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Beitrag vom 27.08.2003
Ãœberall auf der Welt. Coming-out-Geschichten
Jana Scheerer
Ein Coming-out ist niemals einfach. Besonders schwer ist es in Gesellschaften, die Homosexualität ablehnen und tabuisieren. Lutz van Dijk lässt Menschen zu Wort kommen, die es trotzdem geschafft haben
Ein etwa neunjähriger Junge steht in Anzug und Krawatte an einem Rednerpult. Vor ihm sitzen in langen Stuhlreihen fein gekleidete ältere Damen und Herren. Es herrscht gespannte Stille. Dann spricht der Junge laut und deutlich: "I am a homosexual!" Das Publikum bricht in Jubel und Applaus aus.
Diese Szene aus einem Kurzfilm parodiert den Bekenntnis-Zwang der westlichen Gesellschaft genauso wie die bemühte Toleranz Homosexuellen gegenüber.
Doch wie fühlen sich Lesben und Schwule in Ländern ohne schwule Bürgermeister und lesbische Abgeordnete? Darüber gibt "Überall auf der Welt" aus erster Hand Auskunft.
Sechs Lesben und sechs Schwule erzählen ihre ganz persönlichen Coming-out Geschichten, die oft mit jahrelanger Geheimhaltung vor anderen - und manchmal auch sich selbst gegenüber- verbunden sind. Sie kommen aus Russland, Polen, Kroatien, Israel, China, Indonesien, Iran, der Ukraine und den Ländern Südamerikas.
Eines ist ihnen allen gemein: In ihrer Heimat gibt es kaum positiv besetzte homosexuelle Vorbilder - stattdessen eine ganze Reihe von Schimpfwörtern für Schwule und Lesben. So ist die Frage "Was ist an mir anders, was ist mit mir los?"
in der Pubertät noch um einiges schwieriger zu beantworten.
Und ist die Antwort dann einmal gefunden, dauert es bis zum "äußeren" Coming-out der Familie und den Freunden gegenüber oft noch sehr lange. Die Reaktion des Umfeldes ist - wie könnte es anders sein - sehr verschieden.
So sind die Berichte in "Ãœberall auf der Welt" gerade dann spannend, wenn die Erwartungen der westlichen Leserin gebrochen werden.
Das ist bei Nezha Arsims Geschichte der Fall. Zwar ist Homosexualität in Marokko illegal - trotzdem konnte Nezha als selbstbewusste Lesbe ein Frauen-Fußballteam gründen, das es zu großer Popularität gebracht hat und auch finanzielle Unterstützung findet. Grundlegend für ihren natürlichen Umgang mit der eigenen Sexualität ist wohl die starke Unterstützung durch ihre Mutter gewesen.
Denn wo keine gesellschaftliche Plattform für Lesben und Schwule existiert, wird die Reaktion der Eltern und Geschwister um so wichtiger. So enden doch einige der Geschichten mit einem Umzug in liberalere Länder. Dass jedoch auch hier ein Coming-out alles andere als einfach sein kann, zeigt Lutz van Dijks Nachwort "Und in Deutschland?". In Briefen, die deutsche Lesben und Schwule auf eine Anzeige van Dijks hin schickten, sind teilweise schlicht grausame Schicksale geschildert - bis hin zum Selbstmord aus gesellschaftlich erzeugtem Selbsthass.
Auch die übrigen Berichte des Buches sind in Briefen und Gesprächen entstanden, die der Autor dann zu kleinen Geschichten zusammenfasste. Lutz van Dijk ist in Berlin geboren und hat einige Zeit für die Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam gearbeitet. Seine Bücher für Kinder und Erwachsene wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Jugendliteraturpreis von Namibia 1997. Er lebt und arbeitet in Amsterdam und Kapstadt.
Am Ende des Buches bleibt ein positives Gefühl: Für Lesben und Schwule ist es wunderbar, homosexuell zu sein, egal, wie der Rest der Welt das findet. Überall.
Die AVIVA-Bewertung: Lesen und Rauskommen!
Lutz van Dijk
Ãœberall auf der Welt
Coming-out-Geschichten
Mit einem Vorwort von amnesty international
Querverlag, 2002
ISBN 3-89656-077-8
15,50 €200788746975"