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Beitrag vom 05.09.2014
Christine Turnauer - Presence
Dorothee Kröger, Sharon Adler
Fotografische Besuche bei einer Schäferin aus Griechenland oder einer Geisha in Kyoto. Mit ihrer Kamera hat die österreichische Künstlerin ein kraftvolles Spektrum der Begegnungen zusammengestellt.
Zwei weiße, ungleichmäßige Linien führen senkrecht die Stirn hinunter und enden zwischen den Augenpaaren. Das eine Augenpaar, zu dem ein ernstes Frauengesicht gehört, ist in einen schwarzen Sari gehüllt. Ein weißer schmückt die andere Frau, mit einem anmutigen Gesicht, in dem nachdenkliche Augen liegen. Die beiden Witwen aus Indien, Rani und Namita, gehören zu den "coup de foudres" der Fotografin Christine Turnauer. In ihrem Portrait-Band "Presence", führt die Künstlerin nach zwei ebenfalls im Hatje Cantz Verlag erschienenen Bildbänden auch diesmal rund 80 intensive Momente mit Menschen verschiedener Länder zusammen. Der italienische Fotograf Frank Horvat, dem Turnauer in den 1970ern in Paris assistierte, beschreibt sie als eine "fanatische Vertreterin der Schwarz-Weiß-Technik".
"Wonach strebe ich? Die innere Präsenz meines Gegenübers festzuhalten und nicht nur ein simples Abbild" (Christine Turnauer)
Es ist die jeweilige Geschichte eines Moments, der in seiner Abbildung trotz Vergangenheit gegenwärtig bleibt. Die Portraits der reisebegeisterten Österreicherin deuten auf die trivial erscheinende Einzigartigkeit des Augenblicks hin, die jedoch durch Kalkulation und Schnelllebigkeit davon bedroht ist, einer öden Leere der Gegenwart zu weichen, in der die Gedanken vergangen und zukünftig, überall, nur nicht hier sind. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, die Turnauer ausschließlich bei vorhandenem Licht, ohne Blitz und vor neutralem Hintergrund aufnimmt, lösen einen Moment aus dem schnell fließenden Zeitstrom und konservieren seine Einzigartigkeit. Gleichzeitig ist immer ein Stück Geschichte, nämlich die persönliche, in die Gesichter und damit in den Moment der Präsenz eingeschrieben.
"Was ist das Schwerste von allem? Was dir das Leichteste dünket. Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir lieget." (Goethe)
Portraitiert sind von Tüchern und Gewänden, Hüten, Mützen und Geisha-Frisuren umspielte Gesichter. Die verschiedenen Formen des Körperschmucks führen gemeinsam mit der Mimik hin zu dem Leben der einzelnen Menschen: Kleidung und Körperschmuck identifizieren Nonnen, Mönche, Priester, ViehzüchterInnen, JägerInnen, das Gesicht deutet der Betrachterin die jeweilige Lebenseinstellung an. Die Kleidung als Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit weckt ein Interesse für die politische und kulturelle Situation der Länder, aus denen die Menschen kommen. Die Fotos der Witwen Namita und Rani entstanden in Indien, im dem zuletzt durch "Gayatri Spivak" die Diskussion über Witwenverbrennung angestoßen wurde: Ein Ritual, das noch vereinzelt durchgeführt wird, dem jedoch viel Widerstand entgegen gebracht wird.
"Kultur hilft uns, die Zusammenhänge in der Welt zu verstehen." (Christine Turnauer)
Die einzelnen Portraits sind neben steckbriefartigen Personenangaben hin und wieder auch mit Zitaten erweitert. Eine Übersicht aller Portraits findet sich im Anhang, in dem Turnauer außerdem Erläuterungen zu den jeweiligen Begegnungen gibt.
Aus den begleitenden Texten kristallisiert sich heraus, was den hier versammelten Menschen das Wichtigste im Leben ist: "Mutter Erde", "Liebe", "Religion" und "Familie". Dies nicht aus dem Blick zu verlieren, erfordert Präsenz.
Zu Christine Turnauer: geboren 1945, Fotografin, Reisende, Suchende – Christine Turnauer ist seit ihrer frühesten Kindheit von Menschen fasziniert, von ihrer Vielfalt, von ihrer Einzigartigkeit, und zieht seit mehr als 30 Jahren mit der Kamera in die Welt, um ihnen zu begegnen: Bergbauern in Österreich, Geishas in Japan, Rabbiner in Jerusalem, Menschen in Indien, Griechenland und der Türkei, Pygmäen in Zentralafrika oder NomadInnen in der Mongolei.
Ausstellung "Presence" in Wien: Vom 23. Oktober bis zum 15. November 2014 ist die gleichnamige Ausstellung im Forum am Schillerplatz (Robert-Stolz-Platz 3, 1010 Wien) zu sehen.
AVIVA-Tipp: Die auf das Wesentliche reduzierte Fotografie Christine Turnauers stellt unterschiedlichste Menschen gleichwertig nebeneinander. Scharf-abgebildete Portraits funktionieren wie eine Lupe, durch welche die Lebensgeschichten in den Gesichtern deutlich werden und an die Betrachterin heranrücken. Damit entfaltet "Presence" eine Bannkraft, die das Betrachten des Fotografie-Bandes ausmacht.
Presence
Texte von Frank Horvat, Christine Turnauer, Gestaltung von Andreas Platzgummer
Hatje Cantz Verlag, erschienen August 2014
188 Seiten, 182 Abbildungen
Deutsch, Englisch, Französisch
ISBN 978-3-7757-3748-7
58,00 Euro
www.hatjecantz.de
(Quelle: Verlagsinformationen)