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Beitrag vom 20.08.2011
Katja Kullmann - Echtleben
Undine Zimmer
Zehn Jahre nach ihrem Bestseller "Generation Ally" beschäftigt sich Autorin und Journalistin Katja Kullmann mit der Frage "Warum es heute so kompliziert ist eine Haltung zu haben". Noch immer...
... geht es dabei um die Lebensentwürfe ihrer eigenen Generation.
Die Anklage
Nicht unsympathisch, aber nach intellektueller Selbstbefriedigung, schmeckt Katja Kullmanns "Echtleben" im Abgang. Frau Kullmann, das spürt frau schon auf den ersten Seiten, musste unbedingt etwas loswerden, sich sogar verteidigen. Schon der Untertitel "Warum es heute so kompliziert ist eine Haltung zu haben", ist eine Rechtfertigung. Die Frage, um welche Haltung Frau Kullmann eigentlich ringt, bleibt jedoch offen.
Gegen VersagerInnen und Heulsusen
Beim Lesen wird der Rezensentin schnell klar, Frau Kullmann ist hin und hergerissen zwischen der Darstellung ihres Selbstentwurfs und einer Rechtfertigung gegen Vorwürfe und Befunde, an denen ihre Generation – die "Lifestyle-Luschen" aus ihrem Bestseller "Generation Ally" – heute in der Öffentlichkeit gemessen werden.
Obwohl Generation das falsche Wort ist. Es geht vielmehr um alle Schnittmengen der Gesellschaft, in denen sich Frau Kullmann wiederfinden kann: ihre Branche (Medienfuzzies), Selbstständige im GeringverdienerInnenbereich (Frau Kullmann war Aufstockerin), GutverdienerInnen (Frau Kullmann hat mal 34 Mille mit ihrem Bestseller gemacht), Singles und Familien (Frau Kullmann hat keine), zugezogene BerlinerInnen (Frau Kullmann war eine, aber immerhin keine Prenzl´bergerin oder Porno-Hippie-Schwäbin. Das betont sie.) und Leute, die auf Kosten des Staates oder anderen (z.B. ihren Eltern) leben (Frau Kullmann hat alle Schulden, auch die an den Staat mehrfach zurückgezahlt, wie sie hervorhebt). Fazit: Frau Kullmann ist keine Versagerin und keine Heulsuse. Beides wäre ein vernichtendes Stigma.
Haltung!
Nein, Frau Kullmann ist eine Einzelkämpferin. Und sie gefällt sich in der Rolle. Sie gefällt sich auch besser als Ressortleiterin eines Hamburger Medienhauses mit Dienstreisen und Schnickschnack, Prestige, und festem Gehalt, als in einer großen Wohnung im West-Bohème-Savignyplatz-Berlin. Vielleicht weil Hamburg insgesamt spürbar reicher ist als Berlin? Kullmann hütet sich davor eine Begründung zu nennen, warum sie ihrer in Berlin zurückgelassenen Freundin, der arbeitslosen Landschaftsgärtnerin, plötzlich nichts mehr zu sagen hat. Aber es ist offensichtlich: Finanzielle Sicherheit ist gelangweilt vom gleichbleibenden kreativen Kampf der Erfolglosen. Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist in jedem Kapitel spürbar. Und Berlin scheint die Stadt der AbsteigerInnen zu sein.
Nur von der Haltung, die so vielversprechend im Untertitel schillert, erfährt frau zu wenig. Sie wird nicht in den Handlungen von Frau Kullmann spürbar, sie steht nicht mal als Ideal im Subtext. Ihre Haltung ist Anpassung. Frau Kullmann ist in harten Zeiten stets bemüht den Schein zu wahren. "Ich kann jede Rolle spielen", schreibt sie.
"Echtleben"? Der Begriff ist griffig, bleibt aber leer bis zuletzt, als die Redakteurin Katja Kullmann ihre Sachen packt und ihre Festanstellung im glamourösen Glashaus eines Hamburger Verlags kündigt. Die Handlung, heroisch stilisiert, bleibt motivlos. Wäre sie ihre Stelle in der nächsten Umstrukturierung sowieso losgeworden? Nicht ein Wort erfährt die Leserin darüber, was Frau Kullmann zu ihrer Entscheidung getrieben hat. War es Mut, Solidarität mit gefeuerten Kolleginnen, Idealismus oder einfach Angst und Kalkulation? Hat sie es bereut?
Ich bin wir
Dabei hätte Katja Kullman etwas Spannendes zu erzählen gehabt. Das wird in den Passagen spürbar, wo sie ihr eigenes "Ich" sprechen lässt, statt sich hinter einem diffusen "Wir" zu verstecken. Diese Stellen kommen jedoch viel zu kurz. Hat der Autorin da der Mut gefehlt? Entwaffnend ehrlich und hart geht sie mit sich selbst ins Gericht, wenn sie ihre eigenen Reaktionen, Gefühle und Ängste reflektiert und bewertet: Die schlaflose Nacht auf dem Sofa vor dem ersten Gang zum Job-Center, der Blick auf sich selbst mit schickem Mantel im stickigen Warteflur bis zu dem Moment als die Illusion "Ich bin eine Ausnahme" platzt. Hat Sie diese Zeit verändert, Frau Kullmann? Oder waren Sie am Ende nur erleichtert, davon gekommen zu sein? Schämen Sie sich noch immer für diesen Abschnitt, weil er - vielleicht zu unrecht - trotz allen plausiblen Begründungen die, Sie in "Echtleben" aufzählen, den Beigeschmack des Versagens hat? Und vor allem: Welche Haltung haben Sie denn nun entwickelt, Frau Kullmann? Diese Fragen hätten wir gerne im nächsten Buch beantwortet.
AVIVA-Fazit: Von der Kritik gelobt, dennoch blutleer bleiben die Seiten von Katja Kullmanns "Echtleben". Mehr Kullmann-"Ich" und weniger SoziologInnenzitate und PublizistInnenweisheiten aus dem Zettelkasten hätten "Echtleben" echter gemacht. Stark wird "Echtleben", wenn Kullmann sich überraschend offen ihren eigenen Vorurteilen, ihrer Selbstkritik und Ängsten stellt. Doch Kullmann stilisiert sich lieber als Paradigma, als sich selbst wirklich preiszugeben. Und so wird "Echtleben" ein Selbstversuch den Schein zu wahren, anstatt wirklich eine Haltung einzunehmen.
Zur Autorin: Katja Kullmann ist Jahrgang 1970. Sie ist Journalistin, ehemals gescheiterte Neu-Berlinerin und nun Hamburg-Erleuchtete. Sie hat Soziologie studiert und 2001 den Bestseller "Generation Ally" geschrieben. Katja Kullmann mag keine Leute, die immer meckern und keine Selbständigen, die sich von ihren Eltern unterstützen lassen. Katja Kullmann hat alle klugen Publikationen, die zwischen 2009 und 2011 zum Thema Generation und Gesellschaft in Deutschland erschienen sind, gelesen, in "Echtleben" zitiert und am Ende ihres Buches aufgelistet. Mehr Informationen zu Katja Kullmann finden Sie unter: www.katjakullmann.de.
Katja Kullmann
Echtleben. Warum es so kompliziert ist eine Haltung zu haben
Eichborn Verlag, erschienen Juni 2011
Hardcover, 255 Seiten
ISBN: 9783821865355
17,90 Euro
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