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Beitrag vom 09.01.2006
Der Jüdische Almanach - die Jeckes
Sarah Ross
Der jüdische Almanach des Leo Baeck Instituts von 2005 widmet sich den Lebenswelten der "Jeckes" - der in den dreißiger Jahren vor den Nazis nach Palästina geflohenen deutschen Juden.
In den 1990er Jahren hat das Leo Baeck Institut die Vorkriegstradition des jährlich erscheinenden, deutschsprachigen Jüdischen Almanachs wieder aufgenommen. Damals erschien der Almanach vor allem in den großen Metropolen Berlin, Wien und Prag, jedoch wird er heute, im Auftrag des Jerusalemer Leo Baeck Instituts, in Israel herausgegeben. Anlässlich des 50. Geburtstags des Instituts widmet sich der Jüdische Almanach von 2005, herausgegeben von Gisela Dachs, den deutschstämmigen Juden in Israel - den so genannten Jeckes - und beleuchtet deren Erlebnisse, Schicksale und charakteristische Eigenheiten.
"Kommst du aus Zionismus oder aus Deutschland?" war die Frage, der sich die deutschen Juden stellen mussten, die zwischen 1933 und 1939 vor den Nazis nach Palästina geflohen sind. Man nannten sie die "Jeckes".
Im Volksmund heißt es, dass man sie deshalb so nannte, weil sie auch bei größter Hitze stets ihre Jacketts und Krawatten anbehielten. Eine andere Worterklärung bezieht sich auch die hebräische Abkürzung von jehudi kasche havana - ein Jude, der schwer von Begriff ist. Die genaue Herkunft des Wortes ist nach wie vor ungeklärt.
Die Herausgeberin Gisela Dachs, langjährige Korrespondentin der Wochenzeitung Die Zeit in Israel, hat in diesem Buch 19 Texte von Juden, Israelis und Deutschen zusammengetragen, die zusammen ein umfassendes und zum Teil auch sehr persönliches Bild von den Erfahrungen der Jeckes, ihrem Charakter, ihren Leistungen beim Aufbau des Staates Israel und deren Einfluss auf die israelische Gesellschaft und Kultur zeichnen. Sie berichten von dem Leid, das sie erfuhren, als sie ungewollt ihre Heimat Deutschland verlassen mussten und von der schwierigen Integration in die Pioniergesellschaft.
Alles in allem hat das Buch jedoch ein bestimmtes Ziel: nämlich den Jeckes die Ehre zukommen zu lassen, die ihnen lange Zeit nicht vergönnt war. Was dieses Buch von anderen Publikationen zum Thema unterscheidet, ist, dass erstmals auch die "Zweite Generation", also die Kinder der Jeckes, zu Wort kommen.
Die Juden aus Deutschland waren zu großen Teilen alles andere als gern gesehene MitbürgerInnen - sie galten vielmehr als sonderbar und fremd, ja sogar als AußenseiterInnen. Wegen ihrer guten Sitten, ihrer Höflichkeit und vor allem ihrer preußischen Tugenden, wie Ordentlichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin und Etikette, wurden sie schnell zu einem beliebten Objekt von Witzen und Spötteleien. Auch ihre akademische Bildung überforderte oft die zionistischen, osteuropäischen LandarbeiterInnen, die das jüdische Gemeinwesen in Palästina bis dahin wesentlich prägten. Die deutsche Hebräer passten sich an, aber nur bis zu einem gewissen Maße: Ob selbst gewählt oder doch eher gezwungen - einem Teil ihrer Identität blieben sie stets treu.
Zu Beginn des Buches rekapituliert Avraham Barkai die Entstehungsgeschichte der drei Leo Baeck Institute weltweit, und Tom Segev erzählt, "wie sehr sich die in alle Welt zerstreuten deutschen Juden nach der Shoah auch auf privater Ebene verbunden geblieben waren". Fania Oz-Salzberger und Eli Salzberger berichten über den Obersten Gerichtshof in Israel und seine verborgenen deutschen Quellen und Amos Elon erzählt eine jeckische Heldensaga über Salman Schocken.
Aber auch der Orient als Exil der letzten Europäer (Adi Gordon) und die Jeckes in der DDR (Anetta Kahane) werden neben vielen anderen Aspekten thematisiert.
AVIVA-Tipp: Mit der Besonderheit der fünften Aliyah und besonders der deutschstämmigen Juden in Israel beschäftigt man sich auch auf wissenschaftlicher Ebene erst seit 20 Jahren. Der diesjährige Jüdische Almanach setzt somit nicht nur seine eigene Tradition fort, sondern führt auch den Diskurs um die Jeckes kompetent weiter. Die Auswahl der AutorInnen und der Themen ist ohne Zweifel gut gelungen, und die einzelnen Essays machen den LeserInnen deutlich, wie in den Jeckes Welten und Zeitalter aufeinander prallten, und wie sie in ihrer eigenen Gegenwart eine untergegangene Welt konservierten. Der Jüdische Almanach von 2005 vermittelt nicht nur ein eindrucksvolles Bild der Jeckes, sondern macht auch Lust, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen.
Zur Herausgeberin:
Gisela Dachs ist seit 1994 Korrespondentin der Zeit in Israel.
Lesen Sie hierzu auch "Zweimal Heimat. Die Jeckes zwischen Mitteleuropa und Nahost" von Moshe Zimmermann und Yotam Hotam.
Jüdischer Almanach des Leo Baeck Instituts
Die Jeckes
Herausgegeben von Gisela Dach. Fotos von Micha Bar-Am.
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, September 2005
ISBN 3-633-54219-1
Taschenbuch, 188 Seiten
14,80 Euro90008115&artiId=3548804&nav=5081"