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Beitrag vom 19.11.2003
Germaine Greer. Der Knabe (The Boy)
Sabine Grunwald
Die "Ikone des Feminismus" propagiert den Anspruch der Frau auf die Lust am visuellen Genuss, indem sie die Facetten der Knaben-Gestalt in einen gesamthistorischen Kontext stellt.
Germaine Greer bricht wieder einmal ein Tabu. Mit ihrem neuesten Werk "Der Knabe", das sich mit der Darstellung jungenhafter Schönheit und Erotik befasst, wagt sie sich an ein Thema, das häufig mit moralischen Schranken belegt wird.
Nicht nur widersprach die zur Schau Stellung männlicher Schönheit feministischen Zielen, sondern schürte auch die Schuldgefühle mancher männlicher Betrachter, unter dem Verdacht der Pädophilie zu stehen.
Seit der Antike sind Knaben Objekte der Begierde und Inbegriff der Schönheit, mit denen sich auch die westliche Kunst über Jahrhunderte hinweg begeistert beschäftigt hat.
Die Entsexualisierung des Knaben in der Kunst setzte erst ein als auch Frauen den Zugang zum öffentlichen Kanon der Kunst erhielten und als Museumsbesucherinnen vor dem unmoralischen Anblick nackter "Tatsachen" geschützt werden sollten.
Erst im 19. Jahrhundert etablierte sich der weibliche Akt in der Malerei, bis dahin dienten Knaben als Modelle, sowohl für männliche, als auch für weibliche Darstellungen. Das gleiche Phänomen konnte in den artverwandten Künsten, dem Theater, der Oper und im Tanz beobachtet werden.
Doch trotz aller Versuche, die visuelle Lust auf die fragile Schönheit des Jünglings zu vernichten, feierte der androgyne Knabe seine Renaissance im Film (James Dean), im Tanz (Nijinskij), der Popkultur (Boy George), der Malerei (Schiele), der Fotografie und der Werbung.
Die Feministin Germaine Greer zeigt in diesem Bildband die Facetten der Knaben-Gestalt und stellt sie in einen gesamthistorischen Kontext. Mit den Augen einer Frau untersucht sie die Kunst- und Kulturgeschichte der letzten fünfhundert Jahre. Sie setzt sich in den einzelnen Kapiteln mit folgenden Themen auseinander:
"Die Kastration Amors", "Das passive Objekt der Liebe", "Der Knabe als Soldat und Diener", um nur einige Motive zu nennen.
Ihr Plädoyer für die ästhetische Betrachtung "männlicher Schönheit" gipfelt in ihrer Überzeugung, dass der Knabe ein Bundesgenosse im Kampf für die Feminisierung der Gesellschaft sei, in dem er die ganze Vorstellungswelt männlicher Überlegenheit umstürze.
Germaine Greer, 1939 in Melbourne geboren, promovierte über Shakespeares frühe Komödien. Mit ihrem Buch "Der weibliche Eunuch" (1968) wurde sie über Nacht weltberühmt und lieferte einen wichtigen Beitrag zur sexuellen Befreiung der Frau. Die in England lebende Autorin und Professorin gehört zu den wichtigsten Philosophinnen der internationalen Frauenbewegung
AVIVA-Tipp: Ein visueller und geistreicher Kunst-Genuss
Germaine Greer
Der Knabe
Aus dem Englischen von Sylvia Strasser
Verlag, Gerstenberg Verlag, Oktober 2003
ISBN 3-8067-2920-4
39,90 EUR
Hardcover, 256 Seiten, 200 Abb., davon 150 in Farbe 200856875875