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Beitrag vom 15.04.2001
Stiefmütter, die Leidtragenden der hohen Scheidungsrate?
Christa Lehwald
Stiefmütter haben immer noch ein schlechtes Image in der Gesellschaft. Fast jeder hat in seiner Kindheit Märchen wie Schneewittchen oder Aschenputtel vorgelesen bekommen...
...und somit sein Bild von der Stiefmutter quasi mit der Muttermilch eingesogen. Wenn Probleme auftreten, heißt es: "Sie ist ja auch nicht die richtige Mutter". Dagegen anzukämpfen ist schwer. Die Stiefkinder, die meistens bei der leiblichen Mutter leben und von ihr entsprechend beeinflusst werden, reagieren oft mit Ablehnung auf die neue Bezugsperson des Vaters. Selbst wenn diese sich sehr bemüht und besonders engagiert, geraten die Kinder häufig in einen Loyalitätskonflikt.
Das führt zu vielen Spannungen. Die Stiefmutter möchte die Zuneigung des Kindes gewinnen und ist deshalb bestrebt, nichts falsch zu machen. Sie ist besonders freundlich und tolerant ihm gegenüber, was dieses natürlich auch ausnützt und oftmals dann ganz besonders trotzig und eklig wird. Diese nervenzerreibenden Spielchen gehen meist am Mann bzw. Vater vorbei, da sie nur in seiner Abwesenheit stattfinden. Der kann dann die Aufregung gar nicht verstehen, da der Sohn oder die Tochter sonst immer sooo lieb ist.
Geduld und Toleranz sind angesagt
Es kann Monate oder sogar Jahre dauern, bis ein einigermaßen aggressionsfreies Miteinander möglich ist und sich alle aneinander gewöhnt haben. Das Kind lernt mit der Zeit, dass die "Neue" ihm nicht den Vater wegnimmt und die beiden "Mütter" nicht zwangsläufig in Konkurrenz stehen müssen. Es lernt, dass es die neue Partnerin seines Vaters ruhig mögen darf. Die Stiefmutter muss Kränkungen und Zurückweisungen wegstecken und vergessen können, sich die Mechanismen bewusst machen, die dazu geführt haben. Sie muss auch kein schlechtes Gewissen haben, das fremde Kind weniger zu lieben als ihr eigenes. Es ist natürlich, dass man ein Kind, welches man von klein auf bei sich hat, besonders liebt.
Wenn der Vater seine Rolle als Mittler annimmt und Verständnis für alle Beteiligten zeigt, ist das beim Zusammenwachsen der Patchworkfamilie sehr hilfreich. Wichtig ist vor allem, dass keiner den anderen herabwürdigt.
Aus Krisen erwachsen Chancen
In der öffentlichkeit spielt die Problematik der neuen Familienstrukturen keine große Rolle. Politik und Kirche propagieren nach wie vor die "heilige" Familie: Mutter, Vater und Kinder.
Diese erfährt besondere Beachtung und Förderung. Dabei haben es die anderen ungleich schwerer, ihren Alltag zu organisieren. Das betrifft ja nicht nur Patchworkfamilien und ihre besondere Problematik, sondern auch die vielen alleinerziehenden Mütter und Väter, die ja auch oft in wechselnden Konstellationen leben.
Die neuen Lebens- und Familienformen bieten aber auch neue Chancen. Da sie meistens aus Krisensituationen entstanden sind und diese bewältigt haben, bieten sie die Möglichkeit, offener, behutsamer und partnerschaftlicher miteinander zu leben, als es oft in traditionellen Familien der Fall ist. Dadurch, dass die leiblichen Eltern wieder neue Partnerschaften eingehen, deren Partner oft auch wieder aus anderen Verbindungen Kinder mitbringen, könnte es in der entstandenen "Großfamilie" bunter und lebendiger zugehen. Aber das wäre der Idealfall. Wo vertragen sich schon alle mit allen?
Liebe AVIVA-Berlin - LeserInnen! Wie ist Ihre Meinung dazu? Sind auch Sie in irgendeiner Form vom "Stiefdasein" betroffen? Schreiben Sie in unserem Forum! darüber!
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Tel. (02 28) 35 29 95
Fax (02 28) 35 83 50
Literaturtipps:
Deborah Fowler:
Wenn deine Kinder meine werden
Brockhaus
DM 19,80
Vera-Maria Lagner:
Die etwas andere Familie
über das Zusammenleben von Stiefeltern und Stiefkindern
Goldmann TB
DM 14,90
Annette Bopp, Sigrid Nolte-Schefold:
Stiefkinder - Rabeneltern
Rabenkinder - Stiefeltern
Leben in einer Patchworkfamilie
Probleme erkennen, Perspektiven gewinnen
Rowohlt Verlag
Reinbek 1999
DM 16,90
ISBN 3-499-60541-4
Hans Dusolt (Hrsg.):
Schritt für Schritt
Ein Leitfaden zur Gestaltung des Zusammenlebens in Stieffamilien
Profil-Verlag 1995
DM 19,80
ISBN 3-89019-376-5
Andrea Krehan-Riemer, Peter Krehan:
Die Stieffamilie
Jugend & Volk 1993
DM 6,70
ISBN 3-7100-0017-3
Emily B. Visher, John S. Visher:
Stiefeltern, Stiefkinder und ihre Familien
Probleme und Chancen
Beltz Psychologie Verlags Union 1995
DM 46,-
ISBN 3-621-27298-4