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Beitrag vom 04.06.2006
Ausgewählte Texte - herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner
Ruth Niehaus
Ratlose BuchhändlerInnen und komplizierte Beschaffungswege sind passé - ein wichtiger Schritt ist getan, der fabelhaften Denkerin und Autorin Hedwig Dohm den Platz einzuräumen, der ihr gebührt.
Endlich! Der erste Band einer kritischen Gesamtausgabe erscheint zum 175. Geburtstag.
87 Jahre nach ihrem Tod startet der trafo-Verlag die Edition Hedwig Dohm, herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner, beide ausgewiesene Dohm-Kennerinnen.
Die Zeit ist mehr als reif, um so mehr, als es bislang zwar die eine oder andere Neuauflage einzelner Texte der radikalen Feministin (1831-1919) gab, doch niemals eine kritische Edition. Eine erstaunliche Marginalisierung, meinen die Herausgeberinnen, angesichts der zentralen Bedeutung Dohms für die Geschichte der deutschen Frauenbewegungy, die bereits ihren ZeitgenossInnen bewusst war.
Müller und Rohner versammeln im ersten nun vorliegenden Band Briefe, essayistische und belletristische Texte Dohms die, chronologisch geordnet, einen guten Querschnitt durch das umfangreiche Werk der Schriftstellerin, Journalistin und Philosophin zeigen.
Mit stilistischer Brillanz schrieb sie gegen das Patriarchat in Wissenschaft und Politik an und scheute sich nicht, Beiträge zur Frauenfrage anerkannter Größen wie Nietzsche, Sombart oder Maupassant als bedauerlich geistlos zu brandmarken.
Wem bislang nur die meisterhaften und auch heute noch mitreißenden Essays und Feuilletons bekannt sind, in welchen sie kompromisslos für die Sache der Frau focht, der entdeckt in "Werde, die du bist" eine einfühlsam erzählte Novelle. Der fein gesponnene innere Monolog der Heldin, einer alternden Witwe, führt uns eindringlich die psychologischen Auswirkungen der damals herrschenden Repression gegen Frauen vor Augen. "Unfähigkeit ist der Schlaftrunk, den man dir, alte Frau, reicht. Trink ihn nicht! Sei etwas! Schaffen ist Freude! Und Freude ist fast Jugend!", formuliert sie an anderer Stelle.
Die Leistung Hedwig Dohms ist vor dem Hintergrund der repressiven Stimmung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umso beeindruckender.
Aktiv und risikobereit hatten sich die Frauen in der 48er Revolution für Gleichheit und Freiheit eingesetzt. Begeistert folgten sie 1832 wie Louise Otto Peters, der Mitbegründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, der Einladung zum Hambacher Fest. ("Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen"). Die Maßnahmen der Reaktion nach der Niederschlagung der Freiheitsbewegung trafen sie jedoch in ungleich stärkerem Maße. Es hagelte Verbote und Repressionen. Anders als ihre Schwestern aus der Arbeiterschaft, galt für Frauen aus dem Bürgertum ein Arbeitsverbot. Als Antwort auf mögliche Freiheits- und Gleichheitsbestrebungen wurde die Verschiedenheit von Mann und Frau zum politischen und pädagogischen Programm erklärt. Falls sich für Frauen die favorisierte Möglichkeit der Lebensgestaltung einer standesgemäßen Heirat nicht realisieren ließ, war Arbeit eine soziale Notwendigkeit. Die einzige Beschäftigungsnische für den Gelderwerb war die Arbeit als Gouvernante, Gesellschafterin und, ab Mitte des Jahrhunderts, als Lehrerin. Der Freiheitskampf der organisierten Frauen konzentrierte sich daher auf eine nachhaltige Verbesserung der Bildungschancen für Mädchen und Frauen. Aktivistinnen handelten im Bewusstsein eines drängenden sozialen Erfordernisses, im Mittelpunkt der Argumentation stand jedoch in alter Tradition die Zweckdienlichkeit der angestrebten Bildung:
Ging es in der kurzen Revolutionszeit noch um die Heranbildung besserer Bürgerinnen, die ihre Erziehungsaufgabe gleichsam als Staatauftrag verstehen sollten, so blieb die Gleichung gebildete Frauen = tugendhaftere bessere Mütter bestehen. Das Recht auf Bildung als Naturrecht wird nur sehr vereinzelt artikuliert.
Um z.B. das Wahlrecht erfolgreich fordern zu können, waren die "Gemäßigten" unter den Feministinnen der Ansicht, Frauen müssten ihre Fähigkeiten erstmal unter Beweis stellen.
Diese im Zeitzusammenhang verständliche Haltung eines großen Teils der organisierten Frauen war nichts für Hedwig Dohm, die nicht gewillt war, von ihren in der Euphorie der 48er Revolution aufgeflammten Idealen zu lassen. Kompromisslos wollte sie das Stimmrecht für Frauen, gleiche Bedingungen für Ausbildung, Studium und Arbeit und all dies ohne den Frauen einen Tauglichkeitsnachweis abzuverlangen. Auch von der Idee eines spezifischen "Gattungscharakters" der Frau, die von etlichen gemäßigten Feministinnen propagiert wurde, hielt Dohm nichts. In vielen Schriften entlarvte sie die sogenannte "Natur der Frau" als soziales und kulturelles Konstrukt. Der Mütterlichkeit, so äußerte sie sich unmissverständlich, müsse die Speckschicht der Idealität, die man ihr angeredet hat, genommen werden. So wirkte sie lange als Einzelkämpferin, doch stets in regem Austausch mit den fortschrittlichsten Intellektuellen der damaligen Zeit. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts organisierten sich endlich auch die radikalen Frauen verstärkt und Hedwig Dohm schloss sich den "Schwestern im Geiste" an.
88 Jahre nach Erringung des Frauenstimmrechts (noch zu Lebzeiten Dohms) sei die Gleichberechtigung zwar noch nicht durch alle Institutionen, aber durch alle Köpfe gegangen, schreibt Alice Schwarzer. Das ist sicher so, doch manchmal ist es, als wäre die Zeit stehen geblieben, seit den fulminanten Wortgefechten, die Hedwig Dohm sich mit unzähligen Antifeministen geliefert hat. "Man kommt sich auf dem Gebiet der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor", schrieb Dohm und dieser Eindruck scheint sich angesichts der aktuellen familienpolitischen Debatten wieder zu bestätigen:
Schade, dass Hedwig Dohm nicht in Maischbergers Talkrunde sitzen konnte, als es um die Geburtenrate in Deutschland ging. Das Lamento des Medienwissenschaftlers Bolz über den Familienniedergang und das Ende der Männlichkeit, verursacht durch berufstätige Frauen, hätte sie zweifelsohne an jenen Arzt erinnert, der zu ihrer Zeit die Theorie von der physiologischem Schwachsinn des Weibes unters Volk brachte. Mit seiner Idee von der potentiellen genetischen Impotenz von Karrierefrauen, machte Bolz dem Mediziner alle Ehre.
Und was hätte sie Eva Hermann, Tagesschausprecherin und Sachbuchautorin, entgegnet, die, unbeleckt von jeder historischen Kenntnis, den verstaubten Zankapfel der biologischen Determination der Frau wieder ausgräbt. Bar jeder Ironie schreibt sie, Frauen verstießen gegen Gesetze, die das Überleben unserer Spezies einst gesichert hätten.
Die beinahe freundliche Mitleidigkeit mit der Hermanns und Bolzens Beiträge aufgenommen wurden, zeigt, dass es sich bei den beiden um VertreterInnen einer mittlerweile unwesentlichen Randgruppe handelt, die aber natürlich trotzdem mitreden darf.
Immerhin, es geht also doch voran.
Noch in diesem Jahr erscheint Hedwig Dohms Roman "Sibilla Dalmar" (1896), darüber hinaus folgen bis zum Jahr 2008 sieben weitere Bände mit Romanen, ihrer feuilletons, darunter Glossen, Rezensionen und Anti-Kriegs-Stücke, die Edition ihrer Briefe und schließlich der Essays - ein großes Vorhaben, dem eine nicht minder große Resonanz beschieden sein möge!
Lesen Sie mehr: AVIVA-Redakteurin Ruth Niehaus "sprach" mit der Schriftstellerin, Publizistin, Dramatikerin und Feministin über Gleichberechtigung und die längeren Beine der Männer. Hier geht´s zum Interview.
Weitere Infos unter: www.hedwigdohm.de
Hedwig Dohm
Ausgewählte Texte
Herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner
Trafo Verlag, Berlin 2006
317 Seiten, Paperback
ISBN 3-89626-559-8