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Beitrag vom 03.10.2008
Nadine Gordimer – Beethoven war ein Sechzehntel schwarz
»Nana« Nicole Wenger
Die 85-jährige südafrikanische Literatur-Nobelpreisträgerin vollführt einen literarischen Drahtseilakt auf höchstem Niveau. Sie lässt in ihren Geschichten Tote dinieren und diskutieren und sucht...
...mit ihren HeldInnen nach deren Herkunft, Geschichte und Identität.
Nadine Gordimer hat in ihren kleinen Erzählband ergreifende wie erschütternde Erinnerungen, Träume und fiktionale Reflexionen gebannt. In ihrer Eröffnungserzählung "Beethoven war ein Sechzehntel schwarz" schickt sie ihren Protagonisten auf die Suche nach seiner Identität und legt dabei schonungslos die mitunter absurden und verzerrten Welt- und Selbstbilder des Einzelnen der Post-Apartheidsära Südafrikas frei:
"Beethoven war ein Sechzehntel Schwarz, verkündete der Moderator eines Radiosenders für klassische Musik [...].Ist diese Behauptung des Moderators eine Wiedergutmachung an Beethoven? [...] Früher gab es Schwarze, die weiß sein wollten. Jetzt gibt es Weiße, die schwarz sein wollen."
Frederick Morris, Professor der Biologie und Aktivist in einer Widerstandsbewegung, ist einer von ihnen und klammert sich fast verzweifelt an die "One-drop-blood-Theory". Nach dieser Theorie, die zur Diskriminierung schwarzer Menschen konstruiert wurde, reicht ein Tröpfchen Blut für die Unterscheidung von Schwarz und Weiß aus. Er bedient sich unbewusst einer weißen und rassistischen Ideologie, diesmal aber nicht um andere aus- sondern um sich selbst einzugrenzen. Seine Suche nach einer vermeintlichen schwarzen Identität wird von Gordimer scharfsinnig beschrieben und entwirft ein mehrdimensionales Bild von den Folgen des Rassismus mit seinen schwarzen und weißen Opfern.
In ihrer autobiografisch angedeuteten Erzählung "Von den Toten träumen" lässt sie die Ich-Erzählerin in ihrem Traum mit den bereits verstorbenen Intellektuellen Edward Said, Susan Sontag und Anthony Sampson zusammentreffen, die in ihren Theorien die Gesellschaft aus westlicher, nah-östlicher und afrikanischer Perspektive analysieren. In einem chinesischen Restaurant in New York wird noch einmal das Charisma von Susan Sontag und das musikalische Talent des Orientalismus-Forschers und Komponisten Edward Said heraufbeschworen. Die Ich-Erzählerin kann an dem Feuerwerk der Worte noch nicht teilnehmen. Zu sehr wird sie von der Sehnsucht nach einem weiteren, sehr nahe stehenden Toten, dessen Namen der LeserIn nicht genannt wird und and die Welt der Lebenden gefesselt.
Die Auseinandersetzung und Aufweichung starrer Begrifflichkeiten und Definitionen, wird auch in den anderen zwölf Erzählungen, wie beispielsweise über "Die frivole Frau" weitergeführt und bewerkstelligt mit Gordimers glasklarer Sprache eine beeindruckende Einheit.
Weiterlesen: "Fremdling unter Fremden" ebenfalls von Nadine Gordimer und "Ich etc." von Susan Sontag.
Zur Autorin: Nadine Gordimer wurde 1923 in Springs/Transvaal in der Nähe von Johannesburg, Südafrika, als Tochter jüdischer Eltern geboren. Seit ihrem Studium der Geisteswissenschaften ist sie als Schriftstellerin tätig und veröffentlichte bereits 1949 ihren ersten Band mit Kurzgeschichten. 1953 folgte ihr autobiografischer Debütroman "Die Entzauberung". Von Kindesbeinen an den Ausprägungen von Rassenhass und Diskriminierung, besonders der Gewaltherrschaft der Apartheidsregierung Südafrikas ausgesetzt, engagiert sie sich kontinuierlich für ein friedliches und tolerantes Südafrika. Wegen ihrer öffentlichen und literarischen Auseinandersetzung mit dem Regime des weißen Südafrikas, zog sie schnell die Anfeindungen beider Seiten auf sich. Anfang der neunziger Jahre trat sie dem ANC bei.
Nadine Gordimer wurde mit zahlreichen und renommierten Literaturpreisen, u.a. dem Booker Prize, ausgezeichnet.1991 erhielt sie als siebte Frau in der Geschichte den Nobelpreis für Literatur.
AVIVA-Tipp: Nadine Gordimer setzt sich auf eine differenzierte und sensible Weise mit den zentralen Themen Südafrikas und der heutige Zeit auseinander, ohne sich zu propagandistischer Polemik, Paternalismus oder einseitiger Parteinahme hinreißen zu lassen. Zeitlebens positioniert sie sich selbst in der Kunst und grenzt betont ihr Wirken von der Politik ab. Dennoch legen diese Erzählungen einer vermeintlich Unpolitischen wieder einmal Zeugnis von Gordimers intellektuellen Weitblick und Scharfsinn ab. Sie besitzt die seltene Gabe, ihre oft schwer verdaulichen Themen mit einem wohldosierten Wortwitz und feiner Selbstironie zu erfrischen.
Nadine Gordimer
Beethoven war ein Sechzehntel schwarz
Originaltitel: Beethoven was One-Sixteenth Black
Aus dem Englischen von Malte Friedrich
Berlin Verlag, August 2008
Gebundene Ausgabe, 176 Seiten
ISBN: 978-3-8270-0803-9
19,90 Euro