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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 24.09.2013


Tine Plesch - Rebel Girl. Popkultur und Feminismus
Philippa Schindler

"Rebel girl - when she talks, I hear the revolution", singt die Riot-Grrrl-Band Bikini Kill Anfang der 90er Jahre. Auch heute gilt diese Liedzeile der viel zu früh verstorbenen Journalistin...




... und Poptheoretikerin Tine Plesch und ihrer gerade erschienen Textsammlung zu Popkultur und Feminismus.

"Grundsätzliches gleich vorweg: Dieses Buch ist notwendig.", schreibt Tine Plesch in einer Rezension zum Thema postmoderner Feminismus. Und auch "Rebel Girl", ihr eigenes Buch, erschienen fast ein Jahrzehnt nach ihrem plötzlichen Tod, ist notwendig. Unbedingt notwendig sogar.

Popkultur, das ist heute wie damals die diskursiv geschriebene und mit ein bisschen Glamour und Glitzer versehene Überschrift für ein Allerlei an kulturellen Erzeugnissen. Klar, dass wir dabei zuerst an Madonna, Britney Spears oder Nick Hornby denken, doch der Begriff umfasst weit mehr als nur Musik und Literatur. Popkultur, das war auch immer schon ein Spiegelbild gesellschaftlicher Zustände – "wer sich anpasst und nicht aus dem Bild läuft, wird belohnt." Unabänderlich sind die Produktionsweisen des Pop eingebunden in das patriarchal-kapitalistische Gesellschaftssystem und was am Ende hinten raus kommt, ist in den allermeisten Fällen männlich codiert.

In "Rebel Girl" schreibt Tine Plesch gegen diese Schräglage des Geschlechterverhältnisses an, gegen die männerdominierte Musikszene im Pop und den "als Sexyness getarnten Sexismus". Für Frauen sieht es im Popbusiness nämlich nur dann gut aus, wenn sie "in halbvergessen geglaubten Sex-Objekt-Posen" den heteronormativen, männlichen Voyeurismus bedienen. Aus der popmusikalischen Kanonliste ohnehin ausgeklammert, finden sie sich so zumeist in der Randständigkeit wieder – oder aber am Katzentisch "Frauenband", eine Genrebezeichnung, die Tine Plesch in einem ihrer Texte ebenfalls scharf kritisiert.

Doch nicht nur im Mainstream-Pop, auch in der Poplinken macht Tine Plesch patriarchale Strukturen aus. Allzu häufig bequemt mensch sich dort mit dem Feminismus als Nebenwiderspruch und meint, solange es den Kapitalismus gibt, gäbe es zwangsläufig auch die Unterdrückung der Frauen. Diese Kluft zwischen politischem Anspruch und gelebter Realität thematisiert Tine Plesch in ihren Texten. Sie weist darauf hin, dass auch vielgepriesene politisch korrekte Musikszenen sich als weiße Männerwelt entpuppt haben und Frauen dort eher vor, als auf der Bühne in Erscheinung treten.

Dass es bei all der altbackenen Rollenverteilung und patriarchalen Ungleichheit aber auch "das Rebellische im Pop" gibt, auch davon zeugt Tine Pleschs Schreiben. Ihr Interesse gilt dann den Leerstellen in der Verwertungslogik der Popkultur und all jenen Unbequemen und Unbeugsamen, die sich dort ihr Plätzchen eingerichtet haben. Da ist zum Beispiel Billy Tipton, der in den 1930er Jahren als begnadeter Jazzmusiker um die ganze Welt zog, und der besonders nach seinem Tod für Schlagzeilen sorgte, als festgestellt wurde, dass es sich bei seiner Leiche um den Körper einer 74jährigen Frau handelte. Oder Dorothy Parker, deren literarische Werke zwar in keinem Kanon auftauchen, die den US-amerikanischen Männerverein um Hemingway und Fitzgerald mit ihrem spitzzüngigen Humor jedoch ganz schön aufmischte.

"Rebel Girl" wird so auch zu dem leider fragmentarisch gebliebenen Versuch, eine Herstory der Popkultur zu schreiben. Angetrieben von der Frage, wie sich Frauen – ob als Produzentinnen oder Konsumentinnen – im Pop verorten können, untersucht Plesch Songtexte auf ihre subversiven Erzählstrategien und eröffnet emanzipatorische Lesarten von Romanen weiblicher Autorinnen.
Tine Plesch, die Abstraktion und alltägliche Arbeit immer für zwei unterschiedliche Dinge hielt, schafft mit "Rebel Girl" einen zugänglichen und scharfsinnigen Beitrag - der uns den nächsten Popsong sicher mit anderen Ohren hören lässt. Fest eingeplant war eigentlich ein Sammelband zum Thema Popkultur und Feminismus, den sie gemeinsam mit dem ebenfalls früh verstorbenen Freund und Kollegen Martin Büsser herausgeben wollte. Dazwischen "kam der blöde Tod", so steht es auch im Vorwort von "Rebel Girl". Unglaublich traurig ist das, denn Tine Pleschs kluge und inspirierende Meinung hätten wir noch sehr lange unbedingt nötig gehabt.

AVIVA-Tipp: Dieses Buch zeigt: Feminismus in der Popkultur ist sicher keine Bewegung von vorgestern. Eindringlich und voller Begeisterung plädiert Tine Plesch für ein besseres Leben. Ihre Erkenntnisfunken zünden noch immer!

Zur Autorin: Tine Plesch, geboren 1959, promovierte nach dem Studium der Amerikanistik und Anglistik zum Thema "Die Heldin als Verrückte – Frauen und Wahnsinn im englischsprachigen Roman von der Gothic Novel bis zur Gegenwart". Seit 1989 Moderatorin beim freien Radio Z in Nürnberg. Daneben freie journalistische Tätigkeiten für diverse Zeitungen und Magazine, seit 1999 war sie Mitherausgeberin der testcard. Tine Plesch starb im November 2004 an den Folgen eines septischen Schocks.

Die EditorInnen:

Evi Herzing
, auch bekannt als Eve Massacre, lebt und arbeitet als DJane und Musikerin in Nürnberg. Gemeinsam mit Tine Plesch arbeitete sie dort lange Jahre beim freien Radio Z, einem alternativen, nichtkommerziellen Rundfunksender.
Hans Plesch ist der Bruder der Autorin und führt beim Radio Z die von Tine Plesch begründete Musiksendung Zores fort. In Nürnberg besitzt Hans Plesch eine Apotheke.
Jonas Engelmann, promovierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, lektoriert Bücher für den Ventil Verlag und gibt die testcard mit heraus.

Tine Plesch
Rebel Girl. Popkultur und Feminismus.

Editiert von Evi Herzing, Hans Plesch und Jonas Engelmann
Mit einem Vorwort von Michaela Melián
Ventil Verlag, erschienen September 2013
Taschenbuch, 224 Seiten
14,90 Euro
ISBN 978-3955750022
www.ventil-verlag.de

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Beitrag vom 24.09.2013

Philippa Schindler