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Beitrag vom 04.06.2003
Trumanshow Berlin-Lichtenberg
Kirsten Eisenberg
In Schokoladenkind erzählt Abini Zöllner von ihrer turbulenten Jugend in Ostberlin, wo sie sich nicht selten fragte: Bin ich Versuchskaninchen eines hochkomplexen Tests der Alltagstücken?
Eigentlich erzählt Abini Zöllner, die 1967 als Tochter einer Jüdin und eines Afrikaners in Berlin-Lichtenberg geboren wurde, nur von einer ganz normalen Jugend im Osten. Eine Normalität allerdings, in der den Schülern der Horst-Viedt-Schule eingetrichtert wird, dass nur durch eisernen Verzicht auf Stoffturnschuhe, lange Haare und blöde Fragen die Tauglichkeit zum Sieg des Sozialismus unter Beweis gestellt werden kann. Gar nicht so einfach, wenn die Sehnsucht nach dem Westpaket mit der original Levi´s einem das sozialistische Bewusstsein trübt...
Mit trockenem Humor, subtiler Ironie aber auch aggressiver Schärfe schildert Zöllner, wie sie trotz eines "aufs strengste gescheitelten" Mathematiklehrers, der statt Ungleichungen lieber Gleichmacherei lehrte, nie zur wahren Pionierin wurde, sondern den Weg des größeren Widerstands wählte.
Nachdem man ihr die Wunschausbildung als Empfangssekretärin verweigert, "weil ihr Vater Ausländer" ist, macht sie eben eine Friseurlehre und taucht dabei mit ihren Azubi-Busenfreundinnen Bianca und Carmen in´s aufregende Ostberliner Nachtleben ein. In dem sich zeigt: "DJ" hieß im Operncafé am Alexanderplatz zwar "Schallplattenunterhalter", doch ansonsten stellten sich Ost- wie West-Jugendliche die gleichen Fragen. "Warum schmeckt mir Alkohol nicht? Und: wie lange muss ich ihn noch trinken, damit er mir schmeckt?"
"Schokoladenkind" ist aber mehr als nur eine heitere Abrechnung mit einem absurden System. Dieses ist zwar der einflussnehmende Rahmen in Abini Zöllners Leben und lässt Erlebnisse zu kleinen und großen Wundern werden, beispielsweise als aus hartem Training im Prenzlauer Hinterhof mit leiernden Radioaufnahmen doch die lang ersehnte und nicht mehr erwartete "Pappe" für TänzerInnen wird.
Trotzdem ist es vor allem die persönliche Entwicklung, welche die Schriftstellerin für ihre LeserInnen und für sich selbst im Roman hinterfragt - was ihre Veränderung der politischen Einstellung von der blindvertrauenden Staatsbürgerin zur kritischen Zweiflerin mit einbezieht. Aus gebührendem Abstand bewertet sie ihr jugendlich-leichtfertiges Leben als Friseurlehrling und später zwischen Strass und Showatmosphäre als Tänzerin im Friedrichstadtpalast. Sie berichtet über ihre innere Wandlung mit der Geburt ihres Sohnes Raoul, ihre heftige, chaotische Ehe mit dem Musiker Dirk Zöllner und ihr neues Leben als Journalistin nach dem Mauerfall - welchen sie zunächst einmal im Bett neben Klein-Raouli verschläft.
"Du bist ein Schokoladenkind und zu schade dafür, einfach vernascht zu werden", gibt Abinis geliebte "Mamel" der 17jährigen mit auf den Weg zur Disco.
Das Buch ist auch eine Hommage der Tochter an die Mutter, welche manchmal übereifrig in ihrer Fürsorglichkeit ist und die Halbwüchsige auch mal zur Klassenfete begleitet. Immer aber bringt sie eine unerschöpfliche Loyalität gegenüber der Tochter auf und akzeptiert, dass Kinder ihren eigenen Weg finden müssen. "Aber jetzt bist Du da", sagt sie einfach, als Abini von einem Kurztrip mit Freundin Bettina, der in einer Prager Gefängniszelle endet, zurückkehrt.
Abini Zöllner arbeitet heute als Redakteurin im Feuilleton-Teil der Berliner Zeitung.
Abini Zöllner
Schokoladenkind. Meine Familie und andere Wunder.
Rowohlt Verlag, 2.Auflage März 2003
253 Seiten, gebunden
ISBN 3 498 07662 0
17,90 €,200446161475"