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Beitrag vom 11.03.2011
Hilal Sezgin - Landleben. Von einer, die raus zog
Britta Leudolph
Für einige ein Traum, für andere eine unangenehme Vorstellung: ein Umzug von der Großstadt aufs Land. Hilal Sezgin hat es gewagt und ist dabei sehr glücklich, aber auch schwer beschäftigt.
Die Lüneburger Heide, südlich von Hamburg und nördlich von Wolfsburg gelegen, ist eine zumeist wellenförmige Landschaft, die früher einmal durch weiträumige Heidefläche und tiefe Urwälder gekennzeichnet war, bevor der Mensch Hand an die Region legte. In der Regel passiert hier nicht viel, Hase, Fuchs und Heidschnucke treffen sich eher selten, um sich eine gute Nacht zu wünschen. Die Gegend ist seit jeher dünn besiedelt, der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt in Ortschaften mit unter 1.000 EinwohnerInnen.
Für genau dieses menschenarme und tierreiche Fleckchen Erde entscheidet sich Hilal Sezgin, als sie beschließt, der Millionenstadt Frankfurt den Rücken zu kehren um aufs Land zu ziehen. Es dauert eine Weile, bis sie das für sich perfekte Haus findet: "Ein Backsteinhaus mit einem großen Giebelfenster an der Stirnseite, mit einem dekorativen alten gusseisernen Zaun davor, der allerdings nach wenigen Metern abrupt endete, und einer weißen Holztür. […] In den Neunzigerjahren wurde das jetzige Haus von Grund auf neu, aber unter Verwendung alter Steine und Balken errichtet. Die großen, hellen Räume waren wunderbar proportioniert und, wie mein künftiger Vermieter nun erzählte, nach seinen Ideen angelegt worden. Allerdings, fuhr er fort, hätten sie sich beim Bau sehr gut amüsiert und zu dem Zwecke auch viel getrunken, weswegen das Haus auf einer Seite einen Meter breiter sei als auf der anderen."
Hier also zieht sie ein, mit ihren Katzen und gebrauchten Möbeln die sie im Internet ersteigert hat. Neben ihrem Haus grasen Schafe, die gern auch mal ihren Garten nach Leckereien durchstöbern. Schon nach kurzer Zeit fühlt sich Hilal für ihre NachbarInnen, die Schafe, verantwortlich: "[…] jetzt waren seit meinem Umzug keine zwei Monate vergangen, ich hatte Spritzengeben gelernt, die Schafe trippelten gesunden Fußes über die Wiesen." Oft ist sie damit beschäftigt, die Schafe aus dem Wald oder von der Straße zurück auf die Wiese zu treiben, sie medizinisch zu betreuen oder ihren Stall auszumisten. Bei diesen Gelegenheiten lernt sie ihre NachbarInnen besser kennen und stellt fest, dass die Beziehungen auf dem Lande wesentlich verbindlicher sind, als die in der Stadt, wo selbst Verabredungen zum Kaffee unter Vorbehalt getroffen werden. Sie muss zudem feststellen, dass das dörfliche Leben einer wesentlich größeren Ausstattung bedarf: Säureresistente Gummistiefel und allerlei Materialien, die der Instandhaltung des Gartens und des Hauses dienen.
Und dann ist da Hilal Sezgins fast grenzenlose Tierliebe. Seit über 15 Jahren ist sie Vegetarierin und kann kein Tier leiden sehen. Als sie das erste Mal einen ökologisch bewirtschafteten Hühnerstall betritt, wird ihr klar, dass es auch hier zu rettende Tiere gibt und sie zögert nicht lange: auf ihrem Hof ist natürlich auch noch Platz für einen Hühnerstall: "In den nächsten Wochen stellte ich mir einen Gartenstuhl neben dem Auslauf, weil ich ihnen so gern beim Scharren und Picken und Trinken zuschaute, ich hoffte eigentlich, dass niemand bemerken würde, wozu dieser Stuhl diente, weil ich es selbst etwas albern fand, in meiner Freizeit Hühner zu beobachten. […] Den Hühnern beim Herumwuseln zuzuschauen hat etwas ähnliches Beruhigendes, wie im Urlaub aufs Meer zu schauen."
Zur Autorin: Hilal Sezgin wurde 1970 in Frankfurt/Main als Tochter zweier IslamwissenschaftlerInnen geboren. In ihrer Geburtsstadt studierte sie Philosophie mit den Schwerpunkten Moralphilosophie und politische Theorie sowie Soziologie und Germanistik. Als freie Autorin beschäftigt sich Sezgin bevorzugt mit den Themen Feminismus, Islam und Islamophobie in Europa, Tierrechte und Tierethik. Sie schreibt unter anderem für die ZEIT, die Frankfurter Rundschau und die taz. 1999 debütierte sie mit dem Kriminalroman "Der Tod des Maßschneiders". Zuletzt erschien 2010 "Mihriban pfeift auf Gott". Sie lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide.
AVIVA-Tipp: Hilal Sezgin verbindet in ihrem Buch "Landleben" die Schilderungen ihres Auszugs aufs Land mit philosophischen Überlegungen. Schon kurze Zeit nach ihrem Umzug in die Lüneburger Heide weiß sie schon sehr viel über die Behandlung von Schafkrankheiten und über das Aufpäppeln von kranken Hühnern. Dabei stößt sie immer wieder an die Grenzen des Machbaren. Sie lernt aber auch die Vorzüge einer ländlichen Gemeinschaft kennen, wo eine helfende Hand und guter Rat nie weit weg zu sein scheinen. Sezgins liebevolle Beschreibungen sind manchmal lustig, manchmal melancholisch, insgesamt eine wunderbare Liebeserklärung an das Leben auf dem Lande. Ganz nebenbei und unaufdringlich lernt die Leserin viel über die Grausamkeiten, die sich selbst in der ökologischen Landwirtschaft finden, über die Mühen der Tierhaltung und das Einmachen von Früchten.
Landleben. Von einer, die raus zog
Hilal Segzin
Dumont Verlag, erschienen Februar 2011
Hardcover, 269 Seiten
ISBN 978-3-8321-9623-3
19,90 Euro
Weitere Infos unter:
www.hilalsezgin.de
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