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Beitrag vom 21.03.2006
Schnitt in die Seele. Herausgegeben von Terre des Femmes
Christiane Sanaa
Weibliche Genitalverstümmelung, auch heute noch eine weit verbreitete Praxis, der täglich rund 6.000 Frauen zum Opfer fallen. Ein lebensgefährlicher Eingriff, der gegen die Menschenrechte verstößt
Die Techniken sind perfide und in ihrer Grausamkeit unbeschreiblich. Sie reichen von der teilweisen bis zur vollständigen Amputation der Klitoris und der inneren und äußeren Schamlippen (Exzision). Bei der Infibulation werden nach der Verstümmelung "die blutigen Innenseiten der Vulva so mit einander vernäht oder mit anderen Hilfsmitteln zusammengefügt, dass die verbliebene Haut zu einer Brücke aus Narbengewebe über der Vaginalöffnung und dem Ausgang der Harnröhre zusammenwächst." (S.315) Ein eingefügtes Röhrchen soll den Abfluß des Menstruationsblutes und des Urins ermöglichen. Oft ist die Öffnung jedoch zu klein, so dass es zu Staus und Infektionen kommt.
Die Verstümmelungen werden meistens ohne Betäubung und unter unhypienischen Bedingungen durchgeführt, so dass viele Frauen schon kurz nach dem Eingriff verbluten oder an Infektionen sterben. Auch die Verbreitung des HIV-Virus nimmt vor allem bei Gruppen-Verstümmelungen zu, wenn immer wieder die gleiche Rasierklinge benutzt wird.
Die körperlichen Folgen sind vielfältig: Frigidität, Schmerzen beim Gehen und Stehen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, vor allem wenn die zugenähte Vulva durchstoßen wird, komplizierte Geburten, da das vernarbte Gewebe seine Elastizität verloren hat, immer wiederkehrende Infektionsgefahren durch Aufschneiden, Aufreißen und erneutes Zunähen der Vulva. Die seelischen Folgen kommen erst langsam ins Gespräch, wie z.B. durch das 1997 erschienene Buch "Wüstenblume" der Somilierin Waris Diri, die als Kind verstümmelt wurde.
In 28 afrikanischen Ländern, einigen Regionen Asiens und im Mittleren Osten ist die weibliche Genitalverstümmelung immer noch an der Tagesordnung. Weltweit sind rund 130 Millionen Frauen betroffen, 80% von ihnen erlebten die Exzision. Deshalb ist das 2003 erschienene Buch von "Terre des Femme" notwendiger den je. Es zeigt, wie unfaßbar die aktuelle Situation immer noch ist - aber es zeigt auch Bewegung in einem Kampf gegen alt her gebrachte Traditionen.
In ihrem Vorwort macht die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Heidemarie Wiczorek-Zeul, deutlich, wie notwendig die Solidarität mit und der Schutz für die Mädchen und Frauen ist, die weltweit von diesen Praktiken betroffen sind.
Vorwürfe, die den Kampf gegen diese Praktiken von Seiten der westlichen Gesellschaften als Einmischung in fremde Kulturen und als Kulturimperialismus verurteilen sind haltlos, da weibliche Genitalverstümmelung eine fundamentale Menschenrechtsverletzung ist, die jenseits aller kultureller Grenzen verhindert werden muß.
In den 25 Beiträgen von AutorInnen aus zehn Ländern wird das Thema umfassend dargestellt.
Das 1. Kapitel liefert unwiderlegbare Daten und Fakten zu Fragestellung.
Im 2. Kapitel stellen Frauen aus Afrika ihre Erfahrungen in der praktischen Bildungs- und Erziehungsarbeit dar. Sie fordern Null-Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung.
Im 3. Kapitel werden zahlreiche Aktionen und Projekte vorgestellt, die Hoffnungen und Perspektiven aufzeigen. Vor allem die Kampagnenarbeit auf lokaler Ebene durch einheimische Frauen erweist sich als besonders erfolgreich.
Im 4. Kapitel geht es um wichtige rechtliche Grundlagen, die einen gesellschaftlichen Wandel ebenso wie die Unterstützung und Beratung der Opfer ermöglichen. So ist es immer noch schockierend, dass die Flucht vor Genitalverstümmelung als Asylgrund in Deutschland nicht anerkannt ist. Schutz wird hier den Menschen gewährt, die aus politischen Gründen vor den Repressalien ihres Staates fliehen. Und dazu zählen eben nicht die Frauen, die vor menschenverachtenden und lebensgefährlichen kulturellen Praktiken Schutz suchen.
Zahlreiche Exkurs-Beiträge zur Geschichte der weiblichen Genitalverstümmelung, die in früheren Zeiten auch in Europa und Amerika durchführt wurde, zu den Zusammenhängen zwischen weiblicher und männlicher Genitalverstümmelung, zum feministischen Verständnis des weiblichen Organs und zu aktuellen hiesigen Erscheinungen wie dem Piercing der Genitalien und eine umfangreiche Liste mit Materialien loten das Thema detailliert aus.
AVIVA-TIPP: Ein notwendiges Buch zum Thema Frauenverachtung und Menschenrechte, bei dem der LeserIn an vielen Stellen das Blut in den Adern gefriert. Aber auch ein Buch, das Mut macht durch die Kraft und das Engagement so vieler Frauen, die hart daran arbeiten, weibliche Genitalverstümmelung für immer zu verbannen. Danke an Terre des Femmes.
Terre des Femmes ist eine geimeinützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, die sich dafür einsetzt, dass Frauen und Mädchen ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben führen können und unveränderliche Rechte genießen.
Terre des Femmes unterstützt Frauen und Mädchen durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, Einzelfallhilfe und Förderung von einzelnen Projekten.
Mehr Informationen findes Sie unter www.terre-des-femmes.de
Terre Des Femmes (HG.)
Schnitt in die Seele
Weibliche Genitalverstümmelung - Eine fundamentale Menschenrechtsverletzung
Mauser Verlag, 2003
ISBN 3-935964-28-5
12,90 Euro
329 Seiten, kartoniert