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Beitrag vom 30.03.2013
Ramona Ambs - Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter
Claire Horst
Hinter dem witzigen Titel verbirgt sich eine Geschichte, die eher zum Weinen als zum Lachen reizt. Eine Jugend Anfang der achtziger Jahre: Kaum eine Generation liegt die Shoah zurück, und für Romys
... jüdische Großeltern und ihren Großonkel ist jeder Tag von grauenhaften Erinnerungen an diese Zeit erfüllt.
Zwar haben sie überlebt, von ihren Traumata und ihrem Misstrauen können sie sich aber nicht mehr lösen. In dieser angsterfüllten Atmosphäre wächst Romy auf – ohne Eltern. Zum Vater hat sie kaum Kontakt, und ihre Mutter ist an den Familienerinnerungen zerbrochen: Schon kurz nach Romys Geburt starb sie an Heroin. Schon deshalb möchte Romy ihre geliebten Großeltern schützen. Sie haben schon genug Schreckliches erlebt. Dass sie selbst bald wie ihre Mutter an der Nadel hängt, verbirgt sie deshalb vor ihnen, so lange es geht.
Es ist wahrscheinlich fast unmöglich, eine Geschichte von Babystrich und Heroin zu erzählen, ohne Vergleiche mit "Christiane F." heraufzubeschwören. Und so erinnert auch dieses Buch an die Lebensgeschichte der Berlinerin. Ähnlich wie Christiane fühlt sich auch Romy nirgends zu Hause, erlebt sie ihre Jugend als eine Zeit der Verletzbarkeit und Einsamkeit. Wie bei Christiane sind auch in Romys Familie die Erwachsenen völlig überfordert von der Verantwortung für ein Kind. Und anders als Christiane trägt Romy eine zentnerschwere Last mit sich herum: Die traumatischen Erlebnisse ihrer Familie und anderer Jüdinnen und Juden, die die Shoah überlebt haben.
Die in der Ich-Perspektive und im Präsens erzählte Coming-of-Age-Geschichte lässt von Anfang an Schlimmes erwarten. Als kleines Mädchen schnüffelt Romy gern die Farbe, mit der ihr Opa im Keller Vogelhäuschen anmalt: "Dann wird alles auf wundersame Weise wohlig." Es kann kaum gutgehen, wenn schon ein Schulkind keinen anderen Weg als Drogen findet, um sich wohlzufühlen. Und die Betrachtungen des kleinen Mädchens zum Tod ihrer Mutter haben es ebenfalls in sich: "Das Heroin muss eine Krankheit sein oder ein Unfall oder so was. Jedenfalls etwas, woran man stirbt. Also eigentlich so was wie das Leben. Am Leben stirbt man ja auch, wenn man lange genug durchhält."
Ganz überzeugend ist es zunächst nicht, dass ein Kind so reden und denken soll. Und wird es dann doch, weil Romys engste Bezugspersonen eben alte und psychisch zerstörte Menschen sind. Onkel Max ist derjenige, der ihr die Welt erklärt, und seine Erklärungen dienen kaum dazu, das Leben lieben oder wenigstens meistern zu lernen: "Glaub doch nicht, dass die Schoah vorbei ist. So was Schreckliches geht nie vorbei – es geht weiter in den Köpfen und Herzen der Menschen, die es erlebt haben. Und es geht weiter in ihren Kindern und Kindeskindern, und die Sonne scheint nie mehr golden, sondern nur noch gelb vom Himmel."
Als hätte das Leben sich vorgenommen, Onkel Max Recht zu geben, geht das Schreckliche tatsächlich nie vorbei. Für Romy besteht das Leben aus Einsamkeit und Katastrophen. Und so kommt der Tag, an dem für sie die Sonne nur noch mit Heroin golden scheint. Da ist sie in der siebten Klasse.
Die Lakonie, mit der die Ich-Erzählerin von ihrem Leben berichtet, ist bedrückend. Distanziert und wie betäubt erlebt sie ihre Arbeit auf dem Strich, wo ihr Kinderkörper immer genug Geld für den nächsten Schuss einbringt, immer betäubter erlebt sie auch persönliche Verluste. Eindrücklich erzählt ist diese Geschichte also schon. Und trotzdem funktioniert sie nicht durchgängig, weil die Autorin ihrem roten Faden nicht konsequent folgt. So kann sie sich nicht ganz entscheiden, wie sie Romys Verwandte gestalten will. Mal sollen sie unerreichbar sein, mal verhalten sie sich wie extrem einfühlsame und fürsorgliche Großeltern, die immer wieder Zeit finden, dem Kind die Welt zu erklären. Vielleicht will die Autorin einfach zu viel auf einmal. Sie erzählt die Geschichte eines jüdischen Mädchens, das an den Erinnerungen ihrer Großeltern zugrunde geht und an dem Land, in dem sie aufwächst. Eines Mädchens, das zu empfindsam ist, um weitere Verletzungen ertragen zu können.
Zugleich erzählt sie von einem Wunderkind, das neben Drogenprostitution und traurigen Liebesgeschichten, neben erster Liebe und erster Trauer ganz nebenbei das Gymnasium mit sehr guten Noten meistert und dann auch noch in Istanbul landet, wo sie sofort enge Freundinnen findet. Nach ihrer Rückkehr aus Istanbul wird Romy, immer noch minderjährig, eine erfolgreiche Malerin und findet sich in GaleristInnenkreisen wieder. Sicherlich ist das Leben oft derart widersprüchlich und wechselhaft. Schade nur, dass Ambs sich nicht die Zeit nimmt, diese vielen Stränge auszuerzählen.
So geht alles sehr schnell im Leben von Romy und im Kopf der Leserin. Denn kaum ist Romy erfolgreich, wird schon klar, dass auch das sie nicht retten kann. Und so bleibt die Schlussfolgerung aus ihrem Leben trist: "G´tt ist sicher auch nur ein Junkie. Das merkt man an seinem schrägen Humor und gleichzeitig an seiner Gleichgültigkeit." Aushalten lässt sich das alles nur mit Heroin – denn auch das führt zu Gleichgültigkeit. Von den wenigen lichten Momenten, die Romy in ihrem Leben findet, ist am Ende kaum noch etwas übrig geblieben.
AVIVA-Tipp: Die verknappte Sprache der Autorin passt gut zu der düsteren Welt, in der ihre Heldin um ein Überleben kämpft. Auf kaum 200 Seiten erzählt Ambs die bedrückende Geschichte einer Jüdin im Wirtschaftswunderland Deutschland als die eines weiteren Opfers der deutschen Geschichte. In all seiner Lakonie zieht der Roman die Leserin schnell hinein in diese neue Perspektive auf die Folgen der Shoah.
Zur Autorin: Ramona Ambs wurde 1974 in Freiburg geboren. Ihre Schullaufbahn, mit Stationen in Freiburg und Heidelberg, beendete sie 1995 mit Abitur und Scheffelpreis. Danach studierte sie Germanistik und Pädagogik an der Universität Heidelberg. Bereits während des Studiums publizierte sie Gedichte und Essays in verschiedenen Anthologien. Seit 2003 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin. (Verlagsinformationen)
Ramona Ambs
Die radioaktive Marmelade meiner Großmutter
Ubooks Verlag, Reihe Anti-Pop, erschienen März 2013
128 Seiten
12,95 Euro
ISBN 978-3-939239-46-8
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