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Beitrag vom 05.05.2015
Ulrike Draesner - Mein Hiddensee
Angelina Boczek
Ulrike Draesner entdeckte die Insel Hiddensee im Jahr 1997. Ein Glücksfall für den mareverlag, der bereits "Mein Usedom", "Mein Zypern", "Mein Ibiza" und "Mein Sardinien" verlegte, alle von...
... herausragenden LiteratInnen verfasste persönliche Reiseführer.
Die Autorin führt uns LeserInnen auf die kleine Ostsee-Insel, wie es in Wirklichkeit auch ist: Wir kommen mit der Fähre an, betreten das fremde Inselland, spüren den Sand, die weichen Wege, das ganz andere Klima. Wir schauen uns um, der unübersehbare Leuchtturm rückt sofort ins Zentrum, er kommt in den Kapiteln des Buches immer wieder vor, als ge- und beliebter Ort.
Ihre "stürmische" Liebe zu Hiddensee beschreibt Ulrike Draesner gleich zu Anfang in überaus poetischen Worten: Der Sturm, der Wind spielen im Buch eine zentrale Rolle und das Licht, auch die Botanik, die Beschaffenheit und die Farben von Pflanzen und deren Bewegungen im Wind. Wer schon auf Hiddensee war, wird der Autorin federleicht folgen können und mitschwelgen im Wind, in den Formen und Farben.
Ulrike Draesner ist keine Hiddensee-Enthusiastin (wie es viele gibt), die schon mit den Eltern in DDR-Zeiten die Insel für sich entdeckten, nicht zuletzt wegen der nudistischen Freizügigkeit. Sie erinnert recht bald im Text daran, dass sie "als Fremde" auf die Insel kam, dazu "aus dem Westen", später dann mit Kind und Hund.
Hiddensee ist für die Autorin offensichtlich mit sehr persönlichen Erfahrungen behaftet: "Hier im Wald, mit Blick auf den Turm, haben ihr Mann und sie sich ein Kind versprochen"..., dass das Verhältnis zum Vater des Kindes später eine Zumutung gewesen ist, berührt uns LeserInnen, die in "Mein Hiddensee" nicht mit solch persönlichen Geständnissen gerechnet haben.
Spätestens hier zeigt sich, dass wir es nicht mit einem Sachbuch zu tun haben oder mit einem literarischen Reiseführer. Die Verfasserin bevorzugte offensichtlich deshalb die Distanz schaffende Erzählweise in der zweiten Person (sie ging dorthin, sie dachte dies, ihr Kind tat jenes).
Es handelt sich um kaleidoskopartig angeordnete Texte im Buch, die auch informativ sein können, aber zumeist das Verhältnis der Autorin zur Natur, zur Sprache, zu den Menschen, zu ihrem Kind und zu sich selbst beschreiben, auch zu dem Hund. Das Dasein auf der Insel erleichtere das "Eintauchen in sich selbst", es sei "reizideal" – und "die ständige innere Bewegtheit der Insel selbst, rührt sie an".
Sie unternimmt in dem Buch kleine Exkurse zur Geschichte Hiddensees und immer wieder Wanderungen, in denen sie ausführlich schildert, wie Wind und Sonne und Sand beschaffen sind, alles, was sich bewegt und wie sich die Elemente beständig verändern. Zweimal erwähnt sie, dass es auf der Insel "für Sekunden nach Griechenland" riecht – Griechenland, Wiege unserer Kultur, Ort der Philosophie und Sprache, der Poesie, Inselland.
Viele LiebhaberInnen Hiddensees werden die Örtlichkeiten und Wege, die in "Mein Hiddensee" beschrieben sind, wiedererkennen und die überbordenden Naturschilderungen Ulrike Draesers teilen: "Bebende Trespen, magere Fieder-Zwenken mit hängenden Blättern, Bruchkraut, trittunempfindlich, mitten im Weg Schafgarben, Mohnstauden, Löwenzahnbüschel, überragt von weinfarbenen Gräsern mit langen Schöpfen" usw.
Die "Bildermacherin mit Worten" hat das gesamte Hiddensee-Buch mit grandiosen Wortbildern ausgestattet, allein die Farbstufen des Himmels oder die Gräserfarben und die der anderen Pflanzen sind bei Draesner unendlich vielfältig, nie gehört, phantastisch. Auch die Gerüche draussen versucht sie zu beschreiben, wie wir das kaum je zu lesen kriegen.
Auf die Schilderung von Begegnungen mit anderen Hiddensee-Gästen oder den EinwohnerInnen hat Ulrike Draesner fast völlig verzichtet, wohl aber das Treffen von Kreuzotter und Füchsin sprachlich ausführlich illustriert. Asta Nielsens verfallenes Haus war ihr ein kleines Kapitel wert, den anderen Insel-Prominenten, Gerhart Hauptmann, läßt sie fast bis zum Schluss unerwähnt, - er taucht nur kurz auf als "Inselkönig", den auch Thomas Mann "schwer erträglich" fand.
Zur Autorin: Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, eine der profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen, lebt in Berlin. Ihr Werk umfasst Lyrik, Prosa, Essayistik, Hörspiel. Vor allem für ihre Gedichte und Romane wurde Ulrike Draesner mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Roswitha-Preis, dem Solothurner Literaturpreis und dem Drostepreis. Zuletzt erschien ihr Roman Sieben Sprünge vom Rand der Welt (2014), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde.
Mehr Infos zur Autorin unter: www.draesner.de
AVIVA-Tipp: Die Sprachkunst Ulrike Draesners ist ein so enormer Genuss, dass wir Hiddensee fühlen können, wir müssen es nicht kennen, wollen Hiddensee aber wegen des Buches bald besuchen.
Ulrike Draesner
Mein Hiddensee
Mareverlag, 1. Auflage, 2015
Gebunden, 203 Seiten mit einer Kartenskizze auf dem Vorsatzpapier
Mehr Infos unter: www.mare.de
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