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Beitrag vom 24.03.2009
Lucia Puenzo - Das Fischkind
Silvy Pommerenke
Der Debütroman der argentinischen Autorin sorgt zur Zeit für überschäumenden Wirbel auf Seiten der Literaturkritik. Aber ob viele positive Rezensionen auch einen guten Roman ausmachen?
Bereits 2004 verfasste LucÃa Puenzo "Das Fischkind", in dem einerseits eine traditionelle Sage eines Jungen erzählt wird, der mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern und mit Kiemen statt einer Lunge ausgestattet ist und unter Wasser lebt. Allegorisch wird damit der Tod des Kindes von Lin alias Guayi, einer der beiden Protagonistinnen des Romans, be- und verarbeitet. (Kein ungewöhnliches Motiv, denn u.a. Jeannette Winterson verarbeitete dies in ihrem Roman "Verlangen".) Dieses Motiv gibt dem Roman zwar seinen Titel, ist auch für beide Protagonistinnen nicht ganz bedeutungslos, aber eigentlich für die Geschichte nicht wirklich wichtig. Denn der Hauptplot handelt von zwei etwa 17-jährigen jungen Frauen in Buenos Aires, die auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Hierarchien stehen und sich dennoch ineinander verlieben. Guayi ist Paraguayerin, gleichzeitig Haushälterin im elitären Zuhause von Lala, ihrer Gegenspielerin, und sie verdreht der ganzen Familie den Kopf. Der erste, der sich unsterblich in sie verliebt ist Serafin, ein kleiner räudiger Hund, der dem Roman bitterbösen Humor einhaucht. Alles wird von ihm kommentiert, sei es, dass er die Oberweiten von Frauen mit lüsternem Blick begutachtet, über die prüde Hündin aus der Nachbarschaft ablästert oder er als Drogentester herhalten muss, weil Pep, der Bruder von Lala, nicht genau weiß, welche Güte der Stoff hat, mit dem er dealt.
Wer sich auch den Kopf von Guayi verdrehen lässt, ist der Vater von Lala, der unter dem Namen Brontë einen Bestseller nach dem anderen schreibt und zwischendurch immer mal wieder theatralisch über einen inszenierten Suizid nachdenkt. Natürlich kann er nicht lange die Finger von seiner attraktiven Angestellten lassen, und da sie sich ihm nicht freiwillig hingibt, wird sie kurzerhand von ihm vergewaltigt und später zur Zwangs-Geliebten gemacht. Da aber Lala und Guayi auch schon seit einiger Zeit Geliebte sind und letztere spurlos verschwindet, beschließt Lala ihren Vater umzubringen. Nach der Tat flieht sie mit Serafin nach Paraguay, aber dort weisen alle Indizien wieder zurück nach Argentinien. Schließlich wird sie fündig, aber die ehemalige Geliebte reagiert nicht ganz so, wie es sich Lala erhofft hatte ...
Alles in allem kann der Roman nicht die Erwartungen halten, die durch die zahlreichen positiven Rezensionen evoziert werden. Die Idee, ein Tier zu einer Hauptfigur eines Romans zu machen, ist nicht neu, erhält aber in diesem Fall durch die Gestalt von Serafin tatsächlich etwas Besonderes. LucÃa Puenzo hat sich ein fieses Alter Ego geschaffen, was einerseits die Schlechtigkeit in Hund, pardon, in Person ist, andererseits dennoch liebenswerte Züge trägt. Somit lebt der Roman vor allem durch die Gestaltung dieses Hundes. Die anderen wesentlichen Figuren, Lala und Guayi, sind relativ leblos und blass entworfen worden, und die vermeintliche amour fou zwischen den beiden hat etwas so Zerstörerisches an sich, dass lediglich ein beklemmendes Gefühl beim Lesen entsteht. Auch führt die Autorin innerhalb kürzester Zeit nahezu zwanzig verschiedenen Charaktere ein, so dass man sich ohne Stift und Zettel schnell verzettelt, und das nur, um hinterher festzustellen, dass ein Großteil der gerade noch eingeführten Figuren gar keinen tieferen Sinn in diesem Roman zugesprochen bekommen. Auch sprachlich kann dieses Debut nicht wirklich überzeugen, wobei dies natürlich auch an der Ãœbersetzung liegen könnte. Der einzige Lichtblick des Romans ist der des Galgenhumors, der sich quer durch die knapp 160 Seiten hindurchzieht und die Figur des Serafin, den man abstoßend und liebenswert zugleich findet.
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Zur Autorin: Lucia Puenzo wurde 1976 in Buenos Aires geboren. Zur Zeit arbeitet sie gleichzeitig an ihrem vierten Roman und zweiten Kinofilm, der Verfilmung ihres Erstlingsromans Das Fischkind. Ihr Debüt als Regisseurin gab sie 2007 mit XXY, der im selben Jahr beim Filmfestival in Cannes ausgezeichnet wurde. (Quelle: Verlagsinformationen)
AVIVA-Fazit: Die Geschichte bietet eigentlich ein großartiges Potenzial, das die Autorin leider nur ansatzweise nutzt. Sie bleibt sowohl inhaltlich als auch bei dem Entwurf ihrer Figuren an der Oberfläche, könnte vieles mehr ausführen, um damit beispielsweise die Magie – die zweifelsfrei darin steckt – stärker zum Leuchten zu bringen. Vielleicht hängen die vielfältigen Lobeshymnen auf Puenzo auch mit ihrem Vater Luis zusammen, der ebenfalls Regisseur und zudem Oscarpreisträger ist, oder dass die Autorin kürzlich zur Berlinale 2009 ihre Verfilmung von "Fischkind" präsentiert hat. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es hierzulande nur wenig vergleichbare Literatur aus dem Argentinischen gibt?
Lucia Puenzo
Das Fischkind
Verlag: Wagenbach, Februar 2009
Gebunden, 156 Seiten
ISBN: 978-3803132208
16,90 Euro