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Beitrag vom 01.03.2011
Tanja Dückers - Hausers Zimmer
Claire Horst
Westberlin im Jahr 1982. Julika Zürn lebt mit ihren Eltern und dem älteren Bruder Falk in einer riesigen Altbauwohnung. Neben mehreren KünstlerInnen lebt hier auch ein "Prolet": der ...
... Motorradrocker Hauser.
Mit der Beobachtung von Hauser verbringt die 14jährige Julika ganze Nächte. Per Fernglas sieht sie ihm beim An- und Ausziehen, beim Sex mit wechselnden Partnerinnen oder einfach beim Schlafen zu. Das orange Viereck seines Fensters ist ihr Orientierungspunkt, daran, ob es erleuchtet ist oder nicht, misst sich ihre Tagesstimmung. Und obwohl Julika sich durchaus für ihre Umgebung, für die kleine und die große Politik interessiert, verblasst das alles neben den Bewegungen, die sie in dem Viereck sehen kann.
"Für einen Moment... schien mir unser Haus, der Hof, meine Familie, meine ganze Umgebung vollkommen irreal. Alles war Kulisse, alles konnte morgen vorbei sein - bis auf die Ratten, die Tauben, die Ruine der Gedächtniskirche und das jetzt im beginnenden Schneeregen flimmernde Lichtviereck auf der anderen Seite des Hofs. Ich stand am Fenster, hörte auf das Glucksen und sah in den schwarzen Himmel, der von unten her erleuchtet wurde, als hätte er orangefarbene Wurzeln geschlagen. Dann holte ich mein Hauser-Heft heraus und malte neben das schwarze ein orangefarbenes Quadrat."
Seltsam reglos erscheint die Atmosphäre in diesem Berlin, friedlich und sehr langweilig. Es ist ein stilles Leben auf einer abgeschiedenen Insel, keine Spur von der Weltstadt, als die Berlin sich heute so gern verkauft. Vielleicht ist dieser Eindruck auch ein wenig der übergroßen Harmonie geschuldet, in der Julika mit ihren Eltern und ihrem Bruder lebt. KünstlerInnen und SammlerInnen, sind die Eltern durchaus anstrengende Personen. Und trotzdem nehmen sich hier alle gegenseitig ernst, wird alles ausdiskutiert, interessieren sich die Jugendlichen für Weltpolitik und haben die Erwachsenen Zeit, sie ihnen zu erklären.
Eine behagliche und irgendwie bequeme Stimmung löst der Roman aus. Eine leise Melancholie ist zu spüren, eine Trauer darüber, dass dieses Berlin der Mauer, der Abbruchhäuser und der Anti-Pershing-Demonstrationen nicht mehr existiert. Diesen Ton trifft Dückers sehr genau. Seltsam wirkt nur die Erzählperspektive. Dückers` Figuren befinden sich nicht wirklich in der Zeit, von der hier erzählt wird. Wie die Autorin selbst scheinen sie beständig aus der Zukunft, vielleicht aus dem Jahr 2011 heraus zu reflektieren, wie das denn nun war in diesem Jahr 1982. "Ob man wohl in dreißig Jahren noch von diesem Coppik sprechen wird?", fragen sie sich dann, und wenn Julika ihr Berlin beschreibt, scheint sie es für die Nachwelt zu tun: "Piratensender Powerplay mit Mike Krüger hätte ich mir sparen können, dafür mochte ich das abendliche Schlendern auf dem Ku´damm. Tagsüber wurde er beherrscht von den thatcherartigen Ku´dammladys... Und es gab jede Menge Kinos, gute Kinos, große und kleine, altmodische und neu gestylte: im Europa Center das Capitol, gegenüber Wertheim das Gloria, nahe beim Café Kranzler die Filmbühne Wien..."
Julika betrachtet Berlin, schließt Freundschaften, wartet, dass das Leben beginnt.
Im Widerstreit mit ihren Eltern, die sich als Linke verstehen, aber Hauser verachten, in der Auseinandersetzung mit ihrem kiffenden Bruder wird sie langsam erwachsen. Und sonst geschieht eigentlich nichts. Von diesem Nichts erzählt Tanja Dückers mit einer Hingabe, die das verblichene Westberlin wieder auferstehen lässt.
AVIVA-Tipp: Es gehört schon Mut dazu, die Gegend um den Ku`damm in den Mittelpunkt eines Berlinromans zu stellen. Altmodisch-behäbig, wie dieser Teil Berlins wirkt, entspricht er dem von Dückers heraufbeschworenen Achtziger-Jahre-Zeitgeist genau. Vielleicht ist es nicht so wichtig, dass die Figuren manchmal zu Verkörperungen heutiger Gedankenströme werden. Denn im Mittelpunkt des Romans steht sowieso die Stadt. Und schreiben, das kann Dückers. An dem Roman hat sie zehn Jahre gearbeitet, und dass sie Worte sehr genau setzt, ist ihrer wunderbaren Sprache anzumerken.
Zur Autorin: Tanja Dückers , Jahrgang 1968, ist Germanistin, Kunsthistorikerin, Autorin von Gedichten, Essays, Romanen und Erzählungen und Kolumnistin der Frankfurter Rundschau, der Zeit und des Magazins Bücher. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Preise und wurde 2006 vom Deutschen Historischen Museum zu den zehn wichtigsten SchriftstellerInnen unter 40 und den 100 kreativsten Köpfen Deutschlands gewählt. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: www.tanjadueckers.de
Tanja Dückers
Hausers Zimmer
Schöffling Verlag, erschienen Februar 2011
496 Seiten. Gebunden
Euro 24,95
ISBN: 978-3-89561-010-3
www.schoeffling.de
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