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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.09.2003


Der Golem - Jüdische Sagen und Märchen aus dem alten Prag
Jana Scheerer

Wer diesen Band liest, wird beim Besuch in der Prager Judenstadt hinter jeder Mauer einen Golem hervorlugen sehen - so plastisch erzählt Eduard Petiška von dem aus Lehm erschaffenen Synagogendiener




Die Geschichte des jüdischen Lebens in Prag ist sehr wechselvoll - Zeiten der friedlichen Koexistenz von Juden und Christen wechselten sich mit Verleumdungen und Pogromen ab. Deutlich sind diese Phasen in den "Jüdischen Sagen und Märchen aus dem alten Prag" zu spüren, die der tschechische Autor Eduard Petiška gekonnt in moderner Sprache nacherzählt.

So spielt immer wieder die Auseinandersetzung mit Anklagen aus der christlichen Bevölkerung und die ungerechte Behandlung der jüdischen Gemeinde durch den Kaiser eine Rolle. Hauptakteure der Sagen und Märchen sind stets intelligente und gerechte Rabbis, die sich mit Besonnenheit und Geist den Problemen ihrer Gemeinde annehmen - dem Vorwurf, die Juden tränken Christenblut und hätten die Pest über die Stadt gebracht, genauso wie internen Streitigkeiten zwischen einzelnen BürgerInnen.

Doch diese Sammlung gibt nicht nur Auskunft über das jüdische Leben im alten Prag, sondern zeigt auch deutlich, dass Sagen und Märchen kulturübergreifende Grundmuster haben und immer wieder Versuche sind, Unerklärliches erklärbar zu machen.

So führt die Sage "Die Kinderpest" das Wüten der Pest unter jüdischen Kindern auf die Sünde zweier jüdischer Frauen zurück. die ihre Kinder umbrachten und durch das ungesühnte Verbrechen Unglück über die Judenstadt brachten - erst als die beiden zum Tode verurteilt wurden, zog die Pest sich zurück.

Die Golemssage zeigt zudem ein Charakteristikum, das speziell den jüdischen Erzählungen eigen ist und schmerzhaft auf die von Verfolgung gezeichnete Geschichte der Juden verweist. Rabbi Löw schafft den Golem, um der jüdischen Gemeinde Schutz zu geben. Als Synagogendiener lebt er fortan in der Gemeinde und rettet sie tatsächlich aus einigen brenzligen Situationen.

Dem Golem dürfen jedoch nur heilige Aufgaben übertragen werden, was die Frau des Rabbis nicht immer gern befolgt. Als sie in einer besonders stressigen Situation den Golem Wasser holen schickt, bekommt sie die Quittung: Der Golem geht brav los, arbeitet allerdings nach dem Motto "Je mehr Wasser, desto besser." Bald steht das Haus des Rabbis unter Wasser. Ganz Zauberlehrlingsmäßig wird sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los - erst der Rabbi kann den Golem stoppen.

Dr. phil. Eduard Petiška wurde 1924 geboren und studierte an der Karls Universität in Prag Germanistik und Literaturwissenschaften. Er gehört zu den bedeutendsten Kinder- und Jugendbuchautoren Tschechiens und wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter der höchste Literaturpreis der CSSR. In seinen Werken, die in einundzwanzig Sprachen übersetzt wurden, nimmt er sich besonders Themen wie der Ethik zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Verhältnis zur Natur an.

Für den Golem ist irgendwann die Zeit abgelaufen: Als unter einem liberalen Kaiser eine Phase der Entspannung für die Judenstadt anbricht, setzt Rabbi Löw ihn außer Betrieb. Angesichts der traurigen Zukunft der jüdischen Gemeinde Prags, die heute nur noch tausend Menschen zählt, würde man fast wünschen, er hätte es nicht getan.

Der AVIVA-Tipp: Spannend und Mitreißend - Kulturgeschichte zum Mitfiebern.




Eduard Petiška
Der Golem. Jüdische Sagen und Märchen aus dem alten Prag.

Aus dem Tschechischen übersetzt von Alexandra Baumrucker
Verlag Roman Kovar, 1992
ISBN 3-925845-04-6
16,80 €
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Beitrag vom 23.09.2003

AVIVA-Redaktion