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Beitrag vom 19.01.2006
Marjane Satrapi - Sticheleien
Karin Effing
Die Autorin des außergewöhnlichen Comics "Persepolis", Marjane Satrapi, hat ein neues Meisterwerk vorgelegt. Sie zeichnet mit liebevollem Blick den weiblichen Alltag im Iran.
Marjane Satrapi wurde bekannt durch die beiden Comics "Persepolis - Eine Kindheit im Iran" und "Persepolis - Jugendjahre", in denen sie die Geschichte und Gegenwart des Iran als Bildergeschichte erzählt. Im ersten Band vermittelt sie aus der Perspektive eines kleinen Mädchens Erhellendes über die islamische Revolution von 1979 und den Krieg mit dem Irak - und zwar in einer einfachen, authentischen Bildsprache. Die Jugendjahre folgen im zweiten Band gleichnamigen Titels.
Dieser Weltbestseller wurde von der Frankfurter Buchmesse 2004 zurecht als "Comic des Jahres" ausgezeichnet.
Mit ihrer neuesten Veröffentlichung "Sticheleien" hat sie nun wieder ein kleines Meisterwerk vorgelegt. Nach den ausführlichen Geschichten, die sie in den "Persepolis"-Bänden vermittelt hat, konzentriert sie sich im neuen Band ganz auf ein Ritual, das sie vor den Augen der Leserin ausbreitet: Mit dem Ende der gemeinsamen Mahlzeit trennen sich die Wege der Geschlechter. Die Frauen gehen in einer geschlossenen Reihe spülen, die Männer schreiten aus dem Bild des Buches heraus, um ihre Siesta zu halten.
Während sie ihr Nickerchen halten, sitzen die Frauen nach getaner Küchenarbeit zusammen und sprechen miteinander. Sie lästern, teilen Geheimnisse und lachen.
Jede erzählt ihre eigene Geschichte oder eine, die sie gehört hat. Es geht um Liebe, Sexualität und Männer. Junge Mädchen werden an ältere Bewerber verheiratet. Das Gespräch einer Iranerin mit einer westlichen Frau über Vaginalverengung wird wiedergegeben. Die Zuhörerinnen brechen in schallendes Gelächter aus.
Sie lassen kein gutes Haar an den Männern, die ihr Gespräch dominieren. Denn ihr Dasein ist immer noch ganz auf sie ausgerichtet. Emanzipatorische, befreiende Gedanken werden nur angedeutet und können noch nicht zu Ende gedacht werden.
Die Frauen sind eine verschworene Gemeinschaft, die über die Sticheleien am Nachmittag, Schmerz und Verletzungen verarbeiten.
Der Humor dient ihnen dabei als Ventil.
Marjane Satrapi stellt die iranische Gesellschaft, die eine strikte hierarchische Geschlechtertrennung vollzieht, liebevoll und auch traurig vor. Ihre Illustrationen sind dabei klar und einfach. Mit viel Humor und Respekt gibt sie ihren Figuren Raum. Die grausamen Einschränkungen und die fehlende sexuelle Autonomie der Frauen stellt sie in ihrer alltäglichen Erscheinungsweise dar. Es ist ihr ein Anliegen, den Stolz ihrer Kultur zu vermitteln, hat sie einmal gesagt. Und das gelingt ihr.
Zur Autorin:
Marjane Satrapi, geboren 1969 in Teheran. Sie erlernte die französische Sprache und studierte die Schönen Künste. In Straßburg beschäftigte sie sich mit Arts déco. Sie lebt heute in Paris, wo sie das Atelier des Vosges besuchte, in dem man sie aufforderte, ihr Leben als Comic zu erzählen.
AVIVA-Tipp: Wieder hat Marjane Satrapi ein wichtiges Buch vorgelegt. Im Stile der Maus-Comis von Art Spiegelmann bringt sie die Ambivalenz des Lebens im Angesicht von Unterdrückung und Gewalt auf den poetischen Punkt. Ein außerordentlich kreativer und überzeugender Comic.
Sticheleien
Marjane Satrapi
Edition Moderne, August 2005
ISBN 3-907055-97-7
18 Euro
Einband Halbleinen, Seiten nicht paginiert