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Beitrag vom 14.05.2011
Sophie Albers - Wunderland
Claire Horst
Als "literarischen Blick in unsere Parallelgesellschaft" preist der Verlag den Roman der stern-Autorin Albers an. Was das sein soll, "unsere" Parallelgesellschaft, wird wieder einmal als bekannt..
... vorausgesetzt.
"Wir", das sind natürlich die "Biodeutschen", die ohne Migrationshintergrund. Und mit der Parallelgesellschaft ist weder die katholische Kirche gemeint noch der Fußballklub von nebenan, sondern, natürlich, die Welt arabischstämmiger junger NeuköllnerInnen.
Wie ihre Schöpferin ist Hanna Journalistin. Als sie über die Rütlischule, mangelnde Integration und muslimische Jugendliche schreiben soll, entschließt sie sich zum Porträt eines einzelnen jungen Mannes. Tamer lernt sie auf der Straße kennen. Er entspricht dem Klischeebild eines jungen Arabers: Goldkettchen, Picaldi-Kleidung, dickes Auto. Natürlich ist "schwul" für ihn ein Schimpfwort, genau wie "Jude". Und dass Hanna, die sich jetzt regelmäßig mit ihm trifft, ihren Kaffee niemals selbst bezahlen darf, ist ebenfalls selbstverständlich.
Die Autorin möchte eine junge Frau darstellen, die von einer fremden Welt fasziniert ist und ihre festen Überzeugungen hinterfragt – nicht umsonst zitiert der Titel Lewis Carrolls "Alice im Wunderland". Wunderbar also, könnte man meinen. Schade nur, dass diese festen Überzeugungen teilweise wirklich penetrant falsch sind. Als Tamer Hanna sein Elternhaus in Neukölln zeigt, wirft das Erwartungen durcheinander, die nur die desinformierteste Boulevardzeitungsleserin haben kann: "Es ist so ruhig, dass man Vögel zwitschern hört. Wir begegnen keinem Menschen. Dabei ist der berüchtigte Hermannplatz nur ein paar hundert Meter entfernt." Weiß doch jede/r, dass am gefährlichen Hermannplatz keine Amsel überlebt.
Seltsam auch der Eindruck der Protagonistin, in Berlin gebe es No-Go-Areas für NichtmigrantInnen: "Auf dem Weg zu Tamer passiere ich einen der Übergänge von Mittelklasse-Berlin nach Little Istanbul. Das gibt es in vielen Stadtteilen. Und plötzlich bin ich die, die auffällt, so wie damals in Paris, wo ich im 18. Arrondissement, den Senegalesen-Viertel, gewohnt habe… Dort war ich die einzige Weiße… Entweder werde ich ignoriert oder angestarrt mit einem Blick, der sagt: Was willst du hier?" Am Ende der Szene spuckt ihr ein kleiner Junge vor die Füße. Kristina Schröder, übernehmen Sie: Hier droht "Deutschenfeindlichkeit".
Hanna, jüdische Deutsche aus bildungsbürgerlichem Elternhaus, hält sich für äußerst mutig und aufgeschlossen, da sie sich auf diesen Tamer überhaupt einlässt. Und die Auseinandersetzung mit seiner Lebensanschauung ändert tatsächlich ihren Blick auf die Welt. Plötzlich nimmt sie die Diskriminierungen wahr, denen er ausgesetzt ist, erkennt die Blicke, die auch ihr zugeworfen werden, da sie mit ihm im Café sitzt. Die Schizophrenie, mit der sich Hanna einerseits angezogen fühlt von der "Männlichkeit" des Jungen, von seiner Großzügigkeit und seinem Beschützerinstinkt, und ihre Abwehr andererseits gegen Frauenfeindlichkeit und Machokultur, ist der spannendste Aspekt des Romans.
Zu einem reflektierteren Weltbild führt Hannas Beschäftigung mit Tamers Welt allerdings nicht. Denn mit den Vorurteilen kommt ihr auch der gesunde Menschenverstand abhanden: Bislang hatte sie Anmachen auf der Straße immer als lästig empfunden. Plötzlich erkennt sie, dass sie ja auch anders reagieren könnte, und lächelt fortan den Jungs zu, die ihr hinterherpfeifen. Denn die Abwehr von Machogesten ist eigentlich Arroganz, weiß sie jetzt. Als einzige Frau unter Tamer und seinen Freunden findet sie zu sich selbst: Deren Mitleid mit ihr, der dreißigjährigen Kinderlosen, empfindet sie als wohltuend – denn anscheinend will doch jede Frau nichts als Kinder und Komplimente, wenn sie nur auf ihre Emotionen hört.
AVIVA-Fazit: Das x-te Buch zur Sarrazin-Debatte hätte spannend werden können. Ein Wechsel der Perspektive, Hinterfragen der eigenen Überzeugungen, Unsicherheiten und ein Sicheinlassen auf eine andere Lebenswelt, das sind wunderbare Ansätze. Schade nur, dass hier Stereotype zementiert statt aufgelöst werden. Sprachlich ebenso banal wie inhaltlich, überzeugt der Roman leider nicht.
Zu der Autorin/Herausgeberin: Sophie Albers wurde 1970 in Hamburg geboren. Sie hat Film, Geschichte und Literatur studiert und danach als Journalistin bei verschiedenen Magazinen gearbeitet. Seit 2008 ist sie Kultur-Redakteurin bei stern.de. Sie lebt in Berlin. "Wunderland" ist ihr erster Roman. (Verlagsinformationen)
Sophie Albers
Wunderland
Knaus Verlag, erschienen am 14. März 2011
ISBN: 978-3-8135-0398-2
14,99 Euro
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