, auf dem stand "Komm, lass uns tanzen". Letzten Endes hat das natürlich was mit Club zu tun. Der Club im Allgemeinen ist ja auch immer etwas, was mindestens zwei Menschen mit einschließt. Uns war aber auch wichtig, durch das "Willkommen" zu sagen, dass wir nicht diesen elitären Club meinen, sondern den Club, der für jeden offen ist.

AVIVA-Berlin: In der Beschreibung zur neuen CD heißt es, dass niemand perfekt ist, weder Menschen noch Beziehungen, auch kein/e Musiker/in. Dies trifft auf eure Platte allerdings überhaupt nicht zu, denn die ist perfekt geraten. Es gibt eine deutliche musikalische Entwicklung, denn während das erste Album noch ein wenig "trashig" gewesen ist – im positiven Sinne -, sind nun die Komposition deutlich ausgefeilter und Miezes Stimme klingt immer umfangreicher. Mieze, nimmst du Gesangsunterricht?
Mieze: Ich glaube, der beste Gesangsunterricht ist das Singen, und mir geht es da wohl nicht anders, als den Jungs an ihren Instrumenten. Wir alle werden besser und lernen uns besser auszudrücken. Es geht bei der Stimme schließlich auch darum, einen Inhalt nach außen zu transportieren, mit der Stimme eine Geschichte zu erzählen, und sie als Instrument zu benutzen.
Andy: Wir haben das auf der Platte deutlicher als vorher ausgedrückt. Es gibt ja eine Komposition und eine Produktion, es gibt aber vor allem auch eine Interpretation. Wir haben bei der ersten Platte unsere eigenen Stücke gar nicht interpretiert, sondern einfach nur gespielt. Mehr und mehr macht man sich auch Gedanken darüber, was man mit einem Stück will bzw. wie es wirken soll. Da ist ehrlich gesagt die Referenz nicht der Hörer, sondern wir: was wollen wir von dem Stück? Wir haben uns früher nie so eingehend mit dieser Thematik befasst, weil man letzten Endes einen Akkord auf einfache Art, aber auch auf tausend verschiedene Arten spielen kann - auch wenn es die gleichen Noten sind. Diese Sachen sind uns viel klarer als vorher, aber wir sind jetzt erst an diesem Punkt angekommen und hätten das vorher gar nicht machen können.
Mieze: Erst entstehen die Stücke, dann gibt es Remixe davon. Aber es ist zum Teil so, dass es eine Skizze von den Songs gibt, die sich schon während des Schreibens verändert. Sie wird also zu einer Art eigenem Remix. Es gibt auch Songs, die auf dem Album weit von der ursprünglichen Skizze entfernt sind und sich jetzt deutlich verbessert haben. Da wurde das Maximale an Song und Message herausgeholt, und jeder Ton, jedes Geräusch dient dazu, das Lied den Menschen noch näher zu bringen. Wir haben sehr detailverliebt gearbeitet, um Raum für die verschiedenen Stücke und Stimmen zu schaffen und haben tagelang daran gefeilt und experimentiert.

AVIVA-Berlin: Wie lange habt ihr an dem Album gesessen?
Mieze: Im Grunde genommen haben wir nach "Zirkus" nicht aufgehört zu schreiben. Es war ein fließender Prozess, aber trotzdem ist die Platte recht frisch. Wir haben vor einer Woche aufgehört aufzunehmen, und dann gleich am nächsten Tag angefangen zu mastern. Sie ist also echt noch warm!

AVIVA-Berlin: Ihr spielt seit elf Jahren zusammen. Außer Hannes Schulze, der 2001 gegangen ist. Gunnar ist sozusagen der Frischling, da er "erst" seit sieben Jahren dabei ist. Hättet ihr euch damals ansatzweise vorstellen können, dass ihr an dem Punkt angelangt, an dem ihr heute steht?
Ingo: Für mich persönlich ist es so, dass ich ein Album immer nach seiner Komplexität beurteile, egal was ich höre. Ich finde die ersten beiden Alben gut, aber insgesamt betrachtet sind sie nicht so ganz komplex. Bei "Zirkus" war ich das erste Mal komplett zufrieden, da hatte ich keine Verbesserungsvorschläge mehr. "Zirkus" war relativ poppig, und für mich kann es immer noch ein Tick heftiger, oder sagen wir tanzbarer sein. Ich finde, das haben wir bei "Willkommen im Club" vollkommen erreicht. Für mich war es immer ein Ziel, dass alle aus der Band damit zufrieden sind, und dass es außerdem meine persönlichen Ansprüche erfüllt.

AVIVA-Berlin: Wobei sich die neue Platte kaum einordnen lässt. Zum Beispiel hört man am Schluss von "Mein Freund" völlig unvermittelt, angerissene E-Gitarren, die quasi aus dem Gesamt-Konzept ein bisschen rausfallen. Zwischendurch bekommt man das Gefühl, dass es keine Club-Platte ist, weil so viele ruhige Element drin sind, aber gibt es auch wieder super gut tanzbare Songs. Es ist von allem etwas dabei.
Andy: Wir haben früher sehr oft auf einer Platte ein Rock-Stück, ein Club-Stück und ein langsames Stück gemacht, jetzt toben wir uns stilmäßig quasi innerhalb der einzelnen Stücke aus. Trotzdem haben wir auf der Platte noch weitere Facetten ausprobiert. Wir hören einfach nicht auf rumzuspielen, und das finde ich richtig.
Mieze: Eine von Andys Visionen war, dass wir die langsame Elektrotanzrunde einführen. Apropos "Willkommen im Club" und Tanzen: Musik ist das Einzige, was dich zum Tanzen bringt, egal ob schnell oder langsam. Es ging uns darum, Tanzmusik zu machen. Mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Auch Walzer heißt tanzen und eng tanzen eben auch.
Bob: Zu deiner Ausgangsfrage, auf welcher Stufe oder Größe wir uns jetzt befinden. Wir haben uns damit früher nicht dezidiert auseinander gesetzt, wie es im Jahr 2008 konkret aussehen wird. Aber den nächstgrößeren Schritt haben wir immer provoziert, und das wollen wir auch. Wir sind damit auch noch nicht fertig.
Mieze: Es hat im Übrigen elf Jahre gebraucht, um so ein Lied, wie "Mein Freund" entstehen zu lassen. Nichts von dem, was jetzt da ist, wäre ohne "Stille Post", ohne "Hieb & Stichfest", ohne "Zirkus" möglich gewesen. Wir brauchten genau diesen Weg, den wir gegangen sind. Ich glaube jedes Album ist die richtige Herausforderung, für die jeweilige Zeit. Wir mögen uns nicht wiederholen, uns nicht langweilen und nicht irgendein Lied noch mal schreiben. Im Gegenteil, wir gucken, wie viele Facetten wir in uns selbst finden können. Jede Entwicklung, die wir musikalisch oder inhaltlich machen, machen wir auch in uns. Das finde ich enorm wichtig. Wir konnten aus ganz, ganz vielen Skizzen auswählen. Und wir haben uns mit Absicht für zwölf entschieden. Jeder Ton liegt dabei auf der Goldwaage. Aber von mir aus kann das jemand anders total easy-listening-mäßig begreifen. Das ist mir nur Recht. Wenn jemand das Fahrstuhl-Musik benennt, empfinde ich das nicht als Beleidigung.

AVIVA-Berlin: MIA. ist ein Gesamtkonzept. Ihr macht nicht einfach nur Musik, sondern ihr habt immer auch eine tolle Bühnenshow, tolle Ideen für Interviews und auch was eure Klamotten betrifft. Dieses Mal hat Mieze eine roten Lackmantel an, drei von euch Männern tragen witzige karierte Klamotten, nur Ingo nicht. Du trägst einen goldfarbenen Anzug. Was hat das zu bedeuten, dass du so aus dem karierten Rahmen fällst?
Ingo: Die Grundidee war nicht, dass ich aus dem Rahmen falle. Es war einfach so, dass wir eine gewisse Linie festgelegt haben. Die bestand aus dem Grün und das andere ist Braun und Beige. Dabei ist zufälligerweise Gold rausgekommen.
Mieze: Es gibt in dieser Band einfach niemanden außer Ingo, der einen goldenen Anzug tragen kann. Und dieser goldene Anzug war ein Muss. Die beiden haben sich magisch angezogen ...
Andy: Bei aller Liebe zum Verkleiden ist uns wichtig, dass es keine Uniformität gibt. Das ist der wichtige Punkt, und letzten Endes gibt es Elemente, die sich überall wiederfinden.

AVIVA-Berlin: Aber bei "Zirkus" gab es durchaus eine gewisse Uniformität, denn ihr hattet – bis auf Mieze - alle unterschiedlich farbige Hemden und Krawatten an.
Mieze: Das ist immer weiter verschwunden. Es gab Zeiten, da sind wir einfarbig aufgetreten. Wir haben mit Weiß angefangen, dann in Orange und wir hatten eine hellblaue Phase. Das sind alles nur Mittelchen, um die Musik noch besser zu bebildern und an die Menschen ranzubringen. Es ist ein Tool, ein Werkzeug. Dieses sich Bereitmachen für den Auftritt, für das Gebet, das Besondere und das Gespräch ist für uns etwas Heiliges. Das gehört dazu, es ist kein Verkleiden, sondern ein innerer Ausdruck.
Bob: Bei allem was wir tun, lieben wir es verschiedene Facette zu benutzen, um ein bestimmtes Gefühl oder einen Ausdruck zu beschreiben. Das sieht man auch an den Klamotten. Jeder hat etwas unterschiedliches an, und trotzdem gehört es zusammen und ergibt ein Bild. Genauso ist es mit dem Videoclip, der mit dem ganzen Chrom und den Klamotten schon etwas sehr modernes und hochglanzmäßiges hat. Es gibt dazu noch einen zehnminütigen Film, der auf der Single mit drauf sein wird. Das ist ein Remix zu allen Remixen. Gedanklich gehört das beides für uns dazu. Man beschreibt die eine Fahnenspitze mit dem Hochglanz und sehr modern, weil wir versucht haben die Musik für unsere Ansprüche sehr modern zu gestalten. In dem Film gehen wir noch mehr darauf ein, Freundschaftsmomente zu beschreiben und Old-School-Animationen zu nutzen. Das hat vielleicht auch etwas mit dem Gedanken der Animation zu tun, denn letzten Endes fußt er auf der Überlegung, dass wir uns fragen, wie wir uns auf einer Bühne präsentieren wollen. Es geht um unsere Vorlieben, und natürlich auch um eine thematische Verknüpfung zur Musik.

AVIVA-Berlin: Das Cover ist mit einer saftpressenähnlichen Rakete gestaltet. Wo ist der Zusammenhang zwischen "Willkommen im Club" und der Rakete?
Mieze: Wir wollten schon immer, dass für ein Cover tatsächlich ein Objekt gebaut wird. Genauso wie das Single-Cover nicht am Computer gebaut, sondern inszeniert und dann fotografiert wurde. Das sind Magnetsplitter und Metallkugeln und stehen für Magnetismus und Freundschaft. Wir haben beschlossen mit einem Künstler-Team zusammenzuarbeiten, die die Rakete vorgeschlagen haben. Die sah am Anfang komplett anders aus und hat sich dann zu der MIA.-Rakete entwickelt. Für mich ist die Rakete ein Symbol für Veränderung, für das Sich-auf-den-Weg-machen, um andere Welten zu entdecken, um von A nach B zu kommen oder zu anderen Menschen hin. Es ist ein wunderbares Symbol für Verreisen und auch fürs Zurückkommen
Andy: Es hat natürlich auch was mit der Sehnsucht nach dem Neuen zu tun. Der Antrieb für Raumfahrt war immer, dass Menschen andere Planeten kennenlernen wollten. Unter der Prämisse unseres Klubs, bedeutet das, dass er jedem offen steht. Wir nennen die Rakete unser "Friend-Ship", mit der wir wie "Raumschiff Enterprise" neue Welten entdecken. Dabei geht es hauptsächlich um den Gedanken, dass man sich zu etwas Neuem aufmacht.
Mieze: Es sieht super aus und passt total gut zu unseren Gedanken. Es gibt sogenannte "Space-Chöre" oder "Space-Momente" auf der Platte, wo man merkt, dass das auch dort ineinander greift.

AVIVA-Berlin: Bei dem Video habt ihr etwas neues ausprobiert, nämlich eine Tanz-Choreographie. Wie ist es zu dieser Idee gekommen?
Mieze: Wir und unser Regisseur Frederik haben beim Video versucht, keine Geschichte, sondern auch hier einen fiktiven Raum zu erzählen. Mit einer Vergangenheit, einer Zukunft und einer Gegenwart zu spielen, die wir selbst kreieren. Die Idee zu den Choreographien kam aus einer romantischen Musical-Sehnsucht. Zumindest habe ich mir vorher sehr viele Musical- und Tanzszenen angeguckt, weil in einem Club die Menschen aus einer normalen Situation heraus anfangen sich zusammen zu bewegen. Und doch hat jeder seinen individuellen Rhythmus. Das hat mich total inspiriert. Frederik ist darauf eingegangen und daher kam die Idee zu dieser Tanzgruppe. Jetzt sind wir gespannt, wie diese Gefühle bei den HörerInnen ankommen, die wir versucht haben umzusetzen. Fordert es sie auch zum tanzen auf? Bekommen die plötzlich Lust zu tanzen?

AVIVA-Berlin: Ihr seid in der schwul-lesbischen Community super angesagt. Könnt ihr euch das erklären? Denn ihr habt ja überhaupt keinen schwul-lesbischen Inhalt. Ihr habt zwar auch zum CSD an der Siegessäule gespielt, aber die Begeisterung war schon vorher da.
Bob: Wir können diese Frage nicht beantworten, aber wir freuen uns einfach, dass es so ist. Das hat wohl viel mit der Musik und den Textansätzen zu tun, in denen eine große Leidenschaft steckt. Zusätzlich werden wir als Band oft anders als die anderen gesehen, die - den von außen wahrnehmbaren - komplizierteren Weg nehmen, und sich behaupten müssen. Das ist in vielen schwul-lesbischen Lebensabschnitten auch der Fall, dass man da durchkommt, dazu steht, um das dann voll auszuleben. Ein Vergleichsmoment, der musikalisch bei uns auch ganz gut passt. Viele Texte von uns, die mit verschiedenen, nicht immer perfekt verlaufenden Beziehungsmomenten spielen, passen auf jede Beziehung. Auch Mieze als "Express-Yourself-Woman" auf der Bühne könnte eine Antwort auf die Frage sein ...
Mieze: Der Punkt mit den Erwartungen ist für mich ganz wichtig. Wir werden keinen Erwartungen gerecht, wir überraschen uns auch selbst. Ich glaube, dass sich viele Menschen damit identifizieren können. Gewissen Erwartungen nicht gerecht zu werden, einen ganz eigenen Weg zu gehen, der nicht immer einfach ist und trotzdem dran zu bleiben und mutig zu sein. Wir sind extrem lebensbejahend, wir symbolisieren auch "Beiß dich da durch, du schaffst es!" Das ist eine Ode an das Leben, an die Liebe und an die Freundschaft. Diese Leidenschaft von der du gesprochen hast, leben wir und leben die auch gerne für andere aus. Da teile ich gerne und gebe ab.

AVIVA-Berlin: Brennt euch noch was unter Nägeln, auf der Zunge, das ihr den LeserInnen von AVIVA-Berlin noch sagen wollt?
Mieze: Ja, wir wollen euch einladen, teilzunehmen. Kommt tanzen! Wir sind den kompletten Sommer unterwegs und planen wie immer eine eigene spektakuläre Tour zum Album.

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Beitrag vom 05.09.2008

Silvy Pommerenke