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Beitrag vom 10.07.2010
Tahmima Anam - Zeit der Verheißungen
Ute Vetter
Ostpakistan 1971: Saris werden zu Mänteln in geheimer Mission, Fleischbezugsscheine führen zu köstlichem Biryani und taunasse Blüten des Rosenbusches neben einem Mangobaum machen neugierig.
Rehanas Kinder, Sohail und Maya, wurden nach dem frühen Tod ihres Vaters gerichtlich dessen Bruder Faiz und seiner kinderlosen Ehefrau Parveen zuerkannt. Ein schrecklich langes Jahr und Hunderte von Kilometern trennten sie Ende der 50er Jahre von ihrer Mutter. Rehana fand eine Lösung, um Sohail und Maya wieder zu sich zu holen, lud jedoch eine schwere Schuld auf sich, die sie für lange belasten sollte. Mit diesem schweren Wissen blieb sie allein und niemandem konnte sie sich anvertrauen - soweit die Vorgeschichte des Prologs.
Die sehr persönliche Geschichte der Protagonistin Rehana steht im Zentrum des Romans von Tahmima Anam. Ihr Leben wird nach der erwähnten schmerzlichen Trennung erneut durch politischen Ereignisse massiv erschüttert. Ostpakistan ringt um seine Unabhängigkeit. Der nahende Bürgerkrieg liegt in der Luft und die Protagonistin, die sich eigentlich nur auf ihr nahes Umfeld und die Sorge um ihre nun fast erwachsenen Kinder konzentrieren will, wird unmerklich zu einer stillen jedoch charismatischen Heldin aufgebaut.
Der Unabhängigkeitskampf, aus dem 1971 Bangladesch hervorgehen wird, und der Alltag einer Frau mit muslimisch-indischem Hintergrund sind hier fest ineinander verwoben. Monat für Monat wird das so bedeutende Jahr in der bengalischen Geschichte erzählerisch zusammengesetzt. Bei voranschreitender Lektüre verbindet sich die einfache, fast naive gestaltete Landkarte auf den Innenseiten der Buchdeckel, mit der Gewissheit ein historisch faktuales Ereignis liegt dem Roman zu Grunde. Der grausame Mord an der hinduistischen Bevölkerung Ostpakistans 1971 fließt anhand des Schicklas Rehanas Nachbarin und ihrer Famile in den Text mit ein.
Der muslimisch-indische Hintergrund der Protagonistin erinnert an die Hauptfigur in Salman Rushdies großartigem Roman "Mitternachtskinder". Der Erzähler dort, berichtet in einer dramatischen Episode von den Umständen, die ihn 1971 als Söldner nach Ostpakistan in den Bürgerkrieg führten. Auch dort ist der Mord an der hinduistischen Bevölkerung unmißverständlich in den Plot eingeschrieben.
Insgesamt ist "Zeit der Verheißungen" eine gelungene Konstruktion, in der persönliche Begebenheiten und politische Ereignisse zu einem scheinbar authentischen Erfahrungsbericht zusammengesetzt sind. Die Autorin, Tahmima Anam, beeindruckt in ihrem Debüt besonders durch ihren leisen Stil, dem laute dramatische Momente innewohnen:
"Rehana stand hinter einer Flughafenscheibe, die von Haaröl und Abschiedsfingern verschmiert war. Sie winkte ein kleines Winken und fragte sich, wann die Welt aufhören würde unterzugehen. Mit ihren Drachen unter dem Arm legten Maya und Sohail die Sitzgurte an und erhoben sich friedlich in die Lüfte über dem überschwemmten Delta."(Zeit der Verheißungen)
Zur Autorin: Tahmima Anam, 1975 in Bangladesch geboren, wuchs in Paris, New York und Bangkok auf. An der Harvard University studierte sie Anthropologie. In London legte sie ihren Master im Kreativen Schreiben ab. Mit "Zeit der Verheißungen" debütiert Tahmima Anam mit einem Roman, der bereits in 20 Sprachen übersetzt wurde. Er erschien zuerst 2007 im Verlag John Murray, London und wurde nun ins Deutsche übertragen. Sie lebt derzeit in London.
Weitere Infos finden Sie unter: www.tahmima.com
AVIVA-Tipp: Auf eine ganz besondere Art und Weise ist die Verbindung Pakistans, Indiens und Bangladeschs gestaltet. Der Unabhängigkeitskampf und der in Europa fast unbekannte Genozid an der hinduistischen Bevölkerung Ostpakistans wird durch den sehr persönlichen Blick einer Frau sachlich und beinahe undramatisch erzählt. Die komplexe Verknüpfung von menschlichen Schicksalen im geographisch geteilten Pakistan ist der Autorin gelungen.
Tahmima Anam
Zeit der Verheißungen
Originaltitel: A Golden Age
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Insel Verlag im Suhrkamp Verlag, erschienen 15.03.2010
Gebunden, 319 Seiten
19,80 Euro
ISBN 978-3-458-17464-6
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