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Beitrag vom 29.06.2011
Jeanette Winterson - Die steinernen Götter
Britta Meyer
In drei Welten existieren, gleichgültig gegenüber Raum, Zeit, Geschlechtszugehörigkeit oder Inkarnationen, Billie und Spike. Ob Spike ein Roboter oder ein Mensch und Billie eine...
... Frau oder ein Mann ist, erscheint genau so nebensächlich, wie die unterschiedlichen Szenarien. Wichtig ist nur, dass es sie gibt und dass sie sich begegnen
Schöne neue Plastikwelt
Auf dem der Erde sehr ähnlichen Planeten Orbit existiert eine Welt des bis auf die zynische Spitze getriebenen Kapitalismus´, alle sind ewig jung und unwahrscheinlich schön, alles ist käuflich und nichts hat mehr einen Wert. Die Menschen stoppen ihren Alterungsprozess, indem sie sich genetisch fixieren lassen. Seit alle Körper medizinisch und ästhetisch optimiert sind, könnte Sex an sich nicht uninteressanter sein, dementsprechend lukrativ ist das Geschäft mit allem, was anders und möglichst verboten ist. Der Mensch ist schon lange gläsern geworden und über einen implantierten Chip können alle erdenklichen Informationen über eine Person abgerufen werden. Billie Crusoe ist wahrscheinlich der einzige Mensch innerhalb dieses dystopischen Schreckensszenarios, der nicht alles um sich herum begeistert hochleben lässt. Sie liest tatsächlich noch echte Bücher, hat sich nicht fixieren lassen und lebt auf einem Bauernhof mit echten Tieren außerhalb der durchgestylten Stadt. Billie verliebt sich in Spike, einen nicht nur intelligenten, sondern auch beseelten Roboter, den so genannten "Robo Sapiens".
In einer anderen Zeit und an einem anderen Ort
Im Jahr 1774 lässt Captain Cooks Flotte den jungen Seemann Billy auf den Osterinseln zurück, wo er sich in den Eingeborenen Spikkers verliebt. Doch die Inseln sind Schauplatz brutaler Machtkämpfe zweier Religionen und das wiederkehrende Thema der Umweltzerstörung macht auch vor dem Südseeparadies nicht halt. Auch hier gibt es keinen sicheren Hafen für die beiden, die Szenerie muss erneut wechseln.
"Wir spalten die Welt in drei Teile. Das Gehirn spaltet sie offenbar nur entzwei: in das Jetzt und in das Nicht-Jetzt. Im Nicht-Jetzt also kann ich sagen, dass ich ausgesetzt wurde, um in einem offenen Boot auf den Wellen zu treiben, und dass ich nach einer Weile lernte, mir ein Steuer und zwei Ruder zu bauen, auch wenn ich Segel und den dazugehörigen Wind nie gemeistert habe. Der Wind bläst ,wo er will, und viele Male schon bin ich unerwartet gelandet. Aber einen Landeplatz habe ich nie gefunden."
Etwas, das einmal Sozialismus hätte sein können
In einer Kultur nach dem Dritten Weltkrieg existiert kein Besitz und kein Geld mehr. Gebrauchsgüter werden nicht mehr gekauft, sondern ausgeliehen, Strom und Wasser werden für alle zur gleichen Zeitintervallen an- und ausgeschaltet. Ein alleinherrschender Konzern kümmert sich um alle Bedürfnisse von Menschen, die, dankbar für neue Stabilität nach dem Chaos des Krieges, ihre Individualität längst aufgegeben haben. Frei sind die Menschen in dieser Welt ebenso wenig wie in der ersten. Einzig außerhalb der Stadtgrenzen leben im Ödland die AussteigerInnen und Parias in einer bunten kleinen Gemeinschaft egalitärer Anarchie. Wieder ist eine Billie Crusoe in dieser Welt unterwegs, wieder in Begleitung eines Robo Sapiens und schon wieder stranden die beiden jenseits dessen was sie als Zivilisation kennen.
AVIVA-Fazit: Der Klappentext verspricht den Lesenden "eine Liebesgeschichte, die Tabus bricht". Dies kann das Buch nicht einlösen. Beziehungen zwischen Menschen und Robotern, darüber, was menschlich und was Liebe ist, wurden schon oft erzählt. Winterson bediente sich überdies ausgiebig an den Ideen der Klassiker pessimistischer Zukunftsvisionen: die ständige Überwachung der ersten Episode scheint dem Alptraum namens "1984" entlehnt, ihre zur seichten Bedeutungslosigkeit geronnene sexuelle Freiheit erinnert an "Brave New World", die Nichtexistenz von Büchern an "Fahrenheit 451". Aber was will sie mitteilen? Dass die Menschheit sich und den Planeten zugrunde richten wird, ganz gleich, welchen Weg sie einschlägt? Dass wir immer neue Wege finden werden, uns gegenseitig zu töten? Die Binsenweisheit, dass nur die Liebe uns erlösen kann? Offene Fragen und unaufgelöste Widersprüche machten einen großen Reiz von Wintersons bisherigen Werken aus, diese Geschichte jedoch wird durch sie nur unbefriedigend. Dies ist besonders schade, wenn frau ihre früheren, umwerfend poetischen Erzählungen kennt und sich mehr erhofft hat.
Zur Autorin: Jeanette Winterson, geboren 1959 in Manchester, studierte Anglistik in Oxford und veröffentlichte mit 25 Jahren ihren ersten, autobiographisch geprägten Roman "Orangen sind nicht die einzige Frucht". Bisher sind von ihr insgesamt achtzehn Bücher – sowohl Romane als auch Essaysammlungen und Ratgeber – erschienen, darunter "Verlangen", "Auf den Leib geschrieben" und "Der Leuchtturmwärter". Winterson lebt in London und führt dort ein Geschäft für biologisch angebaute Lebensmittel. Weitere Infos unter: www.jeanettewinterson.com
Jeanette Winterson
Die steinernen Götter
Originaltitel: The Stone Gods
Berlin Verlag, erschienen 2011
Gebunden, 270 Seiten
ISBN-13: 978- 3-827-009-500
22,00 Euro