Die Tochter der Geliebten - A. M. Homes - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Buecher



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.01.2009


Die Tochter der Geliebten - A. M. Homes
»Nana« Nicole Wenger

"Ihr Päckchen ist angekommen, und es hat eine rosa Schleife." Mit diesen Worten werden die Adoptiveltern A. M. Homes` von der Geburt ihrer Tochter informiert. Doch was bedeutet es für das Mädchen...




... was bedeutet es für die junge jüdische Frau und die erfolgreiche Autorin, adoptiert zu sein?

Fast jeder Mensch stellt sich im Verlauf seines Lebens die Frage: "Wer bin ich?" und "Wohin gehöre ich?" – Für viele Adoptierte ist dies aber keine philosophische Frage, sondern eine real-existenzielle. Es ist eine Ungewissheit, die in ihrem Innern bohrt. Aber ist es nicht das unverbriefte Recht eines jeden Menschen zu wissen, wer Vater und Mutter sind

Diesen sehr persönlichen und intimen Fragen geht die amerikanische Autorin A. M. Homes nach. Als Selbstbetroffene begibt sie sich auf die Suche nach ihrer Identität und den Geschichten ihrer Familie(n). Was bedeutet Adoption eigentlich? Von den unterschiedlichen Adoptionsformen einmal abgesehen, bedeutet es die "Annahme an Kindes statt" bzw. juristisch ausgedrückt das "Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses ohne Rücksicht auf die natürlich-biologische Abstammung". Die Persönlichkeits-Rechte des Adoptivkindes sind - in Deutschland wie in den USA – eher schwach und das Mitspracherecht erheblich eingeschränkt. So kann beispielsweise der Vornamen oder auch die Religion des Kindes geändert werden, und viele empfinden diese neue angenommene "Identität" als Schattendasein:

"Nachdem ich mein ganzes Leben in einem virtuellen Zeugenschutzprogramm verbracht habe, ist meine Tarnung nun aufgeflogen. Als ich aufstehe, weiß ich etwas über mich: Ich bin die Tochter der Geliebten."

A. M. Homes ist 31 Jahre alt, als sich die leibliche Mutter über einen Anwalt bei ihr meldet. Doch der Kontakt zur Mutter reißt viele Wunden und Ängste wieder auf und neue Probleme entstehen. A. M. Homes nähert sich langsam und mühsam der Unbekannten an. Auch die Annäherung zum Vater gestaltet sich schwierig. Wird er sich zu seiner Tochter bekennen und auch die Verantwortung für das Vergangene übernehmen?
Schon in Homes ersten Zeilen wird deutlich, wie schwierig, traumatisch, emotional und aufregend die Suche nach der biologischen Identität sein kann, und das für alle Beteiligten. Es beginnt ein mühsamer und steiniger Weg, der von vielen Hindernisse, Ressentiments, Rücksichtsforderungen der Eltern und der Gesellschaft etc. gesäumt wird.

"Ich glaube nicht, das Recht zu haben. Das ist eine der pathologischen Komplikationen einer Adoption – Adoptierte haben keine Rechte, ihr Leben dreht sich darum, Geheimnisse zu bewahren, die Bedürfnisse und Wünsche anderer zu erfüllen"

Adoptierte befinden sich oftmals in einer komplizierten und emotional stark aufgeladenen Beziehung zu sich und ihren Eltern. Denn die Suche nach den leiblichen Eltern ist nicht nur für das Adoptivkind sondern auch für die sozialen und biologischen Eltern geradezu beängstigend. Die Adoptiveltern fürchten den "Verlust" des Kindes und empfinden mitunter die Suche des Kindes als "Ablehnung". Beide Eltern müssen die Entdeckung alter Lügen und Geheimnisse fürchten ... und dem Kind droht der Einsturz der selbst erbauten Fantasiegebilde.

"Ihr Päckchen ist angekommen." Mit ihrem unglaublichen sprachlichen Vermögen gelingt es A. M. Homes die Sprachlosigkeit und Ohnmacht, die Heimatlosigkeit, die Gefühle des Nicht-gewollt-werdens und des Nicht-dazu-gehörens eines Adoptivkindes zu beschreiben. Viele Betroffene tragen ihre Adoption als sogenanntes Päckchen mit sich herum und empfinden sie als Stigma und Makel. An diesen Gefühlen kann auch die berufliche Karriere - als erfolgreiche Schriftstellerin – wenig ändern. Es sind die offenen Antworten von Adoptiv- und leiblichen Eltern, die zur Selbstbestimmung und Entwicklung beitragen können.

Weiterlesen: "Dieses Buch wird ihr Leben retten!" oder "Und morgen sind wir glücklich" von A. M. Homes.

Zur Autorin: A. M. Homes schrieb ihren ersten Roman "Jack", für den sie 1993 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, im Alter von 19 Jahren. Es folgten drei Romane und zwei Kurzgeschichtenbände. Sie gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen der USA und hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten. A. M. Homes lebt in New York City. (Quelle: Verlagsinformationen)

AVIVA-Tipp: Diese großartige Autorin gewährt mit ihrem Buch einen tiefen Einblick in ihre Adoptions- und Familiengeschichte. "Die Tochter der Geliebten" beschreibt mit einer unglaublichen Offenheit dieses sensible und persönliche Thema der Wurzelsuche. Dabei skizziert sie auch ein Sittenbild der USA in den Sechzigern. Dieses Buch ist ein mutiges Buch – emotional und ehrlich!

A. M. Homes
Die Tochter der Geliebten

Aus dem amerikanischen Englisch von Ingo Herzke
Kiepenheuer & Witsch, erschienen Oktober 2008
Gebunden 236 Seiten
ISBN: 978-3462040340
17,95 Euro


Buecher

Beitrag vom 15.01.2009

AVIVA-Redaktion