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Beitrag vom 29.10.2007
Regina Nössler, Morgen ohne Gestern
Jana Muschick
Wenn jede Erinnerung verschwunden ist, dann ist auch das Selbst schwer zu halten. Die Autorin hat einen wundervollen Roman verfasst, der zum steten Weiterlesen verführt. Erschienen im Querverlag.
Sie wacht eines morgens im Krankenhaus auf und weiß nicht, wer sie ist. Alles ist ihr fremd, das Krankenhauszimmer, ihre ewig besorgte Lebensgefährtin Marion, die sie täglich besucht und sogar ihr Name.
Christine Hoffmann hat nach einem Sturz ihr Gedächtnis verloren – und zwar komplett. Sie erkennt ihre Eltern nicht, auch nicht ihre Freundinnen und selbst Grit, ihre beste Freundin, scheint keine Erinnerungen in ihr hervor rufen zu können. Christine fragt ständig: "Wer bin ich? Wie war ich?" Marion und Grit beginnen, ihr von der "früheren" Christine zu erzählen. Besonders Marion rückt gleich mit den entscheidenden Charaktereigenschaften heraus: Traurig. Du nimmst manchmal alles sehr schwer. Viel zu schwer, wenn du mich fragst. Und deswegen ist es nicht einfach mit dir (S. 24).
Christine will sich selbst erkennen – doch die Puzzlestücke, die ihr die FreundInnen von ihrem früheren Ich geben, scheinen nicht so recht zu passen. Auf der Suche nach sich selbst muss sie herausfinden, was wirklich war. Die 38-jährige Frau lässt sich von ihren Gefühlen lenken und merkt bald, dass sie sich nicht zu Marion hingezogen fühlt: "War das früher anders? War ich früher anders?" fragt sie sich immer wieder, wenn sie durch die Straßen Kreuzbergs zieht.
Der Roman "Morgen ohne Gestern" ist der am besten geschriebene Roman, den ich über das Thema Gedächtnisverlust je gelesen habe. Regina Nössler gelingt es, mit ihrer einzigartig-glasklaren Sprache, die Irritation, die schönen leisen Momente, aber auch die Angst vor dem Alleinsein auf eine völlig neue Art und Weise zu vermitteln.
Zur Autorin: Regina Nössler, geboren 1964 in Altenhundem, studierte Germanistik und Film- sowie Fernsehwissenschaften. Sie lebt als freie Autorin und Lektorin in Berlin. Von ihr erschienen bis jetzt fünf Romane und zwei Bände mit Erzählungen im Querverlag. Sie ist für jede eine echte Leseerfahrung.
AVIVA-Tipp: Um Regina Nösslers "Morgen ohne Gestern" sollte in diesem Herbst keine herum kommen. Dieser Roman ist nicht reißerisch, spielt nicht mit verbrauchten Klischees und ist an keiner Stelle anstrengend – trotz des schwierigen Themas Gedächtnisverlust. Sie eröffnet so manche neue Perspektiven zur Materie.
Frau folgt mit überaus großem Interesse ihrer Protagonistin und möchte immer mehr erfahren über die Frau ohne Vergangenheit – denn wie die Hauptdarstellerin wissen auch wir nicht, wer Christine wirklich ist. Wunderbarer Erzählstil.
Morgen ohne Gestern
Regina Nössler
192 Seiten, broschiert
Querverlag, erschienen September 2007
Preis: 14,90 Euro
ISBN: 978-3-89656-145-9