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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 10.10.2007


Carmen-Francesca Banciu - Das Lied der traurigen Mutter
Jule Fischer

Bekannt wurde Carmen-Francesca Banciu mit "Paris ist mein Berlin". Nun legt die gebürtige Rumänin die bewegende Geschichte einer Auseinandersetzung der Tochter mit ihrer despotischen Mutter vor.




Die stalinistische Zeit in Rumänien hatte Spuren hinterlassen. An der Mutter und am Vater und am Kind. Die Prinzipien des Kommunismus waren die Prinzipien der Mutter geworden und die Erziehung sollte das Kind zu einem funktionsfähigen Teil der kommunistischen Gesellschaft machen. Liebe, Nähe und Individualität kamen darin nicht vor.

"Mutter entschied über Leben und Tod. Über Leben und Tod meiner Puppen.
Sie sind nur Puppen. Sie sind keine Lebewesen. Und wenn sie es wären. Du sollst dich nicht auf andere verlassen. Als ich am ersten Schultag nach Hause kam, waren sie nicht mehr. Die Asche habe ich weggebracht."

Maria-Maria ist ihrer Mutter entkommen und auch ihrem Land. In Berlin hat sie ein neues Leben begonnen.
Nach einem, vom endlosen Kopfschmerz geprägten Leben, ist die Mutter gestorben und Maria-Maria blickt zurück, um mit der leb- und lieblosen Mutter ins Reine zu kommen.

Die Erinnerung wird zu einer Litanei seelischer und körperlicher Grausamkeiten, denen Maria-Maria ausgesetzt war. Keine Umarmung, keine Zärtlichkeiten – es gab nichts als Einsamkeit zwischen Vater und Mutter, Mutter und Kind, Vater und Kind.
Weil sie die Liebe nicht kannte, trieb sie ihr erstes Kind ab. So ein Mensch soll kein Kind bekommen, dachte sie.

Die Liebe lernt Maria-Maria erst kennen, als sie sich mit ihren Mann bewusst für ein Kind entscheidet: "Jeden Tag läuterte sich mein Körper. Mit jedem Tag öffnete sich mein Herz einen Spaltbreit mehr. Und das Kind wuchs in meinem Bauch. Und eines Tages spürte ich seine Bewegung. Und ich wusste, es ist eine Tochter. Und ich hieß sie willkommen."

Carmen-Francesca Banciu schildert eine Mutter-Tochter-Beziehung, die sehr ergreifende Einblicke in das Seelenleben der HauptdarstellerInnen gibt. Die nach Körperteilen benannten Kapitel: "Mutters Arme", "Mutters Zähne", "Mutters Augen", sind geschickt erdachte Rekonstruktionspunkte, an denen Banciu die Vergangenheit beschreibt.

Banciu lebt seit 1991 in Deutschland. Bereits 1996 begann sie ihre Texte auf Deutsch zu verfassen. Damit gewinnt ihr Stil an der rumänischen, wie an der deutschen Sprache, die sie beherrscht. Und doch bringt sie, durch die gleichzeitig fehlende Vertrautheit, die immer in fremden Sprachen steckt, einen wunderbar ungewohnten Duktus mit, der so schnörkellos den bleibendsten Eindruck hinterlässt.

Zur Autorin:
Carmen-Francesca Banciu
, 1955 im rumänischen Lipova geboren, studierte Kirchenmalerei und Außenhandel in Bukarest. Die Verleihung des internationalen Kurzgeschichtenpreises der Stadt Arnsberg hatte für sie 1985 ein Publikationsverbot in Rumänien zur Folge. Seit 1991 lebt sie mit ihren drei Kindern in Berlin, schreibt Beiträge für den Rundfunk und Zeitungen und leitet Seminare für kreatives Schreiben. Bei Rotbuch erschienen ist außerdem "Berlin ist mein Paris" (2007), "Filuteks Handbuch der Fragen (1995) und der Erzählband "Fenster in Flammen (1992). Preise und Stipendien (Auswahl): GEDOK Literatur Förderpreis (2007), Stipendium ARTOMI Artists Collony, Ledig House, New York (2005); Arbeitsstipendium des Senats für Kulturelle Angelegenheiten Berlin (1993), Stipendiatin des Künstlerprogramms des DAAD (1991), Salzburger Stipendium des Kulturministeriums, Österreich (1990).

AVIVA-Tipp:
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, an "Das Lied der traurigen Mutter", dann ist es die leicht überstrapazierte Verwendung des Wortes "Mutter". So gut die Stilmittel auch eingesetzt sind: Das Buch wird mit dieser anstrengenden Überbetonung, stellenweise ungewollt komisch. Das ist schade, denn "Das Lied der traurigen Mutter" ist ansonsten ein bestürzender und fesselnder Roman, der von der intensiven und unkonventionellen Sprache Carmen-Francesca Bancius lebt.


Carmen-Francesca Banciu
Das Lied der traurigen Mutter

Rotbuch Verlag, Berlin, September 2007
ISBN:978-3-86789-009-0
Hardcover, 221 Seiten
19,90 Euro


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Beitrag vom 10.10.2007

AVIVA-Redaktion