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Beitrag vom 25.04.2006
Literarische Entdeckungen
Karin Effing
Christiane Neudecker belauscht in ihrer ersten Buchveröffentlichung "In der Stille ein Klang" auf bemerkenswerte Weise den Klang und die Vielfalt der Stille. Ein herausragender Erzählband
Es gibt Bücher, die legt man immer wieder zur Seite. Nicht etwa, weil sie langweilig oder anstrengend sind, sondern weil man sie möglichst lange Wort für Wort genießen möchte. In der Stille ein Klang ist so ein Buch. Viel Zeit möchte man mit ihm haben, um sich seine Sätze genüsslich auf der Zunge zergehen zu lassen.
Thema ist, wie der Titel schon verrät, Stille und ihre verschiedenen Ausprägungen. Das kann in den Bergen, in der Stadt oder einer, komplizierten Unterdruck produzierenden Maschine sein. Die titelgebende Erzählung, eine der längsten des Bandes, führt die Leserin nach Dubai. Der Protagonist ist ein absoluter Meister des Klanges, ein Fachmann für Töne und Geräusche. Denn er ist Sounddesigner für ein großes Autounternehmen. Er ist allein vorgefahren, seine Frau Hannah und das gemeinsame Kind sollen ihm nachfolgen.
Am Anfang der Erzählung (und des Buches) steht das Beziehungsschweigen. "Wie das klingt. Wenn einer dir gegenübersteht, der dir sagt, du sollst gehen. Ganz still wird es dann. Du lauschst auf den Nachhall, der nicht kommt. Der ausbleibt im nachschwingenden Schweigen. Ein Schweigen, das dröhnt, möchte man meinen. […] Du aber drehst sie nur in dir, die Worte, und legst sie beiseite, während du starr stehend horchst. Dich wunderst. Über das Getöse der Stille."
Dass die beiden sich trennen werden, ist nicht zuviel gesagt. Schon deswegen nicht, weil sich hier andeutet, worum es in den Erzählungen eigentlich geht: den Gestus des Leise Werdens und Lauschens. So wie Eskimos angeblich unzählige Wörter für die verschiedenen Arten Schnee kennen, so erfindet Christiane Neudecker mit jeder beginnenden Erzählung eine neue Sprache des Hinhörens. Dabei unterscheidet sich das eine Lauschen nur fein vom anderen, das aber eben nicht nur quantitativ, sondern auf beeindruckende qualitative Weise.
Zur Autorin:
Christiane Neudecker, 1974 geboren, ist Regisseurin beim Berliner Künstlernetzwerk phase7 performing.arts. Für ihre Erzählungen wurde sie mit mehreren Fränkischen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2003 erhielt sie den Alfred-Gesswein-Preis, im Sommer 2003 war sie Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses. In der Stille ein Klang ist ihre erste Buchveröffentlichung.
AVIVA-Tipp: In der Stille ein Klang von Christiane Neudecker ist eine der schönsten Buchentdeckungen des letzten Jahres. Fein und genau, melancholisch und mit sprachlicher Gewandtheit legt die junge Autorin ein kleines Meisterwerk vor. Auf ihre nächsten Bücher darf man sich freuen. Trotz der fast uneingeschränkten Begeisterung, eine winzige kritische Bemerkung: Weniger wäre mehr gewesen. So wunderschön die Texte von Christiane sind, auf einige der Texte am Ende hätte man dann doch besser verzichtet.
Christiane Neudecker
In der Stille ein Klang
Sammlung Luchterhand, erschienen November 2005
Kartoniert, 238 Seiten
ISBN: 3-630-62077-9
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