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Beitrag vom 25.02.2008
Schuhhaus Pallas - Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte
Kristina Tencic
Ein Zufall bringt Amelie Fried dazu, ihre Familiengeschichte zu recherchieren. Dabei stellt sie fest, dass unbewusst ihr gesamtes bisheriges Leben davon beeinflusst war und beginnt auszusprechen...
... worüber vorher nur eine Decke des Schweigens gelegt wurde.
Schon der Name des Schuhgeschäfts im schwäbischen Ulm verrät den rebellischen Charakter der Familie: Als Amelie Frieds Großvater 1914 den "Schuh-Palast" gründete, beschwerte sich ein Konkurrent, dass so ein kleines Geschäft nicht solch einen irreführenden Namen tragen könne. Kurzerhand, und mit einem Augenzwinkern, wurde es in "Schuhhaus Pallas" umbenannt.
Amelie Fried beschreibt in diesem Jugend- und Erwachsenenbuch die Geschichte ihrer jüdischen, bzw. – nach der Naziterminologie - "jüdisch versippten" Familie, da ihr Großvater eine "Arierin" heiratete. Mit der Machtergreifung Hitlers begann der erbitterte Kampf ums Überleben für die Familie Fried und ihre Lebensgrundlage, das "Schuhhaus Pallas", für das sie so manche Hürde, wie etwa die Schein-Scheidung der Großeltern, auf sich nahmen.
Durch eine Aneinanderreihung von glücklichen Zufällen gelang es, zumindest diesen Zweig der Familie Fried, über Zwangsarbeit und KZ hinweg, am Leben zu erhalten. Wie Amelie Fried erst heutzutage, durch ihre dreijährige Recherche in Archiven und in Gesprächen mit überlebenden Verwandten herausfand, war längst nicht allen Frieds ein solches Glück beschieden. Zwei Namen der von den Nazis ermordeten Verwandten entdeckte ihr Mann Peter zufällig bei einem Besuch im Leo Baeck Institut in New York, bei dem er in Gedenkbüchern herumblätterte. Daraufhin entdeckte Amelie Fried ihre großen Lücken im Wissen um ihre Familiengeschichte.
"Schuhhaus Pallas" ist ein Beispiel dafür, wie auch das Nichtgesagte die Gegenwart überschatten kann. Was verschwiegen wurde, das sagt Amelie Fried nun explizit in ihrem Buch, welches sie ursprünglich nur für ihre Kinder geschrieben hat, denn: "Mit seinen Söhnen (und Töchtern) wollte mein Vater nicht sprechen. Mit seinen Enkeln kann er es nicht mehr. Deshalb erzähle ich ihnen seine Geschichte. Ihnen und allen anderen, die wissen wollen, was damals geschehen ist."
Ein Glossar, ein Stammbaum, eine Zeittafel und viele Zeitdokumente helfen, sich in dem Wirrwarr von Personen und Jahreszahlen zurecht zu finden, jedoch verlangt es von Jugendlichen ein gewisses Durchhaltevermögen, sich diesem Entwirrungsspiel hinzugeben und nicht schon vorher das Buch zur Seite zu legen. Die anschauliche Biografie ihrer Familie birgt auch für Erwachsene interessante Erkenntnisse, beispielsweise über den jüdischen Selbsthass oder über den Übergang nach 1945 zu einer scheinbar "entnazifizierten" Gesellschaft.
Durch die amtlichen Dokumente und Jahreszahlen erhält das Buch einen technokratischen Charakter, den Amelie Fried aber immer wieder durch persönliche Erzählungen wett macht. Sie gibt den, von den Nazis zu Aktenzeichen degradierten, Familienmitgliedern ihr persönliches Antlitz zurück und gelangt darüber hinaus zu einem besseren Verständnis ihrer eigenen Identität.
AVIVA-Tipp: Mit "Schuhhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte" ist der mehrfachen Bestseller-Autorin ein Familienportrait gelungen, das exemplarisch für viele Schicksale in Nazideutschland steht. Streckenweise wird zwar der Lesegenuss von dem Personen- und Zahlengeflecht getrübt, aber nichtsdestotrotz bleibt die Geschichte eindringlich und als Buch gegen das Vergessen und gegen das Schweigen sehr wertvoll.
Zur Autorin: Amelie Fried wurde 1958 in Ulm als Tochter des Verlegers Kurt Fried und der Buchhändlerin Inge Fried Ruthardt geboren. Nach dem Abitur 1975 studierte sie von 1976 bis 1983 Theaterwissenschaften, Publizistik, Kunstgeschichte und Italienisch in München. Seit 1984 arbeitet sie als TV-Moderatorin. 1995 erschien ihr erstes Buch "Die Störenfrieds. Geschichten von Leo und Paulina". Vier ihrer zahlreichen Bestseller-Romane wurden verfilmt (z.B. "Traumfrau mit Nebenwirkungen"). Sie erhielt viele Auszeichnungen, u.a. den deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Bilderbuch "Hat Opa einen Anzug an?" und den Bambi-Fernsehpreis für ihre journalistische Tätigkeit. Amelie Fried lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Nähe von München. Weitere Infos und Kontakt: www.ameliefried.de
(Quelle: ameliefried.de)
Amelie Fried
Schuhhaus Pallas. Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte
Hanser Verlag, erschienen Februar 2008
183 Seiten, Hardcover, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN: 978-3-446-20983-1
14,90 Euro