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Beitrag vom 28.01.2007
Ali Smith – Die Zufällige
Jana Muschick
Amber ist leuchtend aber undurchschaubar – gleich einem Bernstein. Der Roman spielt mit den gängigen Rollenklischees einer relativ normalen Familie und durchbricht sie schneller, als erwartet...
Auf den ersten Blick erscheint die Familie, die Urlaub in einem Sommerhaus in Norfolk macht, ganz normal. Die Kinder stecken in der Pubertät, Vater Michael, ein Literaturprofessor, ist mit seinen Gedanken oft ganz woanders und Mutter Eve hat, obwohl sie eine erfolgreiche Schriftstellerin ist, eine Schreibblockade.
Sie sind aus der Stadt "geflohen" um sich zu erholen – doch dieser öde Ort weckt bei den jugendlichen Kindern nur perverse Interessen – Tochter Astrid filmt mit ihrer Digitalkamera tote Tiere – Bruder Magnus schottet sich in seinem Zimmer ab und muss immer an das Mädchen denken, welches sich vor kurzem das Leben genommen hatte und an deren Tod er sich maßgeblich beteiligt fühlt.
Diese Familie ist in einer trostlosen Alltagswelt gefangen – bis eines Tages Amber auftaucht. Dieses Wesen ist weder ein junges naives Mädchen noch eine charismatische reife Frau (wie es leider auf dem Buchrücken steht). Sie ist einfach, wie ihr Name schon sagt, Amber – Bernstein – nicht leicht zu durchschauen, weil irgendetwas sie trübt. Diese Frau verdreht allen den Kopf – nicht nur, dass sie Magnus verführt und ihn so von seinen depressiven Gedanken ablenkt. Sie inspiriert auch Astrid, die fortan nicht mehr von ihrer Seite weichen möchte. Fremdgänger Michael kann sich keinen Reim auf die "neue" Frau machen und auch Eve weiß nicht, was sie von dieser dahergelaufenen Person halten soll – wirkt sie doch wirklich so zufällig und unerwartet...
Es scheint, wie sehr selten, dass der Titel der deutschen Übersetzung aus dem Englischen gut gewählt ist: "Die Zufällige" trifft auf den Punkt genau, worin es in diesem Buch geht – nämlich um das Leben, um das Schicksal und die unerwarteten Begegnungen, die uns zu völlig neuen Sichtweisen führen, uns Türen öffnen und Schlechtes vergessen lassen.
Zur Autorin: Ali Smith wurde 1962 in Inverness/Schottland geboren und lebt heute in Cambridge. Sie hat bisher drei Romane und drei Erzählbände veröffentlicht und schreibt regelmäßig für verschiedene Zeitungen. Simith stand bereits zweimal auf der Shortlist des Booker Prize. Für "Die Zufällige" wurde sie 2006 mit dem Whitbread Award für den besten Roman ausgezeichnet.
Zur Übersetzerin: Silvia Morawetz, 1954 in Gera geboren, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und ist die Übersetzerin u. a. von Janice Galloway, James Kelman, Hilary Mantel, Joyce Carol Oates und Anne Sexton. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.
AVIVA-Tipp: Ali Smith ist eine hervorragende Schriftstellerin. Sie scheint "Die Zufällige" für jede Jahreszeit geschrieben zu haben – für diejenigen, denen das tägliche Einerlei zu wenig ist. Mit diesem Buch werden Sie manches Mal die Stirn runzeln oder sich fragen: "Was soll das denn jetzt?", aber es wird Ihnen auch einen unerwarteten Blick in das Leben einer Familie geben, die nicht so normal und abgeklärt ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Nicht reißerisch spannend, weil kein Wert auf oberflächliche Unterhaltung gelegt wurde, und sehr lesenswert.
Ali Smith
The Accidental (Die Zufällige)
Luchterhand Verlag, erschienen August 2006
ISBN: 978-3-630-87233-9
Preis: 19,95 Euro
Hardcover, 317 Seiten